Was ist Liebe? Wahrscheinlich denken wir zunächst an Emotionen. Wir kennen Ausdrücke wie „in Liebe entflammt“. Zugleich vergewissern wir uns mancher Einseitigkeiten, mit denen Liebe und Verantwortung getrennt werden. An Gottes Liebe wird heute auch unter Christen nur selten noch gedacht. Benedikt XVI. betont in seiner Sozialenzyklika „Caritas in veritate“: „Caritas ist empfangene und geschenkte Liebe. Sie ist »Gnade« (cháris). Ihre Quelle ist die ursprüngliche Liebe des Vaters zum Sohn im Heiligen Geist. Sie ist Liebe, die vom Sohn her zu uns herabfließt. Sie ist schöpferische Liebe, aus der wir unser Sein haben; sie ist erlösende Liebe, durch die wir wiedergeboren sind. Sie ist von Christus offenbarte und verwirklichte Liebe (vgl. Joh 13, 1), »ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist« (Röm 5, 5). Als Empfänger der Liebe Gottes sind die Menschen eingesetzt, Träger der Nächstenliebe zu sein, und dazu berufen, selbst Werkzeuge der Gnade zu werden, um die Liebe Gottes zu verbreiten und Netze der Nächstenliebe zu knüpfen.“

Die Dynamik dieser empfangenen und geschenkten Liebe gehört zu unserer Sendung, zu unserem Auftrag für die Welt, gleichermaßen für Kleriker wie für Weltchristen. Jeden Tag aufs Neue erleben wir Lieblosigkeiten, viele Formen der Hartherzigkeit, persönlich sowie öffentlich. Benedikt konzentriert sich auf die Soziallehre der Kirche und zeigt die unauflösliche Verknüpfung von Liebe und Wahrheit: „Diese Lehre ist Dienst der Liebe, aber in der Wahrheit. Die Wahrheit ist Hüterin und Ausdruck der befreienden Kraft der Liebe in den immer neuen Wechselfällen der Geschichte. Sie ist zugleich Wahrheit des Glaubens und der Vernunft, in der Unterscheidung ebenso wie im Zusammenwirken der beiden Erkenntnisbereiche. Für die Entwicklung, den gesellschaftlichen Wohlstand und eine angemessene Lösung der schweren sozioökonomischen Probleme, welche die Menschheit plagen, ist diese Wahrheit notwendig. Und noch notwendiger dafür ist, daß diese Wahrheit geliebt und bezeugt wird.“ Wird die Wahrheit in der Kirche noch ernst genommen? Vertrauen wir auf Christus? Orientieren wir uns an der verbindlich gültigen Lehre der Kirche oder versinken wir nicht längst im Strudel einer haltlosen, bloß subjektiven, aber mit absolutem Anspruch auftretenden Beliebigkeit?

Benedikt XVI. hebt zunächst die Dimension der Gerechtigkeit hervor: „Jede Gesellschaft erarbeitet ein eigenes Rechtssystem. Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus, denn lieben ist schenken, dem anderen von dem geben, was „mein“ ist; aber sie ist nie ohne die Gerechtigkeit, die mich dazu bewegt, dem anderen das zu geben, was „sein“ ist, das, was ihm aufgrund seines Seins und seines Wirkens zukommt. Ich kann dem anderen nicht von dem, was mein ist, „schenken“, ohne ihm an erster Stelle das gegeben zu haben, was ihm rechtmäßig zusteht. Wer den anderen mit Nächstenliebe begegnet, ist vor allem gerecht zu ihnen.“ Untrennbar sei die Gerechtigkeit mit der Liebe verknüpft: „Die Nächstenliebe offenbart auch in den menschlichen Beziehungen immer die Liebe Gottes; diese verleiht jedem Einsatz für Gerechtigkeit in der Welt einen theologalen und heilbringenden Wert.“ Die Ausrichtung auf das Gemeinwohl ist wesentlich: „Jemanden lieben heißt sein Wohl im Auge haben und sich wirkungsvoll dafür einsetzen. Neben dem individuellen Wohl gibt es eines, das an das Leben der Menschen in Gesellschaft gebunden ist: das Gemeinwohl. Es ist das Wohl jenes „Wir alle“, das aus einzelnen, Familien und kleineren Gruppen gebildet wird, die sich zu einer sozialen Gemeinschaft zusammenschließen. Es ist nicht ein für sich selbst gesuchtes Wohl, sondern für die Menschen, die zu der sozialen Gemeinschaft gehören und nur in ihr wirklich und wirkungsvoller ihr Wohl erlangen können. Das Gemeinwohl wünschen und sich dafür verwenden ist ein Erfordernis von Gerechtigkeit und Liebe. … Man liebt den Nächsten um so wirkungsvoller, je mehr man sich für ein gemeinsames Gut einsetzt, das auch seinen realen Bedürfnissen entspricht. Jeder Christ ist zu dieser Nächstenliebe aufgerufen, in der Weise seiner Berufung und entsprechend seinen Einflußmöglichkeiten in der Polis.“ 

Dieser Aufruf zur Nächstenliebe ist weder abstrakt noch eine Art Weisung, die einfach förmlich abgehakt werden kann. Benedikt sagt weiter: „Wenn das Handeln des Menschen auf Erden von der Liebe inspiriert und unterstützt wird, trägt es zum Aufbau jener universellen Stadt Gottes bei, auf die sich die Geschichte der Menschheitsfamilie zubewegt.“ So könne heute schon der Gemeinschaft der Völker sichtbar machen, worauf die Menschheitsfamilie sich zubewegt. Wenn sie die „Gestalt der Einheit und des Friedens erreicht“, so wird sie „gewissermaßen zu einer vorausdeutenden Antizipation der grenzenlosen Stadt Gottes“. Insbesondere die Christen sind dazu berufen, durch ihr Sein und Tun in Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes Liebe zu dieser Welt zu bezeugen. Der Empfang von Gottes Liebe führt dazu, diese Liebe dem Nächsten zu erweisen – anders gesagt: zu schenken. So sind wir als Zeugen des Herrn, die seinen Tod und seine Auferstehung verkünden und auf seine Wiederkehr in Herrlichkeit hoffen, zu Boten der Liebe Gottes berufen.

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