Verehrte, liebe Schwestern und Brüder

Wir haben von der Versuchung Jesus durch den Teufel gehört. Da stellen sich viele Fragen: Wie kann der Sohn Gottes versucht werden? Ist er gar nicht der Sohn Gottes? Täuschen wir uns in unserem christlichen Glauben? Wie ist die Versuchung durch den Teufel mit unserer Weltanschauung vereinbar? Gibt es den Teufel? Wie müssen wir uns den Teufel vorstellen?

Zunächst sollten wir ein wenig zurückschauen. Jesus hat sich von Johannes dem Täufer taufen lassen. Er will also mitmachen bei der Bewegung der Bekehrung zu Gott. Der heilige Geist ist dabei auf ihn herabgekommen. Modern gesprochen: Er fühlte seine Berufung, die Berufung, sein Volk zu Gott zurückzuführen.

Und er tut, was man vor einer solchen Aufgabe tun soll: Er geht in die Wüste und fastet. Er bereitet sich auf sein Verkündigen vor. Er ist in der Einsamkeit. Und das ist der richtige Moment, dass tiefe Gedanken in einem aufsteigen. Positive Gedanken und negative Gedanken. Vor allem auch die Frage: Wie mache ich das, mein Volk zu gewinnen? Versuche ich, es zu gewinnen dadurch, dass ich materielle Bedürfnisse befriedige, also ihnen zu essen gebe, Brot beschaffe? Oder überzeuge ich mein Volk dadurch, dass ich meine Macht demonstriere, dass ich Zauberkünste vollbringe, vom der Tempelzinne runterspringe und unten lebendig ankomme?

Oder gewinne ich mein Volk für mich dadurch, dass ich es von seinem Gottesglauben befreie. Das ich es überzeuge davon: Es gibt keinen Gott. Schlagt Euch die Idee aus dem Kopf, nehmt eure Freiheit in die Hand, glaubt an eure Selbstbestimmung. Vergesst die Gedanken, dass ihr vor Gott Rechenschaft geben müsst.

Es sind die drei Basiswünsche des Menschen:

Erstens Essen, keine Angst vor dem Hungertod.

Zweitens Macht, also Weltbeherrschung, genügend Maschinen und Energie, um die Angst vor dem Tod zu überwinden.

Und schließlich als Drittes und Sublimstes: Souveränität oder Selbstbestimmung, Befreiung von der Idee Gottes, von einem Schöpfer, der uns ins Leben gerufen hat, von dem wir abhängen. Macht Euch frei von der der sublimen Idee Gottes. Eure Freiheit besteht in der Abschaffung Gottes.

Und was ist der Teufel?

Um eine Ahnung von dem Teufel oder Satan zu gewinnen, versuche ich jetzt in die Geschichte der Menschheit und in die Tagesereignisse zu schauen. Gibt es nicht immer wieder böse menschliche Entscheidungen, die zu Leid, Tod und Sünde führten? Und stellen sie sich nicht im Nachhinein als Dummheiten heraus? Gibt es nicht immer wieder Kriege, die sich nachher als große Irrtümer zeigen? Ich denke aber auch an die Hexenverbrennungen, an Kreuzzüge, an Sklavenmarkt. Sie zeigten sich im Nachhinein als Irrtümer. Ich denke daran, dass wir Deutsche einmal auf den diabolischen Adolf Hitler reingefallen sind, dass die Russen auf Stalin reingefallen sind. Waren das alles nicht diabolische Irrtümer, die wir einmal für gut gehalten haben? Sind das aber nur menschliche Irrtümer? Nein. Der christliche Glaube sagt, dass hinter solchen menschlichen Fehlentscheidungen ein diabolischer Geist steht. Ein Geist, der den Geist des Menschen gefangen nimmt und in die Irre führt. Genau dies will uns das Evangelium heute auch vermitteln. Auch Jesus kämpfte mit diesem diabolischen Geist, der in die Irre führt. Es sagt uns: Nehmt euch in Acht, denn auch ihr könnt von dem diabolischen Geist verführt werden. Vor allem dann, wenn ihr ihn leugnet. Dieser Geist versteckt sich, will nicht erkannt werden, verkleidet sind in rationale Gründe. Die großen menschlichen Dramen der Geschichte sind leichter zu verstehen, wenn man sie nicht nur als menschliche Bosheiten und Irrtümer ansieht, sondern als Verführungen des Menschen. Das will uns das Evangelium sagen. Und dieses Evangelium ist ebenso wichtig wie das vom Tod und der Auferstehung Jesu Christi.

Hier nun nochmals die Irrtümer, die in der Versuchungsgeschichte angesprochen werden: Denn Essen macht das Herz des Menschen nicht satt.

Macht führt den Geist des Menschen nicht zum Glück.

Gottlosigkeit wirft Fragen auf, die zur Verzweiflung führen, wenn man sie zu Ende denkt.

Und weil Jesus ganzer Mensch ist – und offenbar auch ein gescheiter Mensch – steigen in der Wüste und beim Hungern alle diese Fragen in ihm auf und treiben ihn um. Er ringt mit diesen Fragen, er kämpft mit den Gedanken. Es geht ihm wie uns. Denn er ist eben auch ganzer Mensch. Er steht nicht so souverän über den Fragen, wie wir uns das vielleicht vorstellen. Aber er gewinnt den Kampf nach hartem Ringen.

Ich möchte noch auf eine andere Versuchung Jesu hinweisen, die mich persönlich besonders bewegt. Am Abend vor seiner Kreuzigung ist er im Ölgarten vor den Toren von Jerusalem. Er sieht vor sich, wie er gefoltert werden wird. Und er sieht die Möglichkeit, jetzt in der Dunkelheit zu fliehen. Er kämpft mit der Versuchung, im Dunkeln zu verschwinden. Und in seinem Kopf steigen vielleicht die Gedanken auf: Ich muss meine Verkündigung noch einmal neu versuchen, vielleicht habe ich es nicht ganz richtig gemacht, denn ich habe keinen großen Erfolg gehabt. Und ich muss mir andere Jünger suchen, denn die meinen sind Feiglinge, sie verstehen mich nicht, sie schlafen draußen ein, während ich vor Angst umkomme. Jesus ringt mit versucherischen Gedanken. Fromm klingt es so: Nimm den Kelch von mir. Aber dann ringt er sich durch zu dem Wort: Nicht mein Wille geschehe, sondern der Deine. Jesus versteht uns in unseren Versuchungen besser als wir uns das wohl vorstellen. Denn er hat härter mit Versuchungen gekämpft als wir. Es bleibt für uns ein Geheimnis, wie er gleichzeitig ganz versuchbarer Mensch und Gott sein konnte.

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Warum glauben wir aber, dass Jesus Gott ist? Weil er auch mit göttlicher Souveränität aufgetreten ist. Das zeigt sich in ein paar Worten und Taten: Er sagt bei der Bergpredigt: Moses hat euch gesagt, ich aber sage euch. Er sagt noch viele andere Worte, die darauf hinweisen, dass er sich selbst als Vertreter Gottes versteht. Und er heilt Menschen. Und er treibt dämonische Geister aus. Und er sagt, was kein Mensch sagen darf: Ich vergebe Dir deine Sünden. Und er zeigt sich schließlich nach seinem schrecklichen Tod als Lebender. Und das größte Wunder ist vielleicht, dass seine Sache nach seinem Tod und dem Verrat der Jünger nicht zu Ende ist, sondern angesprungen ist. Das ist das größte Wunder. Jeder Soziologe und Psychologe und Kulturgeschichtler hätte gesagt: Die Story von Jesus war wunderbar, aber nach seinem Tod ist sie ausgeträumt. Sie ist aber nach seinem Tod erst richtig losgegangen. Die Versuchungen Jesu in der Wüste und am Ölberg zeigen, welches auch unsere Versuchungen sind, mit denen auch wir konfrontiert sind: Sind uns Essen, Macht und Selbstbestimmung ohne Gott wichtiger als der Glaube, dass wir von einem gütigen Vater ins Leben gerufen wurden. Das sind die Grundfragen auch unseres Lebens. Bitten wir jetzt während der Fastenzeit Gott um den Heiligen Geist in unserer Wüste, dass wir dem Diabolos, den bösen, falschen Eingebungen widerstehen und mit Jesus siegen können. Amen

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.