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„Liebe wächst durch Liebe.“

Papst Benedikt XVI. bei seiner letzten Generalaudienz am 27. Februar 2013.

Die Liebe bedarf des sichtbaren Gegenübers. Gott aber begegnet uns in der Gestalt des ganz Anderen: „Können wir Gott überhaupt lieben?“ Eine berechtigte Frage, die Benedikt XVI. in „Deus caritas est“ noch erweitert: „Keiner hat Gott gesehen — wie sollten wir ihn lieben?“ Liebe könne auch nicht befohlen werden. Begreifen wir Liebe nicht mehr als ein Gefühl auf Zeit, als eine subjektive Disposition, die sich einstellt – und nicht willentlich hervorgebracht, sondern einfach dann da ist oder nicht? Wie also sollten wir Gott, den wir nicht sehen können wie unsere Mitmenschen, dann lieben?

Benedikt XVI. verweist auf den ersten Johannesbrief. Dort werde die „unlösliche Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe“ benannt: „Beide gehören so zusammen, daß die Behauptung der Gottesliebe zur Lüge wird, wenn der Mensch sich dem Nächsten verschließt oder gar ihn haßt. Man muß diesen johanneischen Vers vielmehr dahin auslegen, daß die Nächstenliebe ein Weg ist, auch Gott zu begegnen, und daß die Abwendung vom Nächsten auch für Gott blind macht.“

Sünde ist die Abwendung von Gott und vom Nächsten, sie ist auch eine eigentümliche Form der Blindheit. Wenn ich mich vor dem Nächsten verschließe und nur für mich selbst sein will, dann weiche ich auch der Gottesbegegnung aus. Wer sich vom Nächsten abwendet, aber behauptet, Gott zu lieben, hat die Botschaft der Zusammengehörigkeit von Gottes- und Nächstenliebe nicht verstanden. Die Hinwendung zu Gott kann nicht mit der Abkehr vom Nächsten einhergehen.

Benedikt XVI. schreibt: „In der Tat: Niemand hat Gott gesehen, so wie er in sich ist. Und trotzdem ist Gott uns nicht gänzlich unsichtbar, nicht einfach unzugänglich geblieben.“ Gott sei sichtbar geworden in Jesus Christus, in dem wir – wie im Johannes-Evangelium gesagt ist (vgl. Joh 14,9) – den Vater anschauen können. Gott sei auf vielfältige Weise sichtbar geworden: „In der Geschichte der Liebe, die uns die Bibel erzählt, geht er uns entgegen, wirbt um uns — bis hin zum Letzten Abendmahl, bis hin zu dem am Kreuz durchbohrten Herzen, bis hin zu den Erscheinungen des Auferstandenen und seinen Großtaten, mit denen er durch das Wirken der Apostel die entstehende Kirche auf ihrem Weg geführt hat. Und in der weiteren Geschichte der Kirche ist der Herr nicht abwesend geblieben: Immer neu geht er auf uns zu — durch Menschen, in denen er durchscheint; durch sein Wort, in den Sakramenten, besonders in der Eucharistie. In der Liturgie der Kirche, in ihrem Beten, in der lebendigen Gemeinschaft der Gläubigen erfahren wir die Liebe Gottes, nehmen wir ihn wahr und lernen so auch, seine Gegenwart in unserem Alltag zu erkennen.“ 

Benedikt XVI. erinnert uns scheinbar an das Selbstverständliche. Oder suchen wir die Begegnung mit Gott nicht mehr in der Kirche, nicht mehr in den Sakramenten? Wir feiern Eucharistie, wir versammeln uns zur heiligen Messe und tun dies in der Gemeinschaft mit den Heiligen, mit der Kirche aller Zeiten und Orte. Die Kirche ist der erste Erfahrungsort der „Liebe Gottes“, an dem wir spüren, wissen und sehen, dass er gegenwärtig ist im Allerheiligsten Sakrament des Altares. Gott ist der tragende Grund, das Fundament unseres Lebens und unserer christlichen Existenzweise. Es ist wahr, dass in der Kirche dieser Zeit manchmal die Rede von Gott wie verstummt zu sein scheint. Von Gottes Liebe hören wir wenig. Wer überhaupt wagt noch, die Kirche aufrichtig zu lieben? Es ist geradezu eine törichte Mode der Zeit geworden, sich fast dafür zu entschuldigen, noch immer römisch-katholisch zu sein. Heute sehen wir, dass die Verhöhnung Christi bis weit in die Kirche hineinreicht. Alles scheint wichtig zu sein, nur nicht die Verkündigung des Evangeliums. Wer glaubt, wird belächelt. Wer die Kirche liebt, wird angeschaut, als sei er nicht mehr bei Verstand. Doch das macht nichts, denn wir sind in der Welt, aber nicht von der Welt. Benedikt betont völlig zu Recht, dass wir Gott in der Kirche erfahren und lieben lernen. Darum feiern sagen wir Dank, darum feiern wir Eucharistie: „Er hat uns zuerst geliebt und liebt uns zuerst; deswegen können auch wir mit Liebe antworten. Gott schreibt uns nicht ein Gefühl vor, das wir nicht herbeirufen können. Er liebt uns, läßt uns seine Liebe sehen und spüren, und aus diesem »Zuerst« Gottes kann als Antwort auch in uns die Liebe aufkeimen.“

Liebe sei mehr als ein Gefühl, das zwar eine „großartige Initialzündung“ sein könne, nicht aber das „Ganze der Liebe“: „Zur Reife der Liebe gehört es, daß sie alle Kräfte des Menschseins einbezieht, den Menschen sozusagen in seiner Ganzheit integriert. Die Begegnung mit den sichtbaren Erscheinungen der Liebe Gottes kann in uns das Gefühl der Freude wecken, das aus der Erfahrung des Geliebtseins kommt. Aber sie ruft auch unseren Willen und unseren Verstand auf den Plan. Die Erkenntnis des lebendigen Gottes ist Weg zur Liebe, und das Ja unseres Willens zu seinem Willen einigt Verstand, Wille und Gefühl zum ganzheitlichen Akt der Liebe.“ Die Liebe sei niemals „fertig“, sie wandle sich, reife und bleibe gerade dadurch treu: „Die Liebesgeschichte zwischen Gott und Mensch besteht eben darin, daß diese Willensgemeinschaft in der Gemeinschaft des Denkens und Fühlens wächst und so unser Wollen und Gottes Wille immer mehr ineinander fallen: der Wille Gottes nicht mehr ein Fremdwille ist für mich, den mir Gebote von außen auferlegen, sondern mein eigener Wille aus der Erfahrung heraus, daß in der Tat Gott mir innerlicher ist als ich mir selbst.“ Den Nächsten könnten wir nur von Gott aus lieben, aus der „inneren Begegnung“ mit dem Herrn, die zur „Willensgemeinschaft“ geworden sei und bis in das Gefühl hineinreiche: „Dann lerne ich, diesen anderen nicht mehr bloß mit meinen Augen und Gefühlen anzusehen, sondern aus der Perspektive Jesu Christi heraus. Sein Freund ist mein Freund. Ich sehe durch das Äußere hindurch sein inneres Warten auf einen Gestus der Liebe. … Ich sehe mit Christus und kann dem anderen mehr geben als die äußerlich notwendigen Dinge: den Blick der Liebe, den er braucht.“

Ohne die Zuwendung zum Nächsten verdorre auch die Gottesbeziehung. Es genüge nicht, für sich selbst fromm zu sein: „Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch fühlsam Gott gegenüber. Nur der Dienst am Nächsten öffnet mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt.“ Die Liebe führt uns zusammen, in die Gemeinschaft mit Gott und untereinander: „Liebe wächst durch Liebe.“

Die Geistlichen Betrachtungen zu den Enzykliken Papst Benedikt XVI. finden Sie hier im Überblick.

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