"Paul, magst nicht auch Du etwas über diese Schwester Paula schreiben", fragte mein alter Freund Albert letzten Samstag mit einem Link zu einem Artikel in der Haaretz, der großen links-liberalen Tageszeitung Israels, wo sich der junge Ofer Aderet am 25. Januar 2019, dem Tag der "Bekehrung Pauli", wunderte, dass bei dem Requiem einer 90 Jahre alten polnischen Nonne auf dem Friedhof des klausurierten Benediktinerinnen auf dem Ölberg in Jerusalem auch ein Kaddisch gesprochen wurde, das Totengebet der jüdischen Liturgie.

Und ja, darüber muss ich schreiben, denn die Geschichte Schwester Paulas hatte uns der Benediktiner Bernhard Maria Alter, der im letztem Jahr der neue Abt der Dormitio in Jerusalem geworden ist, im Januar 2002 erzählt, als er uns mit Sr. Paula vor unserer Übersiedlung nach Rom noch schnell miteinander bekannt machte.

Es war dieselbe Geschichte, die jetzt in der Haaretz über Schwester Paula erzählt wurde, einer Holocaust-Überlebenden mit schmerzlich lachenden Augen, die im Leben wie im Tod "zwei Identitäten in sich vereinigte".

Denn sie war 1929 als Rachel Drazek geboren, als Kind Simchas und Fajgas Drazek, eines begüterten jüdischen Ehepaars in Ostroleka in Ostpolen. Ihre Mutter starb, als sie noch Kind war, so dass sie und ihr jüngerer Bruder Yitzchak von Chaya, der zweiten Frau des Vaters großgezogen wurden.

Im September 1939, als sie 10 Jahre alt war, wurde ihr Vater von der sowjetischen Roten Armee eingezogen, die nach dem Hitler-Stalin Pakt Ostpolen überfallen hatte. Er wurde verwundet und später umgebracht.

Danach wurde sie, ihr Bruder und ihre Stiefmutter gezwungen, in ein überfülltes jüdisches Ghetto umzuziehen, wo sie mit großen Kinderaugen Zeuge vom Beginn der systematischen Vernichtung der Alten und Kinder wurde.

Nach einer Flucht aus dem Ghetto "mithilfe guter Polen" wurde sie von der Gestapo eingefangen und ins Ghetto zurückgebracht.

Wenige Tage später gelang ihr dennoch die Flucht. Yitzchak und ihre Stiefmutter hat sie nie wieder gesehen. "Es war kalt. Der Schnee lag zwei Meter hoch. Polen halfen uns, " erinnerte sie sich. Am Tag der Erscheinung des Herrn am 6. Januar 1943 wanderte sie mit einer jüdischen Freundin durch den Wald, als polnische Jäger die verdächtigen Flüchtlinge entdeckten und jederzeit deutsche Soldaten auftauchen konnten.

In dem Moment entdeckte sie in der Nähe ein Wegkreuz und flüsterte ihrer Freundin zu, wenn sie jetzt davor in die Knie gingen, würden sie für Christinnen gehalten. So taten sie es. Sie gingen vor dem Kreuz in die Knie, die kleine Rachel umarmte den Kreuzesstamm und die Jäger zogen weiter.

Als sie sich erhob, sagte sie, war sie eine andere Person geworden. "Ich sah jemanden am Kreuz leiden, der litt wie ich. 'Du bist Jude', hatte ich ihm gesagt. 'Du leidest wie wir.  Wenn du lebst, wirst du mich retten.'"

So entkam sie der Todesgefahr und schwor, sollte sie den Krieg überleben, würde sie diese Begegnung als Zeichen verstehen, dass Jesus der Messias der Juden sei.

Es folgten Monate in einem Versteck in einem Kartoffel-Keller.  Danach gab sie sich als ein polnisches Waisenkind aus und lebte in einer deutschen Familie, mit der sie zur Kirche ging, alle Feste mitfeierte und auch zum Beichten ging. Danach erst ließ sie sich taufen, mit 14 Jahren.

Mit 16, als der Krieg zu Ende war, kam sie in dem Benediktinerinnen-Kloster in Lomza unter, zunächst gegen große Widerstände der Ordensfrauen. "Ich war so allein und wünschte mir jeden Tag den Tod. Schuldgefühle und der Schmerz über meinen verlorenen Bruder stigmatisierten mich. Da beschloss ich, die Nonnen zu bitten, mich als  Novizin im Kloster aufzunehmen, wo ich für das jüdische Volk beten wollte.

Später aber erfuhren Verwandte, wo sie lebte, die sie mit Tränen, Drohungen, und Verlockungen überzeugen wollten, aus dem Kloster zum Judentum zurückzukehren. Sie wollte nicht.

Schließlich musste sie sogar im Innern des Klosters versteckt werden, als sie erfuhr, dass sie entführt werden sollte. Sie wollte das Kloster nie mehr verlassen.

Bei der Taufe hatte Rachel den Namen Maria Janina Malczewska angenommen. Als Nonne wurde sie zur Schwester Paula, nach der heiligen Gefährtin des heiligen Hieronymus in Bethlehem. Mitte der 70-er Jahre reiste sie nach Israel, um in Haifa Bruder Daniel aufzusuchen, einen anderen Holocaust-Überlebenden und Karmeliter-Mönch, der vor seiner Konversion Shmuel Oswald Rufeisen hieß. Die Hafenstadt Haifa war aber noch nicht ihr Ort. So gelangte sie schließlich zu den Benediktinerinnen auf dem Ölberg in Jerusalem, in deren Kloster unterhalb der Himmelfahrtskirche, oberhalb der großen Gräberfelder. Dieses Haus wurde ihre letzte Heimat auf Erden. Sie liebte das Leben im Konvent. "Benediktinisches Leben ist wie jüdisches Leben," lachte sie, "es besteht aus Gebet und Regeln." Zum Jiddisch ihrer Kindheit lernte sie nun Hebräisch, zündete am Sabbatbeginn zwei Kerzen an und bekam am Sabbat selbst freie Zeit, um für das jüdische Volk zu beten – mit dem schönsten Blick auf die Heilige Stadt, den man sich vorstellen kann. Da haben wir sie auch zuletzt gesehen, als Pater Bernhard Maria sie für eine kurze Begegnung vor den Konvent holte, der mit Ikonen aus seiner Hand geschmückt ist.

"Das ist mein Ort", lese ich jetzt von ihr in der Haaretz, "Ich habe nichts verloren, als ich Christin wurde. Im Gegenteil. Ich habe viel mehr gefunden. Jesus war Jude. Seine Mutter war eine gläubige Jüdin. Wir stammen von hier. Das Christentum kommt hierher, aus Jerusalem, wohin ich zurückgekommen bin." Jetzt blickte sie Tag für Tag und bis zu ihrem letzten Atemzug auf den alten jüdischen Tempelberg, wo Jesus wie zuhause war, und – zwei Steinwürfe dahinter im Westen der Altstadt – auf den überbauten Golgatha-Felsen und die Auferstehungskirche über dem leeren Grab Christi. Von Kardinal Jean-Marie Lustiger, dem ehemaligen Erzbischof von Paris und prominenten Konvertiten in der Zeit des Holocaust, wusste sie, dass er sich das Gebet des Kaddisch an seinem Grab gewünscht hatte. An ihrem Grab sprach nun Yisca Harani das jüdische Toten-Gebet, eine Freundin, als sie Schwester Paula am 12. Januar an deren Grab mit den Worten rühmte: "Schwester Paula, Rachel, Tochter von Fajga und Simcha, lächelte immer, war immer warmherzig, doch immer mit tiefer Trauer in ihren Augen. Die Sehnsucht nach ihrer Familie, die sie in diesem grauenhaften Krieg auf dem christlichen Kontinent verloren hat, endete auf dem Ölberg mit Blick auf Jerusalem."

Genauso werden wir sie und ihre lachenden Augen in Erinnerung behalten, die so leuchteten, als würden Tränen darin glänzen. Requiescat in Pace! In Christo vivat! Liebe Schwester Paula, bitte für uns!

Der Artikel in der Zeitung "Haaretz" vom 25.1.2019, der den Autor auf den Tod Schwester Paulaus aufmerksam machte, ist hier zu lesen.

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