Ein Haus, ein Baum, einen Sohn: Das sind angeblich Ziele, die jeder Mann im Leben verfolgen und verwirklichen sollte. Mein Mann, ist ganz vorne mit dabei, wenn man den Sohn auch gegen drei Töchter aufwiegen muss. Zumindest sagte das letztens ein Bekannter zu ihm: Er habe zwar keinen Sohn, aber dafür drei Töchter.

Unabhängig davon, was ich von dieser Aussage halte, stellte sie uns doch vor die interessante Frage, ob er oder wir damit wirklich schon unsere Lebensziele erreicht haben. Was kommt denn dann jetzt noch?

Ich halte dieses reine besitzen oder anhäufen von Dingen als nicht besonders erstrebenswert. Erst recht nicht, wenn es um Kinder geht. Die besitze ich schon mal gar nicht, sondern ich sehe sie als Geschenk an, die ich auf einem Stück ihres Weges begleiten darf. Lebensziele stagnieren nicht, sie entwickeln sich. Ich würde sogar sagen, dass ich sie in jeder meiner Lebensphase anders definiere. Vielleicht würde ich sogar von kleinen und von großen Zielen sprechen, die sich alle um das Streben nach Glück und Vollkommenheit drehen.

Kleine Ziele können ein schönes Abendessen mit meinem Mann sein, ein guter Urlaub, ein schöner Nachmittag mit meinen Töchtern auf dem Spielplatz. Große Ziele sind für mich in meinem Leben sicherlich meine gelungene, glückliche Ehe, unser Haus, unsere Kinder.

Mein Mann und ich hatten letztens folgendes Gespräch dazu: Wir haben festgestellt, dass wir ganz aufregende, prägende Jahre hinter uns haben. Angefangen vor 11 Jahren, als wir unsere Beziehung fest gemacht haben, als wir begonnen, unseren gemeinsamen Lebensweg zu gestalten, als wir geheiratet haben, als wir unser Haus gekauft haben, saniert haben, unsere Töchter bekommen haben, gemeinsam Schicksalsschläge wie den Tod geliebter Menschen, schwierige Schwangerschaften, Krankenhausaufenthalte mit den Töchtern bis hin zum heutigen Tag, an dem wir zufrieden und scheinbar mit vielen Häkchen auf einer unsichtbaren Lebensliste beisammen sind und uns fragen: Was kommt denn jetzt noch?

Ich glaube, dass es jetzt erst richtig los geht. Wir haben unser Gerüst für ein gelungenes Leben geschaffen und müssen jetzt die Verantwortung übernehmen, es mit Leben zu füllen. Nie zu vergessen dabei den lieben Gott, den man gerne immer dann zur Rate zieht, wenn etwas nicht glatt läuft und ihn oftmals vergisst, wenn es eine lange Zeit gut läuft. Dabei ist er es doch, der uns dieses ganze Glück geschenkt hat, zumindest bin ich davon fest überzeugt.

Wenn es um die Frage nach einem Ziel im Leben geht und um die Frage nach dem Glück, dann denke ich an den ältesten Bewohner unserer Straße. Er ist 97 Jahre alt, kämpft mir diversen Krankheiten, hat seit einem Granatsplitter im zweiten Weltkrieg nur noch eine Niere und geht trotzdem täglich mit seiner Tochter und dem Rollator die Straße einmal auf und ab. Seine Lebensleistung sind 10 Doppelhäuser, die in unserer Straße in den 1950ern gebaut wurden. Baupläne und Material gestellt von einem großen Arbeitgeber im Rheinland, Bau und Fertigstellung in unzähligen Stunden als Eigenleistung von den späteren Hausbesitzern nach Feierabend. Nach dem Krieg eine Meisterleistung. Unseren Keller hat er mit einer Schaufel ausgehoben, die Stahlträger sind Eisenbahnschienen aus dem zerbombten naheliegenden Bahnhof, die Wände sind zum Teil mit Steinen aus zusammengesuchten Trümmern errichtet.     

Nun läuft er seinen beschwerlichen täglichen Spaziergang, grüßt alle Nachbarn und erfreut sich besonders an unseren Kindern, die nicht nur die jüngsten Bewohner der Straße sind, wie er immer begeistert feststellt, sondern in vierter Generation eines der Häuser mit Leben füllen, die er mit eigener Muskelkraft gebaut hat.

Wenn ich also an ein gelungenes Leben denke, dann denke ich auch an ihn, der uns unser Haus vor vielen Jahrzehnten gebaut hat, zu einem Zeitpunkt, an dem meine Eltern noch nicht geboren waren, ich noch nicht einmal von ihnen gedacht war und meine Kinder in ganz weiter Ferne als Gedanke Gottes gedacht waren. Wenn der liebe Gott jeden Menschen kennt, jedes Haar auf unseren Köpfen gezählt hat, dann wusste er vermutlich damals schon von mir und hatte vielleicht schon damals seine helle Vorfreude daran, dass wir einmal dieses Haus bewohnen würden und seinen Erbauer täglich auf der Straße grüßen würden.

So scheint mir Beständigkeit ein wichtiger Marker eines gelungenen Lebens zu sein. Kinder sind über viele Generationen hinweg beständig, eine Ehe ist beständig und die Familie, die einen von Geburt an begleitet ebenso.

Ob der alte Mann sein Leben als gelungen bezeichnet, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, aber der Stolz mit dem er durch "seine" Straße geht, zeigt mir, dass er wenigstens zufrieden mit dem ist, was all die Jahre überdauert hat: Seine Bauwerke, die vielen Familien Heimat gegeben haben und immer noch geben.

 

Das Blog "Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter" mit Elisabeth Illig erscheint jeden Montag bei CNA Deutsch. Alle bisherigen Blogposts finden Sie hier im Überblick. 

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