München - Donnerstag, 20. Dezember 2018, 16:32 Uhr.
Trotz einer Nachrichtensperre der zuständigen Gerichtsbarkeit haben weltweit zahlreiche Medien, auch in Deutschland, berichtet, dass eine Jury in Australiens Bundesstaat Victoria am 11. Dezember in erster Instanz Kardinal George Pell des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger für schuldig befunden habe.
Eine offizielle Stellungnahme, geschweige denn Bestätigung, gibt es bis dato nicht. Die verhängte Sperre der Justiz – eine sogenannte Gag Order – ist seit Juni in Kraft, und könnte auch noch Monate in Kraft bleiben. Sie verbietet jede Berichterstattung durch Medien, die vor Ort gelesen werden können.
Kommentatoren haben diese "Knebelung" der Presse scharf kritisiert, vor allem aus Gründen der Meinungs- und Pressefreiheit. Örtliche Medien haben den Victoria County Court gebeten, die Sperre zu heben. Eine Entscheidung steht noch aus.
Bei aller Komplexität und einem in jeder Hinsicht noch offenen Ausgang: Bereits jetzt kristallisieren sich zunehmend drei Probleme heraus, die alle letztlich eine Frage aufwerfen - Cui Bono?
Erstens scheint die Sperre aus Sicht vieler Kritiker das Gegenteil von dem zu erreichen, was sie leisten soll: Eine Vorverurteilung Pells zu verhindern, ein faires Verfahren zu gewährleisten.
Vor dem Verhängen der Sperre stellten australische Medien und Juristen öffentlich die Frage, ob angesichts der seit Jahren negativen Berichterstattung über Pell ein Geschworenengericht noch sinnvoll sei.
In anderen australischen Bundesstaaten haben hochkarätige Fälle wie der Pells die Möglichkeit, vor einem Richter – ohne Jury – verhandelt zu werden. Der Bundesstaat Victoria, in dem Pell vor Gericht steht, verfügt über eine der wenigen Gerichtsbarkeiten in Australien, wo dies nicht der Fall ist.
Um zu sehen, wie aufgeladen die Situation seit Monaten und Jahren tatsächlich ist: Dazu genügt ein Blick in die australische Presse und Sozialen Medien, in denen etwa Ende Juni unter dem Motto #HuntingCatholics auf Twitter öffentlich Stimmungsmache betrieben wurde.
Am 13. Dezember, also offenbar zwei Tage nach der Verurteilung Pells, sagte Victorias Generalstaatsanwältin Jill Hennessy der Melbourner Zeitung "The Age", dass sie ihre Abteilung gebeten habe, die Möglichkeit von Verfahren ohne Jury in hochkarätigen Fällen zu prüfen, in denen unparteiische Geschworene schwer zu finden sein könnten.
Das Statement der Staatsanwältin folgte dem Freispruch des ehemaligen Erzbischofs von Adelaide, Philip Wilson, dessen Verurteilung wegen der Vertuschung sexuellen Missbrauchs von einem Berufungsrichter aufgehoben wurde. Im Fall Wilson bemerkte Richter Roy Ellis, dass die Berichterstattung der Medien über die Kirchenkrise ein Faktor für den Schuldspruch in erster Instanz gewesen sein könnte.
Zweitens werfen Recherchen von Ed Condon, dem Washingtoner Büroleiter von CNA, brisante Fragen über den bisherigen Verfahrensverlauf auf. Nicht nur, ob Pell wirklich schuldig ist, was Beobachter und Quellen vor Ort – die wegen der Gag Order anonym bleiben – stark bezweifeln. "Sie haben einen unschuldigen Mann verurteilt", so eine Quelle, die direkt mit den Beweisen vertraut ist, gegenüber CNA. "Was noch schlimmer ist, ist, dass sie wissen, dass sie es getan haben".
Drittens – und auch dies ist ein entscheidender Punkt – fragen sich Beobachter, ob diese ganze Affäre grundsätzlich noch Opfern und Angehörigen von Missbrauch hilft. Ganz zu schweigen vom Anliegen von Opferverbänden wie der Kirche, welche gemeinsame Schritte auf einem Weg gehen wollen, den auch und gerade Kardinal Pell als Pionier vorausgegangen ist: Er war der erste Bischof Australiens, der umfassende Reformen, Aufklärung und Prävention im Kampf gegen Missbrauch in seiner damaligen Diözese Melbourne eingeführt hat.
Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit und die Wahrheit stehen im Fall Pell auf dem Spiel. Das Urteil gegen den Kardinal wird voraussichtlich im Januar gesprochen. Pell kann beim Obersten Gerichtshof von Victoria Berufung einlegen.
Hinweis: CNA Deutsch hat diesen Artikel nicht in Australien veröffentlicht, übertragen oder verbreitet. Ebenfalls veröffentlicht in der Zeitung "Die Tagespost".