Wir stehen wenige Tage vor dem Fest der Geburt unseres Erlösers. Wenn wir das Wort „Erlöser“ hören, dann sofort die Frage: Und warum erlöst er uns nicht von der Pandemie Corona. Warum erlöst er uns nicht vom Flüchtlingselend, vom Hunger, von Seuchen, von Krieg und auch von Dummheiten? Wir bräuchten Frieden, Nahrungssicherheit, Gesundheit, auch Überwindung von Angst und Einsamkeit. Wir brauchen keinen Weihnachtszauber mit Lebkuchen und Glühwein.

Noch vor hundert Jahren hätten wohl die meisten Priester verkündet: Die Pandemie ist eine Strafe Gottes für die Sünden der Menschheit, für ihren Materialismus, Egoismus, für ihre Vergnügungssucht. Heute spricht wohl fast niemand von Strafe Gottes in der Pandemie. Ist das richtig?

Ich denke: Die Pandemie ist für den Menschen, der nach Gott fragt, ein Denkanstoß. Die Pandemie soll uns vielleicht an einige Tatsachen erinnern, die die Menschheit vergessen oder verdrängt hat. Die Menschheit hat seit dem 2. Weltkrieg immer mehr der Überzeugung: Wir haben Welt und Geschichte weitgehend im Griff, wir besiegen die Krankheiten, wir schieben den Tod ein gutes Stück hinaus, wir bauen Maschinen, die uns preiswert in Stunden um die Welt transportieren, andere Maschinen, die Informationen in Sekundenschnelle den Globus umkreisen. Und wenn wir viel Geld haben, können wir auf dem Mars spazieren gehen. Probleme haben wir noch mit Diktaturen und mit der Oberflächlichkeit und Vergnügungssucht der Menschen. Aber die kriegen wir auch in den Griff. Die Menschheit fühlte sich immer mächtiger, immer allmächtiger.

Und die Pandemie kann uns daran erinnern: Der Mensch ist nicht allmächtig. Er kommt an seine Grenzen. Er ist nicht Gott, der Mensch hat keine göttliche Kraft. Auch kann uns die Pandemie erinnern: Aller Fortschritt gibt dem Menschen keine Antwort auf die Frage: Welchen Sinn hat mein Leben. Unsere Sehnsucht nach Treue, nach Liebe, nach Verbindlichkeit wird durch allen technischen Fortschritt nicht gestillt. Diese tiefe Sehnsucht in jedem von uns lässt sich nicht auslöschen. Wir können den Sinn unseres Lebens nicht Musik verdrängen, nicht organisieren. Wir können ihn nur suchen und vielleicht dann sogar finden. Und da spricht nun das Weihnachtsfest, auf das wir zugehen von einem Erlöser.

Die Lesungen von heute geben uns den Ansatz einer Antwort. Die Lesung aus dem Propheten Micha spricht von der Geburt eines Herrschers, der dem Volk Israel Frieden bringt. Die Sehnsucht nach Sinn zeigte sich im Volk Israel auch in der gemeinsamen Ausschau nach einem Friedenskönig, der das Volk Israel eint, nach einem Messias. Und dieser Messias kommt nicht aus dem berühmten Jerusalem, sondern aus einem kleinen Dorf, Bethlehem. Und im Evangelium geht es um eine scheinbar kleine nebensächliche Begegnung zwischen zwei schwangeren Frauen, Maria und Elisabeth. Mir scheint, dass das symbolische Hinweise darauf sind, dass die Erlösung nicht vom Großen, Starken, Mächtigen kommt, sondern von unten, vom Kleinen.

Das gemeinsame Warten des Volkes Israel auf einen Erlöser zeigt: Die Suche nach dem Erlöser braucht Gemeinschaft. Jeder allein ist nur ein einsamer Sucher. Wo zwei oder mehr gemeinsam nach einem Erlöser ausschauen, ist das für alle Suchenden gut. Gottsuche und Gottesdienst sind immer eine Gemeinschaftsfeier. Jesus sagt ja auch: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Wenn wir einander in der Suche und im Ausschauen nach dem Erlöser begegnen, stärkt das unsere Hoffnung. Es ist gut, wenn wir unseren Glauben teilen, wenn wir miteinander Hand in Hand gehen.

Und die Erlösung kommt in unsere Herzen, wenn wir – wie Maria und Elisabeth – aufeinander zugehen. Elisabeth sagt: Das Kind in meinem Schoß hat sich geregt, als ich deine Stimme hörte. Und Elisabeth preist Maria: Selig bist du, die du geglaubt hast, was dir der Engel gesagt hat. Erlösung kommt nicht laut und von außen, sondern leise und ganz von innen. Aber der Weg nach innen ist für uns alle nicht so einfach. Er braucht Zeit und Ruhe. Es gibt ein wunderbares Wort des früheren viel gereisten UNO-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld: „Die längste Reise ist die Reise nach innen.“

Wer bringt aber auch ganz praktisch Erlösung in einer Seuche? Ich möchte hier in Europa auf eine wunderbare Heilsgeschichte verweisen. Denn haben nicht Zehntausende von Ordensfrauen durch Jahrhunderte tage- und nächtelang Kranke gepflegt? Sie taten es im Namen und aus dem Geist Jesu Christi. Waren es im Lauf der Jahrhunderte nicht Hunderttausende oder Millionen? War es nicht der Geist Jesu Christi, der die Pflege von Kranken und Sterbenden geschaffen hat. Erlösung kommt durch den Geist, nicht durch Organisation. Lassen wir uns vom Geist leiten, um die Pandemie aus dem Geist Jesu Christi zu überwinden. Impfen ist gut, Vertrauen auf den Geist Jesu Christi ist besser. Lange bevor öffentliche Krankenhäuser vom Staat eingerichtet wurden, haben sich Frauen im Namen Jesu Christi aufgeopfert. Erlösung kommt vom Geist der Hingabe und des Dienstes. Dazu helfe uns Gott! Amen

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan. 

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