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Bericht aus Genf: Vatikan warnt vor Verantwortungsrisiken bei Künstlicher Intelligenz

Christian Peschken (EWTN) im Gespräch mit Erzbischof Ettore Balestrero, dem Ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf

Im Mai fand bei der UN in Genf eine bedeutende Podiumsdiskussion zu „KI, Ethik und Gemeinwohl“ statt, organisiert von der Ständigen Vertretung des Heiligen Stuhls. Experten wiesen auf die Notwendigkeit ethischer Regulierung der Künstlichen Intelligenz hin, um Risiken zu minimieren und die Technologie zum Wohle der Menschheit einzusetzen.

In seiner Eröffnungsrede warnte Erzbischof Ettore Balestrero, der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf, vor den zweischneidigen Auswirkungen des technologischen Fortschritts, insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Balestrero beantwortete im Nachgang zur Veranstaltung in Genf die Fragen von Christian Peschken (EWTN) zu diesem Thema.

In der Veranstaltung haben Sie die Notwendigkeit betont, dass KI die Würde des Menschen fördert. Wie kann dies erreicht, umgesetzt, verwirklicht werden von einer Maschine, die keine Seele, keine Verbindung zu Gott hat und obendrein selbst keine menschliche Person ist?

Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: Künstliche Intelligenz ist im Wesentlichen eine Schöpfung menschlicher Programmierer. Mit dem Aufkommen des maschinellen Lernens ist die Landschaft jedoch zunehmend komplexer geworden. Programme können selbstständig aus Daten lernen und Aufgaben ohne ausdrückliche menschliche Anweisung ausführen – Aufgaben, die über das hinausgehen können, was von ihren Schöpfern ursprünglich beabsichtigt war. Bei der Beantwortung Ihrer Frage schlage ich vor, dass wir uns auf den Begriff „Intelligenz“ und nicht nur auf „künstlich“ konzentrieren. Das Konzept der Intelligenz kann in diesem Zusammenhang irreführender sein als die Bezeichnung „künstlich“. Einige argumentieren, dass Begriffe wie „Gedächtnis“, wenn sie auf Computer angewandt werden, irreführend sind, da wahres Gedächtnis ein einzigartiges Attribut des Menschen ist, das mit der Würde verbunden ist, die uns unser Schöpfer verliehen hat, der uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat. In der Heiligen Schrift wird bekräftigt, dass Gott die Menschheit mit seinem Geist ausgestattet hat, der uns die Fähigkeiten, das Verständnis und das Wissen verleiht, die für alle Handwerke notwendig sind. Vor diesem Hintergrund ist meine Antwort auf Ihre Frage, ob KI gut oder schlecht ist, diese: Künstliche Intelligenz ist von Natur aus weder von gut noch schlecht.

Künstliche Intelligenz kann sowohl nützliche als auch schädliche Zwecke erfüllen, abhängig davon, wie sie entwickelt und eingesetzt wird. Es ist entscheidend, innezuhalten und das Konzept der Simulation zu überdenken. Der Heilige Stuhl hat in seinen Interventionen bei den Vereinten Nationen betont, wie wichtig es ist, den fundamentalen Unterschied zwischen einer Person und einer Sache zu wahren. Wie Sie in Ihrer Frage hervorhoben, kann eine Maschine – als bloßes Ding – nicht wirklich denken, fühlen, entscheiden oder Verantwortung übernehmen, da ihr ein echter Körper, eine Seele, eine substanzielle Geschichte und echte Beziehungen fehlen. Maschinen sind nicht in der Lage, wahrhaftig zu urteilen, zu wollen oder moralische Handlungsfähigkeit zu erlangen. Sie können lediglich menschliches Verhalten simulieren.

Hier muss klargestellt werden: Die Realität selbst kann niemals auf eine bloße Darstellung oder Simulation reduziert werden. Daher ist es unerlässlich, KI mit Vorsicht und Verantwortung zu entwickeln und einzusetzen, um sicherzustellen, dass sie ethisch und transparent bleibt. Genau dies war das Ziel der Veranstaltung, die unsere Mission in Genf zum Thema „KI, Ethik und Gemeinwohl“ organisiert hat. Papst Franziskus betonte wiederholt, dass technologischer Fortschritt kein echter Fortschritt ist, wenn er zu immer größeren Ungleichheiten führt. Daher muss der technologische Fortschritt von einer umfassenden Bildung in menschlicher Verantwortung begleitet werden, die die Würde der menschlichen Person respektiert und fördert. Dies ist der zentrale Punkt, den wir der diplomatischen Welt und der internationalen Gemeinschaft hier in Genf nahebringen wollten.

Welche ethischen Herausforderungen sieht der Vatikan im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz, insbesondere wenn es um Privatsphäre, Autonomie und moralische Entscheidungsfindung geht? Für die Maschine selbst existieren keine ethischen Dilemmata – diese betreffen vielmehr den Menschen. Es sind die Entwickler, die Programmierer und Hersteller, die mit der Verantwortung konfrontiert sind, wie diese Technologien gestaltet und eingesetzt werden.

Ganz richtig. Die ethischen Herausforderungen, die von der Nutzung Künstlicher Intelligenz ausgehen, wurden vom Papst deutlich benannt und thematisiert. Er hat bei zahlreichen Gelegenheiten auf diese Herausforderungen hingewiesen. Zuletzt widmete er seine Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2024 dem Thema „Künstliche Intelligenz und Frieden“. Besonders eindrucksvoll war seine Ansprache an die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten, darunter Präsident Biden und Bundeskanzler Scholz, als diese im Juni letzten Jahres in Italien zusammenkamen. Der Papst legte dabei eine wichtige Unterscheidung dar: Er differenzierte zwischen Wahl und Entscheidung. Während eine Maschine algorithmische Entscheidungen auf Basis statistischer Analysen treffen kann, besitzt der Mensch die Fähigkeit, nicht nur zu wählen, sondern auch im Herzen zu entscheiden – ein Akt mit tiefgreifenden moralischen Implikationen.

Ein besonders wichtiges Thema für die Kirche und die Welt ist die autonome Entscheidungsfindung durch KI in militärischen Anwendungen. Der Heilige Stuhl hat sich in dieser Frage stark engagiert und setzt sich dafür ein, die internationale Gemeinschaft bei der Entwicklung eines grundlegenden ethischen und rechtlichen Rahmens zu unterstützen, um das Problem autonomer Waffensysteme anzugehen. Solche Systeme können ohne menschliches Zutun Ziele auswählen und Gewalt anwenden. Diese moralischen Entscheidungen Maschinen zu überlassen, hat tiefgreifende Auswirkungen auf unser Verständnis der menschlichen Würde und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Aus katholischer – und allgemein menschlicher –Sicht sind diese Folgen besonders gravierend, da der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist.

Eine Maschine kann nur Anweisungen ausführen, aber es ist ein Irrtum zu glauben, dass sie wirklich entscheiden oder urteilen kann. Die Moral von Handlungen hängt nicht nur von der richtigen Beurteilung dessen ab, was gut oder schlecht ist, sondern auch von der freien, absichtlichen Handlung des Willens. Wird Entscheidungsbefugnis an eine Maschine delegiert, deren Verhalten unvorhersehbar oder deren Handlungsspielraum unklar ist, wie es bei selbstlernenden Systemen der Fall sein kann, wird der Verantwortungszusammenhang unweigerlich gefährdet. Dies müssen wir unbedingt bedenken.

Viele Menschen fürchten, dass Roboter in Zukunft ihre Jobs übernehmen könnten. Doch wie steht der Vatikan zu den potenziellen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Beschäftigung und die Zukunft der menschlichen Arbeit?

Der Heilige Stuhl hat bei zahlreichen Gelegenheiten seine Besorgnis über die möglichen Auswirkungen des technologischen Fortschritts, insbesondere der Künstlichen Intelligenz, zum Ausdruck gebracht. Der Papst betont stets die Notwendigkeit einer menschenzentrierten Entwicklung, die die Würde des Einzelnen wahrt und das Gemeinwohl fördert. Mit der zunehmenden Übernahme von Arbeitsplätzen durch KI und Automatisierung besteht die ernsthafte Gefahr, dass wenige davon profitieren, während viele verarmen. Ebenso wächst die digitale Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Der Heilige Stuhl warnt vor einer einseitigen Definition sozialer Gerechtigkeit, die nur auf wirtschaftliche und soziale Indikatoren fokussiert ist. Soziale Gerechtigkeit muss vielmehr auf den drei Säulen der Menschenwürde, Solidarität und Subsidiarität basieren. Nur durch das Zusammenspiel dieser Prinzipien kann das Gemeinwohl gefördert werden, sodass eine gerechte und barmherzige Welt entsteht, in der soziale Gerechtigkeit für alle gedeiht. Der Heilige Stuhl setzt sich entschieden für soziale Gerechtigkeit und Solidarität ein und betont, dass die Vorteile der KI und Automatisierung gerecht verteilt werden müssen, um wirtschaftliche Ungleichheiten nicht zu verschärfen.

Abschließend möchte ich ein Wort der Hoffnung hinzufügen. Ein kürzlich veröffentlichtes Dokument der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zeigt, dass die meisten Arbeitsplätze und Branchen kurz- und mittelfristig nur teilweise von der Automatisierung betroffen sind. Die jüngste Welle generativer KI, wie ChatGPT, wird viele Aufgaben eher ergänzen als ersetzen. Allerdings stellte dieselbe Studie fest, dass insbesondere Büroangestellte am stärksten von der Automatisierung betroffen sind. Es ist entscheidend zu verstehen, dass die Ergebnisse des technologischen Wandels zwar durch wirtschaftliche Überlegungen beeinflusst werden, aber nicht unausweichlich sind. Letztlich sind es Menschen, die die Entscheidungen über die Einführung solcher Technologien treffen, und sie müssen den Übergang auf verantwortungsvolle, gerechte und moralische Weise gestalten.

Sie sagten im Rahmen Ihrer Veranstaltung bei der UN, dass wir die Künstliche Intelligenz nutzen sollten, bevor sie uns nutzt. Es gehe um unsere Verantwortung und um die Bildung unseres Gewissens. Welche Leitlinien, sofern überhaupt, gibt der Vatikan den Gläubigen, um Künstliche Intelligenz verantwortungsvoll in ihr tägliches Leben und ihre berufliche Tätigkeit zu integrieren?

Bisher gibt es keine spezifischen lehramtlichen Anweisungen für Gläubige, wie sie KI in ihr tägliches Leben und ihre beruflichen Aktivitäten integrieren sollen. Natürlich birgt der Einsatz von KI, wie jeder technologische Fortschritt, Risiken. Auch ohne spezielle Anleitungen ist es entscheidend, sicherzustellen, dass diese Technologien im Einklang mit den katholischen Werten und Lehren genutzt werden. Diese Werte sind zutiefst menschlich und sollen den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen gerecht werden.

Original-Interview aufgenommen in Genf von Laetitia Rodrigues und Alex Mur | Textbearbeitung, Redaktion, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN, EWTN News und CNA Deutsch.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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