Im Jahr 2014 besuchte besuchte Papst Franziskus den Europarat in Straßburg und das Europäische Parlament. Er warnte die Abgeordneten, dass „Europa seine Anziehungskraft verloren zu haben scheint, nur um durch die bürokratischen Formalitäten seiner Institutionen ersetzt zu werden“. Er sagte weiter, man müsse sich zusammentun, um das zu bekämpfen, was er „die Globalisierung der Gleichgültigkeit“ nannte. Papst Franziskus zitierte bei seinem Besuch des Europarates Papst Paul VI., der die Kirche definierte als „Expertin in allem, was den Menschen betrifft“. In der Nachfolge Christi suche sie in der Welt – trotz der Sünden ihrer Kinder – nichts anderes, als zu dienen und Zeugnis für die Wahrheit abzulegen.

Die Rolle des Heiligen Stuhls, so Papst Franziskus, sei ausschließlich von diesem Geist geleitet zur Unterstützung des Weges der Menschheit. Die Mission des Europarates müsse sein, den Friedens, die Freiheit und die Menschenwürde zu fördern.

Die Menschenwürde stand im Mittelpunkt einer Konferenz des Europarates im September 2022. „Brüderlichkeit und Menschenrechte” war das Motto. Erzbischof Fortunatus Nwachukwu, der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf, nahm an der Konferenz teil. Sein Beitrag stand ganz im Geist der Enzyklika „Fratelli Tutti“.

Der Europarat ist doch eigentlich nicht Ihr Zuständigkeitsbereich. Wie kommt es, dass Sie auch dort landen?

Nun, es ist eine internationale Organisation. Es ist eine zwischenstaatliche Organisation, eine regionale Organisation für die Region Europa. Und der Heilige Stuhl ist dort auch vertreten. Wir haben einen ständigen Vertreter und Beobachter des Heiligen Stuhls beim Europarat in Straßburg, so wie wir auch einen anderen Vertreter des Heiligen Stuhls in Brüssel haben. Hier in Genf haben sind wir auch bei der UNESCO, auch in Paris und auch in Wien.

Wir sind bei diesen zwischenstaatlichen und internationalen Organisationen, auch in Afrika, die Afrikanische Union. Wir sind auch in Lateinamerika bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vertreten. Also auch dort sind wir vertreten. Und als ich in Trinidad und Tobago war, war ich auch bei der dortigen regionalen Organisation der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) akkreditiert. Es ist also eine übliche Praxis des Heiligen Stuhls, dass wir auch auf der regionalen Ebene vertreten sind und auch an den Sitzungen dieser Organisationen teilnehmen.

Exzellenz, der Titel der Konferenz lautete „Brüderlichkeit und Menschenrechte“. Das klingt fast wie eine Kapitelüberschrift aus einer der Enzykliken von Papst Franziskus, oder?

In der Tat, denn die Enzyklika des Papstes „Fratelli Tutti“ über die menschliche Brüderlichkeit war eigentlich mein Ausgangspunkt bei dieser Konferenz. Mein Beitrag bezog sich darauf, wie die Enzyklika „Fratelli Tutti“ die Beteiligung oder das Engagement von Christen in internationalen Organisationen, in internationalen Konferenzen, erklärt, insbesondere wie sich die katholisch inspirierten Nichtregierungsorganisationen in diese Organisationen einbringen.

In diesem speziellen Fall ging es um den Europarat. Und einer der Hauptteilnehmer, der mit mir auf der Konferenz sprach, war ein Vertreter des Europarates, der stellvertretende Generalsekretär, Bjørn Berge. Und wir lieferten bei dieser Gelegenheit einen bemerkenswerten Redebeitrag. Ja, es gab einen Einfluss der Enzyklika des Papstes über die menschliche Brüderlichkeit.

Sie haben in Ihrer Rede in Straßburg vor dem Europarat erwähnt, was Papst Franziskus auf dem VII. Kongress der Führer der Welt- und traditionellen Religionen, der im September in Kasachstan stattfand, gesagt hat: „Der Weg des interreligiösen Dialogs ist ein gemeinsamer Weg des Friedens und für den Frieden.“ Exzellenz, erfordert dieser erwartete gemeinsame Weg nicht zunächst ein grundlegendes Verständnis über den allmächtigen Gott?

Sie haben Recht. Wenn wir über Frieden und Dialog zwischen den Menschen des Glaubens sprechen, dann deshalb, weil wir an Gott glauben. Und ob wir nun von Christen, Muslimen oder Juden sprechen, dieser Gott ist ein Gott des Friedens. Er ist ein Gott des Friedens. Ich weiß, dass Muslime von Gott als einem Gott der Barmherzigkeit sprechen, einem barmherzigen Gott. Und wir selbst sprechen auch von Gott als dem Gott des Friedens. Ich möchte auch erwähnen, dass der Papst sogar noch einen Schritt weiter gegangen ist als das, was er in Kasachstan gesagt hatte.

Kürzlich war er in Bahrain, und während seiner Reden in Bahrain sprach der Papst über die wahre Identität der Religionen. Er sagte, dass es wichtig sei, sich auf die wahre Identität jeder Religion zu konzentrieren, weil die Religionen in ihrer wahren Identität, der authentischen Identität der Religionen, normalerweise auf Frieden ausgerichtet sind. Normalerweise geht es um Brüderlichkeit, brüderliche Liebe. Aber es ist der Missbrauch der Religion – wenn die Menschen die Religion falsch anwenden –, der das hervorbringt, was wir als Extremismus und Gewalt bezeichnen. Sie benutzen die Religion als Mittel zur Spaltung und Gewalt.

Und der Papst sprach in Bahrain von etwas sehr Bedeutsamen, nämlich von der Blasphemie des Krieges und der Blasphemie der Gewalt. Wir wissen, dass einige Religionen von Blasphemie sprechen, wenn Menschen Gott beleidigen. Und der Papst sagte, dass die Anwendung von Gewalt, der Einsatz von Religion für Gewalt oder zur Unterstützung von Gewalt eine Blasphemie sei. Er erwähnte diese Blasphemie im Zusammenhang damit, dass wir die Kriege, die wir haben, nicht hätten, wenn die religiösen Menschen ihrer Religion treu bleiben würden. Ganz zu schweigen davon, dass man versucht, kriegerische Interventionen mit der Religion zu rechtfertigen, was aus Sicht der Christen nicht in Frage kommt.

Der Papst besteht darauf, dass der Christ nichts anderes als Liebe predigen kann, wenn der Christ dem Vorbild Christi folgt. Auch dann wenn er herausgefordert wird, ist er aufgefordert, mit Liebe zu antworten. Und das sagte der Papst in Bahrain. Es darf keine Gewalt geben für Menschen, die authentisch sind, Menschen, die gläubig sind, ob sie nun Christen oder Muslime oder Juden sind, oder auch die nicht monotheistischen Religionen. Religion ist immer eine Quelle des Friedens, eine Quelle des Dialogs, eine Quelle der Brüderlichkeit. Die Religion lehrt uns, dass wir alle Brüder und Schwestern in dieser einen Familie sind, die wir den Planeten Erde nennen.

Der allererste Papst, der das Europaparlament und den Europarat besuchte, war Papst Johannes Paul II. 1988. Er sagte damals unter anderem, dass es darum gehe, die Menschen miteinander zu versöhnen, die Angehörigen verschiedener kultureller Traditionen oder Denkschulen zu akzeptieren, die Fremden und Flüchtlinge willkommen zu heißen, offen zu sein für den geistigen Reichtum der Völker anderer Kontinente.

Exzellenz, heute sind so viele deutsche und andere europäische Christen besorgt, oft sogar ängstlich, dass insbesondere wegen der Flüchtlinge der Islam bald Westeuropa dominieren könnte und dass ihr religiöser Ruf darin bestünde, Menschen zum Islam zu bekehren? Basierend auf Ihren Erfahrungen und Ihrer Begegnungen mit anderen religiösen Führern, glauben Sie, dass der Islam dem folgt oder sogar folgen kann, was Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Fratelli Tutti“ als Handwerker des Friedens, Verfechter des Dialogs, der Brüderlichkeit und des Gemeinwohls beschreibt?

Sehen Sie, ich verwende mal ein philosophisches Hilfsmittel, ein Diktum, etwas, das wir von den alten Römern über die Philosophie überliefert bekamen. Sie sagten, dass zwar von der Wirklichkeit auf eine Möglichkeit geschlossen werden kann, doch ist der andere Weg, von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit zu schließen, ungültig. Man kann sagen, ja, das kann passieren, weil es schon passiert ist. Können Muslime sich auf das zubewegen, worüber der Papst im Bereich des Dialogs für den Frieden spricht?

Nun, schauen wir uns also an was bereits passiert ist. Der Papst hat bereits ein Dokument über die menschliche Brüderlichkeit mit dem Großimam von Al-Azhar in Ägypten unterzeichnet. Und auf der Grundlage dieses von ihm unterzeichneten Dokuments hat der Papst schließlich seine Enzyklika „Fratelli Tutti“ verfasst.

Wenn also ein großer Führer des Islams mit dem Papst zusammentreffen kann, um ein solches, gemeinsames Dokument über die menschliche Brüderlichkeit zu verfassen, über die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Menschen, im Dialog und in der Zusammenarbeit für den Frieden zusammenzuarbeiten und anzuerkennen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind – wenn also diese beiden Führer des Christentums und des Islams es sogar auf dieser Ebene tun können, dann bedeutet das auch, dass aufrichtige Christen und aufrichtige Muslime das Gleiche auf, sagen wir, niedriger Ebene tun könnten.

Wenn man Menschen des Glaubens begegnet, sollte man ihnen nicht mit Angst begegnen. Man sollte ihnen mit Liebe begegnen. Man trifft sich auch nicht, um die andere Person zu zwingen, ihr Schicksal aufzugeben und sich einem anzuschließen. Wir sprechen hier von Dialog. Dialog bedeutet, dass zwei Menschen miteinander reden, und das bedeutet, dass ich dir zuhöre, während du mit mir redest, und ich rede mit dir, während du mir zuhörst.

Es gibt zwei Merkmale, meinen Standpunkt darzulegen und Ihnen zuzuhören, wenn Sie Ihren Standpunkt darlegen. Man kann keinen Dialog führen, wenn man seine Position nicht kennt. Nun, die Menschen, die Angst davor haben, dass die Muslime kommen und sie konvertieren, haben deshalb Angst, weil sie nicht mehr, nun ja, an ihrem Glauben festhalten. Wenn wir unsere Hausaufgaben gut machen und den christlichen Glauben in Europa gut pflegen, werden wir uns daran erinnern, dass eines der Merkmale, eines der Grundprinzipien des Christentums ist, andere willkommen zu heißen und aufzunehmen, auch wenn sie einen anderen Glauben haben.

Und wenn wir sie dann willkommen heißen, legen wir ihnen auch die Grundsätze unseres Glaubens dar, und sie legen uns die Grundsätze ihres Glaubens dar. Der Glaube ist nicht etwas, das wir einem anderen aufzwingen. Wenn Sie einen anderen zwingen, Ihren Glauben anzunehmen, ist das eine Misshandlung der anderen Person. Aber wenn die Person aus freien Stücken beschließt, sich Ihrem Glauben anzuschließen und sagt, oh, ich mag die Art, wie Sie leben, ich mag, worüber Sie sprechen, ich mag, was Sie predigen, dann sollte diese Person in der Lage sein, sollte frei sein, den neuen Glauben anzunehmen. Ganz gleich, ob es sich um einen Muslim handelt, der versucht, einen neuen Glauben anzunehmen, oder um einen Christen, der versucht, einen neuen Glauben anzunehmen. Es ist eine Frage der Religionsfreiheit, die auch die Freiheit einschließt, seinen Glauben oder seine Religion zu wechseln. Wir sollten keine Angst haben. Wir sollten nur unseren eigenen Glauben vertiefen. Und wenn wir dann fest in unserem Glauben verwurzelt sind, können wir in den Dialog gehen. Wir können dann auch die anderen Menschen anderen Glaubens ohne Angst, aber mit Liebe willkommen heißen.

Der Europarat ist institutionell nicht mit der Europäischen Union (EU) verbunden, auch wenn beide die Europaflagge und die Europahymne verwenden. Die zentrale Zuständigkeit des Europarats ist der Schutz der Menschenrechte und die Völkerverständigung, bei der EU steht dagegen als weitaus tiefer integrierte Organisation die konkrete wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit im Vordergrund. Als Vertragsstaat des Europäischen Kulturabkommens spielt der Heilige Stuhl eine aktive Rolle in der kulturellen Arbeit der Organisation, des Europarates. Er nimmt auch am Evaluierungs- und Überwachungsprozess von Moneyval teil. Zudem ist der Heilige Stuhl auch Mitglied einiger wichtiger Gremien des Europarates.

Aus Ihrer eigenen Erfahrung, Exzellenz, hat die Teilnahme des Heiligen Stuhls an diesen doch sehr weltlichen und oft sogar politisch ausgerichteten Konferenzen irgendeine Wirkung, oder was ist die gewünschte Wirkung?

Eines der größten Probleme, die wir heute in unserer Gesellschaft haben, ist das Problem der Unwissenheit. Und Unwissenheit erzeugt Vorurteile und Vorurteile erzeugen Diskriminierung. Und sehr oft kann Diskriminierung zu Gewalt und Ablehnung des anderen führen. Die Teilnahme des Heiligen Stuhls in diesem Zusammenhang spielt eine wichtige Rolle, indem sie die anderen wissen lässt, was wirklich die Prinzipien des Christentums sind. Sie gibt dem Heiligen Stuhl auch die Möglichkeit zu erfahren, was die anderen Menschen über ihre eigene Religion sagen.

Wir haben manchmal Angst vor Muslimen, weil wir ihre Religion nicht gut kennen. Vielleicht haben wir nur von Menschen gehört, die sich als Kamikaze-Bomber in die Luft sprengen und den Namen Allahs rufen.

Und meine Freunde, die Muslime sind, haben mir immer wieder gesagt, dass das nicht die Darstellung des wahren Islam ist. Wir haben Extremisten und Extremismus in allen Religionen, und das ist eine Vergewaltigung, ein Missbrauch der Religion.

Diese internationalen Konferenzen, diese Treffen bieten uns also die privilegierte Gelegenheit, den anderen zuzuhören, wenn sie uns ihre wahre Religion und die Grundsätze ihrer Religion vorstellen.

Natürlich, sofern man Vorurteile hat, wird man dazu sagen, dass sie nicht ganz richtig sind, dass sie falsch sind, das du von Leuten sprichst, die vor dir etwas verbergen, und so weiter und so fort. Aber je mehr man sich näher kommt, desto mehr Vertrauen wächst aus der Freundschaft, und Vertrauen bringt Offenheit mit sich. Und Offenheit hilft uns, nicht nur unsere positiven, sondern auch unsere negativen Seiten aufzudecken und herauszufinden, wie wir gemeinsam besser werden können, wie wir gemeinsam wachsen können.

Und ich bin sicher, dass man nicht nur als Muslime, sondern auch als Christen in verschiedenen Punkten besser werden könnte, wenn es darum geht, wie wir unsere Religion präsentieren und leben. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass auch die Muslime besser werden können in der Art und Weise, wie sie ihre Religion leben und wie sie ihre Religion wahrnehmen lassen.

Ja, es ist wichtig, an diesen internationalen Treffen teilzunehmen, weil sie uns die Möglichkeit geben, uns selbst zu präsentieren, unseren Standpunkt darzulegen und den Standpunkt der anderen und die Selbstdarstellung der anderen besser kennenzulernen, damit wir die extremen Ausprägungen des Extremismus von den Grundprinzipien jeder der Religionen trennen können.

Ich denke, dass der internationale Dialog der einzige Weg nach vorne ist, wenn wir eine Welt der Brüderlichkeit, des Friedens und der Zusammenarbeit aufbauen wollen, in der wir das menschliche Leben, die menschliche Würde und das Streben nach dem Gemeinwohl respektieren werden.

Im September hatte der Staatssekretär des Heiligen Stuhls, Pietro Parolin, die Staats- und Regierungschefs der Welt bei der UN-Generalversammlung aufgefordert, sich gemeinsam für den Frieden einzusetzen, der „aus der Begegnung und dem Dialog“ und nicht aus Waffen oder Angst geboren wird. Unter Berufung auf Papst Franziskus, sagte er: „Es ist notwendig, von den Strategien der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht zu einem Plan für den globalen Frieden überzugehen: Nein zu einer Welt, die unter konkurrierenden Mächten geteilt ist; Ja zu einer Welt, die unter Völkern und Zivilisationen geeint ist, die sich gegenseitig respektieren.“

Original-Interview aufgenommen in Genf von Kameramann Andriy Ryndych | Deutscher Sprecher: Jan Terstiege | Redaktion, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für EWTN Deutschland und CNA Deutsch. Eine Produktion von Pax Press Agency, Sarl.

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