Im heutigen Evangelium geht es um das Beten. Darf ich mit einer These beginnen? Die Krise der Kirche ist teilweise auch eine Krise des Betens. Moderne Christen wissen vielleicht noch zu wenig, wie sie richtig beten können. Manche leben mit dem Rosenkranz. Anderen ist der Rosenkranz fern. Vielleicht haben wir Priester und die Religionslehrer hier Entscheidendes versäumt. Ich meine, dass wir, die wir zur Verkündigung berufen sind, den Gläubigen oft eine falsche eine kindische Vorstellung vom Beten vermittelt haben. Wir Priester und die Religionslehrer haben vielleicht Jahrhunderte lang hauptsächlich den Eindruck vermittelt: Beten bedeute vor allem Bitten. Gott um etwas bitten. Und das heutige Evangelium vermittelt ja auch den Eindruck, dass Bitten eine ganz entscheidende Sache des Glaubens sei. Wir sollen Gott bitten und darauf vertrauen, dass er unsere Bitten erfüllt. Das ist richtig, aber doch auch ungenügend. Der modern denkende Menschen, der auf Effizienz schaut, wird damit allein gelassen.  Weil die Menschen oft den Eindruck hatten, Gott erfülle ihre Bitten nicht, haben sie dann nach anderen Methoden gesucht, um das zu erreichen, was mit Beten erreicht werden sollte. Sie sind auf das Meditieren gekommen. Sie meditieren, denken nach, käuen einen Satz Jesu wieder.

Ich möchte Ihnen heute eine andere Art zu beten vorstellen. Sie knüpft an die Frage der Jünger Jesu an: Herr, wie sollen wir beten?

Ich spreche jetzt nur von den drei ersten kurzen Sätzen Jesu im Vater unser. Sie lauten: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe. Darin stecken vor allem zwei Bitten: Dein Reich komme und Dein Wille geschehe. Das sind für Jesus die entscheidenden Bitten, die wir Gott vortragen sollen. Aber diese Bitten klingen doch ganz anders als die Bitten um Gesundheit, um genügend Lebensmittel, oder um besseres Wetter.

Ich selbst versuche, Jesu Aufforderung zum Beten ernst zu nehmen und gleichzeitig zu meditieren. Beten geht gut mit dem Atmen. Beim langsamen Einatmen spreche ich leise: Vater unser im Himmel. Und beim langsamen Ausatmen spreche ich leise: Geheiligt werde dein Name. Und dies versuche ich rund zehn bis zwanzigmal zu tun. Wichtig ist dabei, zwischen dem Ein- und Ausatmen eine kleine Pause zu machen und alles langsam und ruhig fließen zu lassen. Ich versuche, Jesus erst zu nehmen. Geheiligt werde dein Name. Damit bringe ich zum Ausdruck: Die Welt soll in Ordnung sein. Gott ist der Schöpfer, ich bin das Geschöpf. Daher ist der erste Satz Jesu: Dein Name werde geheiligt. Du bist oben, ich bin unten. Die erste Aufgabe des Menschen ist es, den Namen des Schöpfers anzuerkennen und anzubeten.

Und nach zehn bis zwanzigmal „Dein Name werde geheiligt“ bete ich im gleichen Rhythmus: Beim Einatmen: Vater unser im Himmel. Und beim Ausatmen: dein Reich komme. Und auch dies zehn- bis zwanzigmal. Und schließlich die dritte Bitte Jesu: Beim Einatmen: Vater unser im Himmel und beim Ausatmen: Dein Wille geschehe.

Ich zähle nicht mit. Also nicht mitzählen.

Wichtig ist dabei der Glaube: Gott – wo immer er sei – sieht und hört mich. Und wichtig ist die Überzeugung: Jesus wollte, dass seine Anhänger so beten. Wenn ich so die ersten drei Vater-unser-bitten bete, weiß ich, Jesu Wunsch zu erfüllen. Dann weiß ich: Ich bete im Sinne Jesu, ich bin bei ihm.

Worum geht es bei der Bitte „Dein Reich komme“? Es geht zum Beispiel um Frieden in der Ukraine wie um mein persönliches Inneres, dass ich mit mir ihm Reinen bin, dass ich mit den Menschen in meiner Umgebung in Reinen bin, dass ich allen Zorn hinter mir lassen. Dein Reich komme bedeutet auch, dass die Kirche sich wirklich auf Gott ausrichtet und sich nicht um sich selbst dreht. Dein Reich komme bedeutet auch, dass im Vatikan alles richtig läuft, dass es bei den Bischöfen richtig läuft, und erst recht, dass es in der Politik richtig läuft. Dein Reich komme bedeutet, dass wir die Schöpfung schützen, dass wir den Hunger und die Ungerechtigkeit überwinden. Dein Reich komme bedeutet auch, dass die Familienpolitik nicht ganz aus dem Ruder läuft.

Und worum geht es bei der Bitte „Dein Wille geschehe“? Hier geht es zunächst darum, dass ich das annehme, was Gott mir vielleicht zumutet. Ich versuche ihm zu sagen: Was Du mir zumutest, ist sicher gut, auch wenn ich es nicht verstehe und nicht leicht annehmen kann.

Dein Wille geschehe bedeutet auch, dass die ganze Welt nicht aus dem Ruder läuft mit Krieg und Hunger und Elend und Ungerechtigkeit und Ausbeutung.

Bei dieser letzten Bitte denke ich besonders an Jesus am Ölberg. Es ist ihm schwergefallen, das Kreuz anzunehmen, nicht davon zu laufen. Seine Worte waren: Dein Wille geschehe, nicht wie ich will, sondern wie Du willst. Wenn wir das Vater unser so beten, sind wir ganz bei Jesus. Jesus wollte, dass wir so beten. Und Jesus ist ganz bei uns.

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan. 

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