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Die „Theologie des Leibes“ und die ursprüngliche Unschuld der Erkenntnis

Papst Johannes Paul II.

Schamlosigkeit ist eine Signatur dieser Zeit, die auch eng mit der sogenannten „sexuellen Revolution“ in der Folge der 1968er Studentenbewegung verknüpft ist. Der Mangel an Scham zeigt, dass die Achtung vor der Würde des Menschen preisgegeben wurde.

Johannes Paul II. denkt in der Katechese „Verlust der ursprünglichen Fülle“ vom 19. Dezember 1979 (L’Osservatore Romano 80/1) über die Scham nach und erinnert an die Dimensionen einer sehr komplexen Grunderfahrung, in der sich der Mensch „gemäß der ihm eigenen Wesensstruktur als Person ausdrückt“: „Im Erlebnis der Scham erfährt der Mensch die Scheu gegenüber dem anderen Ich (so zum Beispiel die Frau gegenüber dem Mann), und sie ist wesentlich Furcht für das eigene Ich. Mit der Scham bekundet der Mensch gleichsam instinktiv die Notwendigkeit der Bestätigung und Annahme dieses Ichs entsprechend seinem wahren Wert. Das erfährt er zugleich sowohl in sich selber als auch nach außen hin gegenüber dem anderen. Man kann also sagen, dass die Scham auch in dem Sinn eine komplexe Erfahrung ist, dass sie zwar einen Menschen gewissermaßen vom anderen (die Frau vom Mann) fernhält, zugleich aber ihre persönliche Annäherung sucht und dafür eine geeignete Grundlage schafft.“

Diese eigentümliche Verbindung aus Nähe und Distanz scheint fast gänzlich verloren gegangen zu sein. Die Scham zeigt Ferne, aber auch das Bedürfnis nach Nähe an, so dass auf der Ebene der Scham die „persönliche Annäherung“ gesucht wird, und dabei erweist sich die Scham als fundamental wichtig. Die Beziehungsfähigkeit des Menschen ist mit der Scham untrennbar verbunden, doch in der biblischen Erzählung in Genesis 3 wird ausgeführt, dass Adam und Eva nackt waren, aber sich nicht voreinander schämten. Warum ist das so?

Johannes Paul II. führt aus: „Vor allem ist festzustellen, dass die Scham wirklich nicht vorhanden war und nicht etwa fehlte oder sich noch nicht voll entwickelt hatte. Wir können hier in keiner Weise eine primitive Auffassung von Scham annehmen.“ Nicht ein Mangel werde ausgedrückt, sondern eine „besondere Fülle an Bewusstsein und Erfahrung“, ja verwiesen werde auf das „volle Verständnis für die Bedeutung des Körpers, das eng mit der Tatsache ihrer Nacktheit verbunden war“, während „das Auftreten der Scham und besonders des sexuellen Schamgefühls mit dem Verlust jener ursprünglichen Fülle“ verbunden werde: „Wenn wir also die Erfahrung der Scham als Grenzerfahrung voraussetzen, müssen wir uns fragen, welcher Bewusstseins- und Erfahrungsfülle und besonders welcher Fülle an Verständnis für die Bedeutung des Körpers die ursprüngliche Nacktheit entspricht, von der in Gen 2,25 die Rede ist.“

Im Buch Genesis werde aufgezeigt, dass die „unmittelbare und sichtbare Quelle der Erfahrung“ der „Einheit im Menschsein“ vor dem Sündenfall gegenwärtig ist: „Man versteht also unschwer, dass die Nacktheit jener Bewusstseinsfülle von der Bedeutung des Körpers entspricht, die gerade aus der Sinneserfahrung herrührt. Man kann an diese Fülle in den Kategorien des Seins oder der Wirklichkeit denken, und man kann sagen: Mann und Frau waren ursprünglich einander geschenkt aufgrund der Tatsache, dass sie ‚nackt‘ waren. Bei der Analyse des Sinnes der ursprünglichen Nacktheit darf man diese Dimension keineswegs übersehen. Diese Beteiligung an der Wahrnehmung der Welt in ihrem äußeren Aspekt ist etwas Unmittelbares und gleichsam Spontanes, das noch vor jeder kritischen Komplizierung der menschlichen Erkenntnis und Erfahrung liegt; es ist aber eng verbunden mit der Erfahrung der Bedeutung des menschlichen Körpers. Schon so könnte man die ursprüngliche Unschuld der Erkenntnis erfassen.“

Wichtig ist es zugleich, das „Innere des Menschen“ zu berücksichtigen und aus der Innerlichkeit heraus die „besondere Fülle der Kommunikation“ der beiden Personen zu erklären sowie denkend zu erfassen: „Der Begriff ‚Kommunikation‘ hat in unserem herkömmlichen Sprachgebrauch seine tiefste, ursprünglichste Wortbedeutung fast verloren. Das Wort wird heute vor allem mit dem Bereich der Medien verbunden, das heißt größtenteils mit den Einrichtungen, die der Verständigung, dem Austausch und der Annäherung dienen. Man darf jedoch vermuten, dass Kommunikation in ihrer ursprünglichen und tiefsten Bedeutung unmittelbar mit Personen zu tun hatte und hat, die gerade aufgrund ihrer Verbundenheit sich einander mitteilen, um eine Wirklichkeit zu erfassen und auszudrücken, die nur in den besonderen Bereich der Personen gehört. Auf diese Weise erhält der menschliche Körper eine völlig neue Bedeutung, die nicht auf die Ebene der bleibenden äußeren Wahrnehmung der Welt verwiesen werden kann. Er ist Ausdruck der Person in ihrer seinsmäßigen und existentiellen Konkretheit, die mehr ist als das Individuum und daher Ausdruck des menschlich-personalen Ichs, das von innen her seine äußere Wahrnehmung der Welt begründet.“

Kommunikation heißt somit, dass die Menschen als Personen in Kontakt, in Beziehung treten, und wir erfahren dies auch heute noch in liebenden Kommunikationsweisen, die jenseits eines letztlich unerheblichen Informations- und Meinungsaustauschs liegen. Wer so kommuniziert, der redet, aber er berührt nicht das Innerste und berührt nicht den Mitmenschen. Die von Johannes Paul II. benannte Kommunikation ist das liebende Gespräch unter Partnern, die einander als Person liebend begegnen und sich ausdrücken. Wir sehen oder erfahren dies in der Kommunikationsweise von Mann und Frau, die im übertragenen Sinne „nackt“ voreinander stehen, sich nicht verstecken und einander ihre Zärtlichkeit der Empfindungen auch in unscheinbaren Gesten zeigen, die lächelnd und auf diese Weise auch körperlich miteinander sprechen, ohne sprechen zu müssen.

In der Liebe sehen Menschen einander, und Johannes Paul II. benennt den „Körper“ als „Vermittler“, „dass Mann und Frau von Anfang an sich einander mitteilen aufgrund jener Gemeinschaft der Personen, die der Schöpfer gerade für sie gewollt hat“: „Nur diese Dimension erlaubt uns wohl, die Bedeutung der ursprünglichen Nacktheit richtig zu verstehen. Daher ist jede naturalistische Deutung zum Scheitern verurteilt, während die personalistische Deutung uns eine große Hilfe sein kann. Gen 2,25 spricht ganz klar von etwas Außerordentlichem; es reicht weit über alles hinaus, was uns die menschliche Erfahrung über die Scham zu sagen weiß. Es entscheidet zugleich über die besondere Fülle der zwischenpersönlichen Kommunikation, die im Herzen jener Gemeinschaft gründet, welche sich so offenbart und entfaltet.“

Johannes Paul II. erwähnt die „persönliche Intimität der gegenseitigen Mitteilung“, die schlicht und rein sei: „Dieser Fülle der äußeren Wahrnehmung, die durch die körperliche Nacktheit zum Ausdruck kommt, entspricht die innere Fülle des Menschen, wie Gott ihn sieht. Nach den Worten der Heiligen Schrift durchdringt Gott das Geschöpf, das vor ihm völlig ‚nackt‘ ist: ‚Kein Geschöpf bleibt verborgen vor ihm, sondern alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schulden‘ (Hebr 4,13).“ So stehen auch wir – nackt und bloß – vor dem dreifaltigen Gott. Wer sich diese Erfahrung von innen her neu bewusst macht, wird staunen, schweigen und vielleicht auch dankbar sein. Gott sieht uns ganz, und er liebt uns ganz als Person.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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