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„Kevelaer ist ein gesegneter Ort“: Bischof Varden eröffnet Wallfahrtssaison

Gnadenkapelle im Marienwallfahrtsort Kevelaer

CNA Deutsch dokumentiert im Wortlaut die Predigt von Bischof Erik Varden OCSO am 1. Mai zur Eröffnung der Wallfahrtssaison im Marienwallfahrtsort Kevelaer am Niederrhein. Varden ist Trappistenmönch und Prälat von Trondheim in Norwegen. Die Wallfahrtssaison in Kevelaer dauert immer sechs Monate.

In den letzten Tagen las ich erneut einen Brief, den der Historiker Hubert Jedin am 16. September 1968 an Kardinal Döpfner schrieb. Jedin sah die damalige Entwicklung der Kirche bestürzt an. Er fühlte sich verpflichtet, eingedenk der Mahnung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Mitverantwortung aller, etliche Beobachtungen aus der Kirchen- und Konzilsgeschichte darzulegen, „damit es dem Hochwürdigsten Episkopat nicht an Beurteilungskategorien mangele“, denn, führte er fort, „was für den Einzelnen die Lebenserfahrung ist, ist für die kirchliche Gemeinschaft die Geschichte der Kirche“.

Tatsächlich, Zukunftsfähigkeit setzt historisches Bewusstsein voraus. Der Mensch entsteht nicht aus nichts. Der Mensch ist historisch bedingt, braucht Wurzeln, will seinen Ursprung kennen. Wir sehen dies oft offenbart in Einzelschicksalen. Aus dramatisierten Suchen nach den Quellen des Selbst ist ein Haufen von Romanen, zahllose Stunden mehr oder weniger sehenswerten Fernsehens entstanden. So etwas fasziniert uns halt. Aber wie selektiv kann man mit Ursprungsgeschichten umgehen!

Zurückdenkend wollen wir uns an das Schöne und Herrliche erinnern, an das, was unser idealisiertes Selbstbild bestätigt. Bei Individuen findet diese Tendenz einen pathetischen Ausdruck. Bei Korporationen oder Staaten wird sie gefährlich. Unweit von uns tobt ein fürchterlicher Krieg. Als Russland vor 431 Tagen die Ukraine überfiel, wurde die Aggression mit einer Wiedererzählung der Geschichte tendenziös gerechtfertigt. Die Ukraine, so hieß es, sei überhaupt kein eigenes Land, sondern Teil des russischen Mutterstaates; die Mutter habe jetzt die Verpflichtung, ihr verwirrtes Kind heimzuholen. Nicht zum ersten Mal hören wir in Europa solche Berichte. Wir wissen, wozu sie führen. Umso wesentlicher ist es, dass wir die eigene Geschichte kennen, und zwar gut, damit wir sagen können, wer wir sind. Fake News können rückblickend entstehen; ja, in einer virtualisierten Welt geschieht das leicht, mühelos.

Auch in der Kirche tendieren wir dazu, die Geschichte je nach Geschmack neu zu schreiben. Wir suchen in der Vergangenheit, was wir brauchen, um heutige Träume zu verwirklichen. Wir stellen uns ein goldenes Zeitalter vor und wollen es wieder-herstellen, damit unsere Erfahrung jetzt dem imaginären Einfluss und Schwung alter Zeiten entspreche. Biblisch gesehen liegen wir damit genau falsch. Wenn die Schrift uns mahnt, „Erinnert euch!“, ist es meistens nicht um glorreiche Zeiten ins Gedächtnis zu rufen, sondern Zeiten der Prüfung und der Prekarität. Solche sind halt die Norm. Wir sollen uns erinnern, unser Vater im Glauben war ein heimatloser Aramäer (Dt 26,5); wir waren Pharaos Sklaven (Dt 15,15). Unserer Hartnäckigkeit sollen wir gedenken; durch Untreue erregten wir ja öfters den Unwillen des Herrn (Dt 9,7). Die Heilsgeschichte gibt der Selbstsucht keinen Raum. Nicht von menschlichem Erfolg erzählt sie, sondern von Gottes Willen, uns aus selbstverschuldeter Not zu retten.

Das Christentum wurzelt in der Frohbotschaft vom Heil. Glauben wir daran? Sind wir noch zu retten? Oder scheint uns der Heilsbegriff zu altmodisch? Unsere Zeit lässt vermuten, wir können allein, gewappnet mit der zweckmäßigen App, nicht bloß die eigene Existenz, sondern die Wirklichkeit als solche bewältigen. So kommt uns das Bild eines rettenden Gottes überflüssig vor. Heute zu glauben heisst, eine Auffassung vom Wirklichen zu hegen, die der Mentalität der Welt meilenweit entfernt ist. Wir brauchen dann Orte, wo gottbezogene Wirklichkeit erkennbar wird.

Kevelaer ist ein gesegneter Ort dieser Art. Die Pilgerstätte entstand während des dreißigjährigen Krieges. Bis zum Ende des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts war der dreißigjährige Krieg im europäischen Sprachgebrauch „der Krieg“ schlechthin, alle anderen Konflikte überschattend. In einer Epoche geprägt von Zerstörung und Angst entstand hier ein Zentrum des Gebets, der Bekehrung und des Zusammenseins. Armselig begann es, vor einem papierenen Bildchen Unserer Lieben Frau von Luxemburg. In diesem Motiv erkannten zuerst Hendrick Busman und seine Gattin Mechel, dann endlose Pilgerscharen, ein Zeichen des gegenwärtig rettenden, göttlichen Heils. Die Mutter der schönen Liebe, gleichzeitig Mutter des Mitleids, offenbarte den Gläubigen des 17. Jahrhunderts den Sinn ihres Daseins in einer ziellos gewordenen Welt. Ihrer betenden Gemeinschaft, alle zeitliche Begrenzung überschreitend, schließen wir uns heute an. Im Zeichen des heilbringenden Kreuzes sehen wir neu die Schönheit der Jungfrau-Mutter, sowie der Kirche, deren „Typus und klarstes Urbild“ sie ist (LG 53). Die heilige Kirche, so lehrt uns Johannes, ist als Sakrament am Kreuz geboren, aus der Seitenwunde Christi. Vergessen wir das nicht. Nur im ewigen Licht der österlichen Geheimnisse vollbringt die Kirche historisch ihre tröstende Aufgabe als Keim und Anfang des Gottesreiches auf Erden (LG 5). Amen.

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