Wer ist Jesus? Wer ist Jesus für mich? Das ist eigentlich die Grundfrage des Christentums. Im Evangelium lautete sie so: Für wen halten die Leute den Menschensohn?

Vor kurzem schrieb mir ein guter alter Freund, der sich intensiv mit dem christlichen Glauben herumgeschlagen hat und herumschlägt: Christus war ein jüdischer Wanderprediger. Viele Worte Jesu in den Evangelien seien nur von den Evangelisten Jesus in den Mund gelegt worden, er habe nie so anspruchsvoll und sogar provozierend gesprochen. War Jesus nur ein jüdischer Wanderprediger oder war er das, was wir im Glaubensbekenntnis aussprechen: Der Sohn Gottes?

Das heutige Evangelium zeigt aber: Offenbar war um den Wanderprediger aus Galiläa doch immer auch ein geheimnisvoller Schleier. Er sprach so souverän, er zog unglaublich an, er heilte Kranke. Er war ganz anders als Menschen im Allgemeinen, auch religiöse Menschen. Die Menschen fragten sich immer wieder: Was steckt hinter ihm? Daher Jesu Frage an die Jünger, als sie einmal ganz unter sich in der Einsamkeit waren: Wofür halten die Menschen mich? Die Apostel versuchen dann Antworten zu geben. Die einen meinen, du seist der auferstandene Johannes der Täufer, andere halten dich für Elia oder sonst einen Propheten. Die Antworten kommen aus dem damaligen Weltbild. Danach konnten große Menschen zurückkehren ins Leben.

Jesus fragt: Und was meint ihr? Wer bin ich für Euch? Petrus, der Sprecher prescht vor: Du bist der Messias. Vermutlich meint Petrus damit: Du bist der Mann, der das jüdische Volk von den Römern befreit und es wieder auf die Höhe des heiligen Volkes Gottes zurückbringt.

Und dann kommt die Wende in dem Gespräch. Jesus korrigiert nicht: Er sagt auch nicht: Du hast recht, sondern sagt: Bitte sagt nichts davon den Menschen. Dann erklärt er, was mit ihm – dem Menschensohn – geschehen wird: Er wird von seinem Volk abgelehnt, in einem Justizmord umgebracht. Aber er werde vom Tod auferstehen.

Hiermit werden die menschlichen Denkkategorien gesprengt, auf den Kopf gestellt. Er sprengt die menschliche Denkweise.

Ich bin ausgegangen von der Frage: Kennen wir Jesus? Wer ist Jesus? Wer ist Jesus für mich? Um Jesus zu kennen, muss man menschliche Denkkategorien verlassen. Die Vorstellung, Jesus sei ein jüdischer Wanderprediger ist ungenügend. Er ist nicht wie manche andere, die man verstehen und einordnen kann. Und dieser Ausstieg aus den menschlichen Denkkategorien ist nicht einfach – oder es ist im Grunde genommen unmöglich. Denn wir können nur in unseren Kategorien denken. Aber wenn wir weise sind, können wir uns sagen: Es gibt offenbar noch andere Denkweisen. Es gibt offenbar noch Denkweisen, die unser Denken übersteigen, die einer anderen Logik folgen. Wir erreichen wir diese andere Denkweise?

Ich glaube, die Menschen, die zu Höchstchristen geworden sind, haben sich schweigend vor das Kreuz Christi gestellt und wurden dann der anderen Denkweise Christi inne. Es gelang nicht durch den Verstand. Aber der Mensch kann innewerden, dass es Logiken gibt, die die menschliche Logik übersteigt. Leiden ist menschlich gesehen ein Leid, das überwunden werden muss. Aber nach der Logik Jesu kann Leiden eben auch erlösen. Jesu erlöst durch das Leiden. Und das Leiden ist kein endloses und sinnloses Leiden, sondern es führt zur Auferstehung, wenn es in seiner Logik angenommen wird. Sterben ist rein menschlich gesehen ein Scheitern. Aber wenn das Sterben angenommen wird, kann es zum Leben führen. Das ist die Logik Jesu. Sie geht über das Denken der Apostel und der damaligen Denkweise hinaus. Jesus lädt uns ein, seinem Denken zu folgen, das heißt ihm zu folgen, ihm zu glauben, dass seine Lebensweise die lebensspendende ist. ER muss sterben, um sein Volk zu erlösen.

Christliches Denken ist Denken gegen die menschliche Logik. Die Kleinen und Armen und die Kinder verstehen Jesus leichter, weil sie nicht an menschlichen Denkkategorien hängen, sondern sich von Jesus an die Hand nehmen lassen. Lassen wir uns von Jesu an die Hand nehmen, vergessen wir unsere erwachsene Logik. Auch der Glauben in der Kirche in Deutschland kann wieder aufleben, wenn wir unsere rationalen organisatorischen Kategorien hinter uns lassen, sondern uns von Jesus an die Hand nehmen lassen. Denken ist gut, Glauben ist besser. Herr, lehre mich glauben und Dir vertrauen. Amen.

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.