28 November, 2020 / 7:00 AM
Nichts an dieser Geschichte ist märchenhaft. Die Evangelien stehen in einem ernsten Gegensatz zu den Erzählungen des Mythos, die zur Regierungszeit der römischen Kaiser Augustus und Tiberius noch in der mittelmeerischen Welt kursierten. Namen anderer Persönlichkeiten werden genannt, Herrscher und Mächtige. Mitnichten also sind die Berichte von Jesus Christus eine Art symbolische Menschheitsdichtung, die zu allen Zeiten nur gleichnishaft gedeutet werden soll.
Die Menschwerdung Gottes geschieht in geschichtlicher Zeit. Die Unbefleckte Empfängnis, die Geburt, das Wirken, der Tod und die Auferstehung des Herrn sind historische Ereignisse, nicht nebelhafte Erzählungen, die sich frömmelnde Geister oder machtbewusste Missionare ausgedacht haben.
Benedikt XVI. macht darauf aufmerksam: "Das Wirken Jesu ist nicht als mythisches Irgendwann anzusehen, das zugleich immer und nie bedeuten kann; es ist genau historisch datierbares Ereignis mit dem ganzen Ernst wirklich geschehener Geschichte – mit ihrer Einmaligkeit, deren Weise von Gleichzeitigkeit mit allen Zeiten anders ist als die Zeitlosigkeit des Mythos." (Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg im Breisgau 2007, 38) Christen bezeugen diese Wirklichkeit, die nicht fantasievoll konstruiert, sondern wahrhaft geschehen ist. Bis heute geben Christen Zeugnis davon, durch ihr Leben im Glauben. Als Jesus geboren wurde, lebte Israel im "Gottesdunkel", besetzt von der heidnischen Macht aus Rom. Es schien, als seien die alten Verheißungen "versunken im Schweigen Gottes".
Im Land herrschte eine wachsende Unruhe. Es gab Revolten, verschiedene politische und religiöse Strömungen. Die Stimmung der Zeit beschreibt Benedikt XVI. präzise: "Wir haben keine Propheten mehr, Gott scheint sein Volk verlassen zu haben." (ebd., 39) In solchen Stunden der Weltenzeit treten Unheilspropheten, Eiferer und Revoluzzer auf, geschickte Rhetoriker, die mit großen Versprechungen das verunsicherte Volk für ihre Zwecke missbrauchen. Von diesen Gestalten unterscheidet sich Johannes der Täufer deutlich. Er tritt anders auf. Johannes weiß, dass nicht er selbst im Mittelpunkt steht, dass es nicht um ihn geht. Nicht er sucht Gefolgschaft, wenn er zur Taufe aufruft. Den, der nach ihm kommt, kennt er nicht. Die Taufe ist "nicht wiederholbar" und der "konkrete Vollzug einer das ganze Leben für immer neu bestimmenden Wendung": "Sie ist verbunden mit einem flammenden Ruf zu einer neuen Weise des Denkens und des Tuns, verbunden vor allem mit der Ankündigung von Gottes Gericht und mit der Verkündigung des Größeren, der nach Johannes kommen soll." Johannes der Täufer zeigt auf diesen noch unbekannten Größeren. Er selbst ist sichtbar, aber er muss nicht gesehen werden. Seine Aufgabe ist es, Wegweiser, ja "Wegbereiter" zu sein, für den "geheimnisvollen Anderen". In dem Zeugnis der charismatischen Gestalt des Täufers sehen wir auch ein Bild der Kirche. Sie ist nicht um ihrer selbst willen vom Herrn gestiftet worden, sondern sie ist Sakrament des Heils durch Christus. Auch der Prediger soll nicht sich selbst und seine Ansichten verkündigen, sondern durchsichtig sein, durchlässig werden für das Wort Gottes, das er zu den Gläubigen, Zweifelnden und Suchenden spricht. In diesem Zusammenhang wird auch das gelegentlich missverstandene Herrenwort deutlich: Man solle nicht eine Leuchte anzünden und sie unter den Scheffel stellen (vgl. Mt 5,15).
Auch viele Zeitgenossen sehen darin noch eine Aufforderung an die Christen, selbstbewusster aufzutreten und auf ihre eigenen Talente und Privatideen aufmerksam zu machen. Doch Irrlichter rücken ihre Begabungen und Gestaltungsfantasien in den Mittelpunkt, die gläubigen Christen geben durch das Beispiel ihres Lebens Zeugnis für das Licht der Welt. Sie verweisen auf ihre je eigene Weise wie Johannes auf den, auf den alles ankommt und von dem alles abhängt.
Johannes der Täufer ist im Alten Testament angekündigt worden. Er ist der Bote, der den Weg bahnt für den Herrn, aber er ist nicht selbst der Weg. Es geht, so Benedikt XVI., "um ein rettendes Eingreifen Gottes, der aus seiner Verborgenheit heraustritt, um zu richten und zu retten; diesem ist die Tür aufzutun, der Weg zu bereiten". Mit Johannes seien "Hoffnungsworte" gegenwärtig geworden. Wir sprechen auch heute noch von Hoffnungsträgern, von Boten der Hoffnung, die zu Werkzeugen des Herrn berufen sind. Damit sind nicht jene Personen gemeint, die im oft so grellen Licht dieser Welt stehen und stehen möchten, sondern jene Menschen, die ganz einfach, demütig und leise das Licht Gottes bezeugen.
Nicht weltkluge Erfinder einer neuen Kirche und Morallehre, nicht prominente theologische Querdenker und nicht vom Glauben abtrünnige Gelehrte sind Hoffnungsträger. Wir alle kennen Mütter und Väter, die liebevoll Sorge für das Wohl und für den Glauben ihrer Kinder tragen. Wir kennen freundliche, hilfsbereite Menschen in den Pfarrgemeinden, die nicht Ämter und Geltung begehren, sondern Lebensräume für andere sorgsam gestalten, ihnen Nähe und Gehör schenken. Wir wissen um die stillen Beter in unseren Kirchen. Wir kennen Menschen, die trotz des verächtlichen Zynismus und der vergifteten Ironie heute, besonders in den "sozialen Medien" und auch im Alltag, Worte der Freundlichkeit und der Güte für ihre Mitmenschen finden.
Wenn Hoffnungsworte gegenwärtig werden, so leuchtet eine erwartungsvolle Freude auf. Johannes der Täufer war ein Bürge und Gewährsmann dieser Botschaft: "Großes kündigte sich an." (ebd., 41) Kein Mythos und kein Märchen also, nichts als die Wahrheit: Der Herr kommt, der Erlöser der Welt.
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