"Wo soll ich als ganz normaler Mensch jetzt noch Halt finden?" Diese Frage stellte mir am 18. Mai, zum Ende des "Kirchenstreiks", eine ehemalige Studentin. Sie war empört, tieftraurig, erschüttert und fassungslos. Die Berichterstattung über das mediale Ereignis "Maria 2.0" hatte sie aufmerksam verfolgt und Stimmen wie Stimmungen vernommen. Von leiser Trauer waren viele katholische Christen bewegt, glaubenstreue Frauen und Männer, die öffentlich nicht wahrgenommen werden. Wovon wir aber lesen und hören: In Wolfenbüttel, einer Kleinstadt in der Nähe von Braunschweig, beteten Christen vor dem Tabernakel im Kerzenschein für eine "Erneuerung" der katholischen Morallehre. Die zugehörige Agenda ist weithin bekannt. Die verstörende Neuheit der Bewegung "Maria 2.0" sind nicht die altbekannten Thesen, sondern der Aufruf zum "Kirchenstreik". Verweigerung der Teilhabe an der Eucharistie? Liturgische Bildung scheint heute nicht mehr allzu verbreitet zu sein. Immerhin haben die bedingt positiv zu dieser Gruppe stehenden Bischöfe – wie der Osnabrücker Bischof Dr. Franz-Josef Bode – zumindest dieser Form des Protestes widersprochen.

Wir dürfen Eucharistie feiern, am Sonntag und in vielen Kirchen auch an Werktagen. Eucharistie heißt "Danksagung". Wer das Zentrum der heiligen Messe sich vergegenwärtigt, denkt zunächst an die Präfation. Joseph Pascher, der liturgische Lehrer Joseph Ratzingers, schreibt, diese werde vom Priester in "ausdrucksvoller Feierlichkeit" vorgetragen, "um den Gläubigen den inneren Geist des Meßopfers" nahezubringen. Dieses "Opfer im ewigen Geiste" ist überzeitlich – in der "unaufhörlichen Wiederdarstellung im Meßopfer". Verstehen viele Menschen heute vielleicht die Feier der Eucharistie als ein bloßes Abendmahl der fröhlichen, frommen Erinnerung? Ein nettes Beisammensein, bei dem ich mir als mitfeiernder Gast auch noch nach Belieben aussuchen kann, welche Aufgabe ich dabei übernehme? Joseph Pascher schreibt: "Das Opfer der Messe ist identisch das gleiche wie das auf dem Berg Golgotha. … Auf dem Altar der christlichen Kirche wird deshalb nicht ein zweites Opferwerk vollbracht, sondern das eine wiederdargestellt. Es wird also keine Vervielfältigung geschaffen." Wer fernbleibt, so können wir sagen, der bleibt – dem eigenen Willen folgend – draußen, vor der Tür, fern vom Kreuz. Wer sich abwendet, kehrt sich ab vom Herrn. Der Christ geht "in das Opfer Christi" mit ein und gibt sich hin, denn "Mitfeiern" bedeutet "Mitopfern". Der Gläubige bittet darum, dass der Vater sein Opfer annehme – ein Automatismus besteht nicht, wir bitten darum, als Antwort auf das "Orate fratres" des Priesters: "Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen, zum Lob und Ruhme seines Namens, zum Segen für uns und seine ganze heilige Kirche." Joseph Pascher schreibt: "Das Eingehen in das Opfer ist Gabe des Vaters, antwortende Liebe, aber die Gabe will immer erbeten sein, um in der Lebendigkeit der Gemeinschaft mit Gott nicht zu erstarren." Der Priester handelt "in persona Christi", er vertritt "geheimnisvoll-wirklich" den Herrn. Er muss "aus der Liebe Christi" leben, eins sein "mit dem Hohenpriester und dessen innerster Opferabsicht". Die mitfeiernden Gläubigen, so Pascher, können es als persönliches Opfer betrachten, zur heiligen Messe zu kommen und im Schott mitzulesen oder heute das Hochgebet anzuhören: "Jedoch nur, wenn sie in die Opferliebe Christi eingehen, wird die erhabene Feier auch ihr persönliches Opfer und ,acceptabile’ vor dem Throne der göttlichen Majestät."

Joseph Pascher legte die kleine Schrift "Inwendiges Leben in der Werkgefahr" (erschienen im Erich Wewel Verlag) erstmals 1940 vor. Seine Überlegungen haben nicht nur nichts an Aktualität eingebüßt, sie sind heute wichtiger denn je. Er erinnert daran, dass die Sonntagspflicht besteht, aber es geht nicht um eine subjektive Pflichterfüllung, nicht um Teilnahme an einem nur "schönen Gottesdienst". Es genüge auch nicht, so Pascher, "wenn die Gläubigen recht laut beten und singen": "Das Werk, zu dem die Kirche anhalten will, ist das Eingehen in das Opfer des Herrn, die Mitfeier, das Mitopfern."

Wir sind zur Teilhabe am Opfer Christi eingeladen. Für Pascher und nicht nur für ihn war es unvorstellbar, dass eines Tages zu einem "Kirchenstreik" aufgerufen werden könnte, zu einem öffentlichen Ereignis, dem auch von einigen Lehrern des Glaubens Verständnis und Sympathie entgegengebracht würde. Wir wissen nicht, welche Aktionen noch folgen werden. Die eingangs aufgenommene Frage meiner traurigen Studentin möchte ich wiederholen: "Wo soll ich als ganz normaler Mensch jetzt noch Halt finden?" Ich verstehe den Schmerz so sehr. Meine Antwort bleibt: "Bei Christus und Seiner Kirche."

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