Es wäre eine gewaltige Untertreibung zu behaupten, die Entscheidung des Berufungsgerichtshofes von Victoria, Kardinal George Pells Verurteilung durch ein Geschworenengericht wegen sexuellen Missbrauchs aufrecht zu erhalten, hätte "unterschiedliche" Kommentare und Reaktionen ausgelöst.

Von Jubelrufen, dass der Kardinal hinter Gittern bleiben wird und seine mit "Scheuklappen" herumlaufenden Unterstützer dies nun akzeptieren sollten, über vernichtende Kritik am Zustand der Polizei in Victoria sowie der Infragestellung der gesamten australischen Justiz geht die Bandbreite – bis hin zu einem Vergleich mit der "Affäre Dreyfus" durch den bekannten Intellektuellen George Weigel: Jenem notorischen Skandal also, der den französischen Staat in eine schwere Krise stürzte und das Land für immer veränderte.

Anders ausgedrückt: Nicht alle Reaktionen waren so vorsichtig formuliert wie etwa die von Pells Nachfolger als Erzbischof von Sydney, Erzbischof Anthony Fisher. Er verwies darauf, dass die Richter nicht einer Meinung waren, sondern eine Mehrheitsentscheidung fällten – zwei gegen eine – und man könne also auch als vernünftiger Mensch durchaus geteilter Meinung sein, angesichts der vorliegenden Beweise. Im übrigen betonte Fisher, wie etwa auch die australische Bischofskonferenz in ihrer Stellungnahme: Man nehme das Urteil zur Kenntnis und erinnere daran, dass der juristische Verfahrensweg nicht ausgeschöpft sei.

Selbst weltliche Medien wie die Melbourner Zeitung "The Age" – der niemand vorwerfen wird, einem katholischen Kardinal Pell wohlgesonnen zu sein – berichteten, dass 200 Seiten des 375 Seiten langen Urteils vom Richter stammen, der Pell freisprechen wollte: Mark Weinberg, der in Juristenkreisen für strafrechtliche Verfahren dieser Art einen hervorragenden Ruf genießt.

Pells Nachfolger als Erzbischof von Melbourne, Peter Comensoli, bot dem einzigen Zeugen und mutmaßlichen Opfer sowohl spirituelle als auch pastorale Hilfe zu. Dabei vermied er jedoch Begriffe wie "Opfer" in der Beschreibung der Person.

Wie geht es nun weiter? Tatsächlich können Pells Anwälte noch am High Court – dem Obersten Gerichtshof des Landes – einen Antrag auf Berufung stellen.

Wie auch immer Pell und seine Anwälte entscheiden: Über die Affäre Pell ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. In mehr als einer Hinsicht ist sie ein Schlüssel der aktuellen Kirchenkrise.

AC Wimmer ist Chefredakteur von CNA Deutsch und deutsch-australischer Staatsbürger. Von 1997 bis 2010 lebte er in den Erzbistümern Melbourne und Sydney.

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