Der Vatikan ist bekanntlich ein Zwergstaat, eines der kleinsten Länder der Welt. Doch gerade dieser vermeintliche Zwerg ist es, der eine Riesen-Rolle für den brüchigen, bitter nötigen Frieden in unserer Welt spielt.

Wenn sich Papst Franziskus mit Bischöfen aus Venezuela trifft, wie nun im Rahmen seiner Kolumbienreise angekündigt; wenn Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin nach Moskau reist, wie vor einigen Tagen, wird klar: Die Politik des Vatikan ist eines der wichtigsten, aber auch delikatesten Mittel im Kampf der Kirche um Liebe und Frieden. Politik gehört aus guten Gründen zu den Aufgaben des kleinen Riesen in Rom.

Und umgekehrt zeigt sich auch: Gerade die säkulare Welt der Gegenwart, die sich immer mehr vom politischen und sozialen Einfluss der Kirche und dem Glauben abwendet – vom Übernatürlichen ganz zu schweigen – braucht die Kirche als diplomatischen Akteur und Vermittler.

Weltkriegsdiplomatie

Wer verstehen und einordnen will, was hinter Fotos lächelnder Besuche und Gesprächstermine mit Händedruck und Schulterklopfen los ist, und was dabei auf dem Spiel steht, für den ist ein ungeheuerlicher, oft wiederholter Satz von Papst Franziskus ein guter Ansatz:  "Wir befinden uns in einem dritten Weltkrieg".

Klar. Der Pontifex provoziert bewusst. Das Bild soll uns aufmerksam machen auf Probleme die uns alle betreffen und anfechten. Unabhängig einzelner Aspekte von Ausbeutung und Gewalt, auf die Franziskus hier verweist, die nicht mit Politik und Diplomatie zu tun haben, ist es ein Bild, das auch zutiefst theologisch verortet ist, und dass Politik und Diplomatie wiederum christliche verortet.

Dabei geht es nicht nur um den Krieg in Syrien oder das Elend in Venezuela, so sehr den Bombenopfern in Aleppo geholfen werden muss, wie auch den Hungernden und Verzweifelten in Caracas. Es geht um die Rolle der Kirche als "ecclesia militans" im 21. Jahrhundert.

Kirchliche Diplomatie ist Weltkriegsdiplomatie für den Frieden. Wie diese auszusehen hat, ist freilich die Frage. War zu Zeiten des heiligen Johannes Paul II. etwa noch eine Ostpolitik des Vatikans möglich, die sich gezielt im Kalten Krieg mit dem Kommunismus auseinandersetzte, so ist heute Diplomatie nicht nur komplizierter geworden, sondern bisweilen geradezu paradox. 

In etwa so paradox, wie es ist, eine Ostpolitik im Westen zu führen.

Tatsächlich scheint Papst Franziskus zwischen Ost und West hin- und her zu pendeln, wie auch die Diplomatie dieser scheinbaren "neuen Ostpolitik".

Eine "neue Ostpolitik"?

Das Reiseprogramm des Pontifex hat nach der Sommerpause wieder begonnen. Einem Besuch des Kontinents seiner Geburt, Lateinamerika, folgt Ende November eine Reise nach Burma und Bangladesch, und im Januar reist der Papst nach Chile und Peru. Wie es 2018 weitergeht, steht noch nicht fest; doch spekuliert wird über Rumänien, in weiterer Zukunft dann sogar Moskau und Peking. Fest im Reise-Kalender steht natürlich der Weltfamilientag in Irland.

Diese Ziele und ihre Reihenfolge sind sorgfältig ausgewählt. Natürlich kennt Franziskus Lateinamerika besser als andere Kontinente. Dessen Länder besucht er, nach und nach: Der Pontifex war schon in Mexiko, Ecuador, Paraguay, Bolivien und Brasilien; nun war Kolumbien an der Reihe.

(Die markante Ausnahme ist und bleibt Argentinien. Warum das so ist, darüber wird viel spekuliert. Die gängigste Theorie: Der Papst will sich nicht in seinem Heimatland politisch instrumentalisieren lassen.)

Franziskus kennt Lateinamerika nicht nur sehr gut, er ist auch umgeben von hervorragend informierten Zuarbeitern. Sein Kardinalstaatssekretär, Pietro Parolin, war selber Nuntius in Venezuela. Und dessen Kenntnis der Lage im Land prägt auch den überaus vorsichtigen Umgang des Heiligen Stuhls mit dem von einer schweren Krise in den Grundfesten erschütterten Lande, wie Vatikanist Andrea Gagliarducci schreibt.

Leise Töne und Behutsamkeit

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Am Rande seines Besuchs in Kolumbien wurde kurzfristig bekannt, dass Papst Franziskus am Donnerstag mit "Bischöfen aus Venezuela" zu einem privaten Treffen zusammenkommen werde. Das bestätigte Presse-Amtschef Greg Burke.

Thema des Gesprächs ist die andauernde humanitäre und politische Krise in Venezuela. Franziskus bat bereits vor seinem Abflug aus Rom die im Flieger anwesenden Journalisten um ihr Gebet für den Frieden in Kolumbien sowie einen Dialog im und mit dem zerrissenen Land.

"Ich möchte ihnen sagen, dass wir auch über Venezuela fliegen werden", sagte der Papst wörtlich. "Und so bitte ich sie darum, dafür zu beten, dass es Dialog geben kann, dass es Stabilität geben wird, Dialog mit jedem. Vielen Dank für Ihre Arbeit".

Der Erzbischof von Caracas, Kardinal Jorge Urosa, sagte diese Woche gegenüber der Catholic News Agency, dass die venezolanischen Bischöfe dem Papst – Zitat – "natürlich auch danken werden für seine Unterstützung des venezolanischen Volkes unter diesen schwierigen Umständen, die wir erleben, und wir werden unsere Sorgen bezüglich einiger Probleme der derzeitigen Situation ausführen". 

Tatsächlich war das reichlich vorsichtig formuliert, auch und gerade im Vergleich mit den sonstigen Aussagen der Venezolanischen Bischofskonferenz. Diese hat die Gläubigen in der jüngeren Vergangenheit sogar in den Sozialen Medien dazu aufgerufen, die Muttergottes um Fürsprache "zu bitten für die Befreiung des Landes aus den Fängen des Kommunismus".

Kardinal Urosa hat selbst dem sozialistischen Regime von Nicolas Maduro vorgeworfen, eine Diktatur zu führen. Angesichts schwerer, andauernder Unruhen und einer wachsenden Zahl von Toten, des Hungers und Versorgungsengpässe im Land ist ein Ruf nach Dialog, wie ihn der Papst betont, da tatsächlich ein Zeichen größter Behutsamkeit und Vorsicht.

Kritiker sehen darin sogar mehr: Papst Franziskus betreibe eine nicht immer glückliche Art Ostpolitik in Lateinamerika, auch und gerade gegenüber linksgerichteten Machthabern, heißt es da. Die Beschränkung auf Betonung von Dialog und Behutsamkeit stehe in starkem Kontrast zu den markigen Worten des Pontifex und seiner Vertrauten gegenüber anderen Regierungschefs, etwa US-Präsident Donald Trump.

Ob etwas dran ist, ja, wenn denn der Begriff "Ostpolitik" überhaupt zu etwas taugen soll, bedarf es des Blicks nach Osten, muss die Wortwahl daran gemessen werden, wie die diplomatischen Bemühungen im Osten, sprich in Russland und China etwa, aussehen.

Unverbindlich aber vielversprechend

Und tatsächlich: Vom Ton und Inhalt her recht positiv, letztlich aber unverbindlich war der Tenor der Moskau-Reise vom 20. bis 24. August durch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin.

Dabei war es auch kein Zufall, dass der dritte Kardinalstaatssekretär überhaupt, der nach Russland gereist ist, ein Schüler des ersten ist: Kardinal Agostino Casaroli, Lehrer Parolins, war 1988 als erster nach Moskau gereist. Er gilt als Architekt der vatikanischen Ostpolitik zur Zeit des Kalten Krieges.

Nun ist sein ehemaliger Schüler in Moskau gewesen. Doch Kardinal Pietro Parolin folgte nicht einfach in den Fußstapfen seines Vorgängers. Diese sind vom stürmischen Wind der letzten Jahrzehnte verweht worden.

Statt sich in einem Kalten Krieg zweier Blöcke zu befinden, in dem der Vatikan als Vermittler versuchte, sowohl den Frieden zu fördern als auch das Leiden der im Kommunismus brutal unterdrückten Katholiken zu lindern, ist die Welt von heute auch im Osten komplexer. Und die Mission des zweithöchsten Mannes des Vatikans eine ungleich diffizilere.

Natürlich sind die beiden erklärten Ziele des Vatikans nach wie vor die gleichen: Frieden zu stiften und sich für die oft unterdrückten Gläubigen einzusetzen.

Im Kalten Krieg war – im Großen und Ganzen – die Herausforderung noch klar: Der christlich geprägte Westen erlaubt und kämpft für Religionsfreiheit. Der kommunistische Osten dagegen unterdrückt und bekämpft jede Form der Religion; auch und gerade den Katholizismus.

Im Jahr 2017 stimmt weder das eine noch das andere. Kardinal Parolin sagte  – wie Andrea Gagliarducci berichtete – gegenüber dem "Corriere della Sera" – Zitat:

"Nach einer Zeit ideologischer Gegnerschaft, die natürlich nicht von heute auf morgen verschwinden kann, und vor dem Hintergrund neuer Zusammenhänge seit dem Ende des Kalten Krieges, ist es wichtig, jede Gelegenheit, Respekt, Dialog und gegenseitige Zusammenarbeit zu ermutigen, auch zu nutzen, und mit Blick darauf den Frieden zu befördern."

Versöhnung mit den Feinden von einst kann auch das Risiko bergen, die Freunde zu befremden. Ehemalige Sowjetstaaten wie Russland und die Ukraine sowie offiziell marxistischer Länder wie China und Vietnam sind die Heimat von Millionen von Katholiken. Viele von ihnen leben als Bürger zweiter Klasse, wenn nicht sogar als unterdrückte, verfolgte Zeugen des Glaubens, die traditionell treu zu Rom stehen.

Wenn also Kardinal Parolin über neue Zusammenhänge spricht, dann vor dem Hintergrund Jahrzehnte alte Probleme. Unter Stalin war die ukrainische griechisch-katholische Kirche verboten, und ihr Eigentum wurde der russisch-orthodoxen Kirche überschrieben. Die Rechte dieser Katholiken sind einer der Knackpunkte der Beziehungen. Die Probleme wurden durch die Invasion auf der Krim im Jahr 2014 nur verschlimmert.

Vier Millionen Untergrundchristen

Nicht wenige Vatikanisten fragen sich, was der heilige Papst Johannes Paul II. heute dazu wohl gesagt hätte, sowohl zu Russland, als auch der Lage in China.

Im Jahr 1951, kurz nach der Revolution von Mao Tse Tung, brach die kommunistische Regierung Chinas alle Beziehungen zum Vatikan ab und berief ihre eigenen Bischöfe. Diese Organisation erhielt den Namen "Chinesische Patriotische Katholische Vereinigung". Was zur Folge hatte, dass viele der rechtgläubigen Katholiken in China verfolgt wurden und in den Untergrund gehen mussten.

Die etwa vier Millionen Katholiken in China, die heimlich ihren Glauben leben müssen, sind das große Anliegen des Heiligen Stuhls in seinem Bemühen die Beziehungen zur Regierung zu verbessern. Die Katakomben-Kirche soll wieder an die Oberfläche dürfen.

Die chinesische Regierung ist nur allzu bereit zu verhandeln, doch die Bedingungen, unter denen diese Verhandlungen stattfinden sollen, erweisen sich als äußerst schwierig.

Die Volksrepublik könnte ein Abkommen erreichen, das dem Abkommen des Heiligen Stuhls mit Vietnam ähnlich ist, in dem der Papst Bischöfe in Abstimmung mit der Kommunistischen Partei beruft.

Doch dazu erwartet China auch, dass die Apostolische Nuntiatur in Taipeh geschlossen werden müsste. Wie der Vatikanist Andrea Gallucci bemerkt, wurde der Leiter der Nuntiatur im März vergangenen Jahres bereits in die Türkei abgerufen, eine Nachfolge gibt es nicht – und es gibt auch kein Hinweis darauf, dass es in der Zukunft eine geben wird. In der Tat könnte der Heilige Stuhl geneigt sein, den Posten in der nahen Zukunft nach Peking zu verlegen als ein Zeichen als eine Geste gegenüber der kommunistischen Regierung.

Angst vor einem Verrat

Gleichzeitig wäre ein solcher Schritt ein klarer Verrat an den 400.000 Katholiken in Taiwan, warnen Beobachter.

Aber nicht nur die Gläubigen in Taiwan fühlen sich unter Druck gesetzt. Viele Chinesen auf dem Festland, die in den sogenannten Untergrund Kirchen ihre Religion ausüben, sind gegen eine Versöhnung mit der Regierung unter diesen Vorzeichen. Gegenüber dem "Telegraph" sagte ein Priester aus der Provinz Hebei Zitat " möglicherweise wird Rom uns verraten. Wenn das passiert werde ich mein Amt zurückgeben. Ich werde nicht einer Kirche beitreten, die von der Kommunistischen Partei kontrolliert wird."

Das klingt hart, aber es bestätigt: Die Voraussetzungen für eine Versöhnung sind nicht gegeben, wenn chinesische Katholiken die Bedingungen des Friedens nicht akzeptieren, der mit einem Regime verhandelt wird, das sie seit Generationen terrorisiert.

Wenn der Heilige Stuhl den Anschein erwecken sollte, dass er die Regierung legitimiert, die seine Gläubigen verfolgt, dann könnten manche chinesischen Katholiken ihre eigene Kirche gründen. Etwas Ähnliches geschah in den Philippinen während der Kolonialherrschaft Spaniens. So könnte Rom wohl Kontrolle über die sechs Millionen Gläubigen erhalten, die in China der sogenannten patriotischen katholischen Verbindung angehören – aber viele der vier Millionen verlieren, die im Untergrund treu gegenüber Rom geblieben sind.

Darüber hängt zudem die geopolitische Frage, wie der Heilige Stuhl wirklich Frieden zwischen dem Osten und Westen herstellen will, wenn ein solcher Schritt in China die – ohnehin zum Teil brüskierten – Vereinigten Staaten und mehrere Alliierten vor den Kopf stößt.

Der Status Quo ist alles andere als ein guter, und der Vatikan könnte alles noch viel schlimmer machen mit seiner Politik – oder eben, hoffentlich, besser; im Osten wie im Westen ist der Einsatz zu hoch, als dass eine gut gemeinte Verschlimmbesserung die Lösung sein könnte.

Anian Christoph Wimmer ist Chefredakteur von CNA Deutsch. 

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