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Wochenkolumne: Der Dandy als Märtyrer und Katachrese

Milo Yiannopoulos im Jahr 2014

Wo er auftrat, flogen die Fetzen, und Millionen Menschen sahen dabei zu. Nicht wenige klatschten Applaus, andere dagegen tobten. Nun hat sich der in den USA lebende Brite Milo Yiannopoulos (33), Darling des globalen Phänomens der "alternativen Rechten", selbst zerfetzt. Der Tabubrecher mit den vier Buchstaben wurde eines Tabubruchs überführt, der selbst in unserer Zeit noch Konsequenzen hat.

Wer ist Milo Yiannopoulos? Milo präsentiert sich als ein schwuler Katholik mit griechischen Wurzeln, britischem Akzent in der Stimme und blonden Strähnchen im Haar. Ein eloquenter Provokateur und telegener Sensationalist, der sich mit beißender Übertreibung und krudester Polemik über den Islam und Political Correctness äußert; der Feminismus als "Krebsgeschwür" bezeichnet und Donald Trump gerne "Daddy" nennt. Damit erreichte er als öffentlicher Redner und Journalist der umstrittenen Nachrichten-Seite "Breitbart" ein Millionenpublikum.

Öffentlich geriert sich Milo stets als rüder "Kämpfer für die Meinungsfreiheit". Sichtlich gefällt er sich in der Pose eines furchtlosen Wahrheit-Sagers, dem nichts heilig ist, aber der schon mal gute zehn Minuten damit verbringen kann, einem Saal voll Uni-Studenten zu erklären, warum der katholische Glaube "mit allem recht hat" – um dann detailliert zu schildern, warum er am liebsten mit Afro-Amerikanern intim wird.

Je polarisierender seine Polemik, je heftiger die Reaktionen, desto besser, schien es. Seine "Dangerous Faggot Tour" – die "gefährliche Schwuchtel-Tournee" – durch amerikanische Universitäten war begleitet von Protesten. Sein Auftritt an der University of California, Berkeley, musste abgesagt werden, weil es zu Krawallen kam. Der Popularität seiner Person tat dies keinen Abbruch. Im Gegenteil. Da, wo sich Milo zum Opfer und Sieger gleichzeitig stilisieren konnte, wurde er zum Gewinner. Bislang zumindest.

Denn nun ist Milos Höhenflug erst einmal vorbei. Den Job als leitender Redakteur bei Breitbart ist er los (er kündigte, "um Breitbart zu schützen"). Sein Buch-Deal mit dem Verlag "Simon & Schuster" wurde gestrichen. Der Tabubrecher stürzte über seine eigenen, abstossenden Worte über Päderastie.

In Videos, die jetzt an die Öffentlichkeit gespielt wurden, ist zu hören, dass Milo den sexuellen Umgang älterer Männer mit heranwachsenden Jungen für alles andere als inakzeptabel hält.

Die Supernova explodierte. Hinter einer Sonnenbrille versteckt trat Milo im Maßanzug vor die Presse und teilte mit, er bereue, "dass mein üblicher Mix aus schwulem britischem Sarkasmus, Provokation und Galgenhumor als Frivolität rübergekommen ist; als ein Mangel an Sorge um andere Opfer, oder schlimmer noch, als würde ich dies, in manchen Fällen, unterstützen". Dies sei nicht der Fall. Für erwachsene Menschen, die Minderjährige missbrauchen, empfinde er nichts als Abscheu.

Freilich entbehrt es nicht einer gewissen tragischen Ironie, dass Milo Yiannopolous selber Opfer sexuellen Missbrauchs durch einen katholischen Priester ist. Er ist über den einen Aspekt seiner Person gestolpert, in dem er selber ein echtes Opfer ist.

Warum aber bleibt das Mitleid für das Opfer Milo aus? Ganz einfach: Der Dandy macht als Märtyrer eine schlechte Figur. Märtyrer sterben für ihren Glauben. Wie alle Heiligen ist ihr Leben letztlich – trotz aller "Brüche" – aus dem einem, richtigen Guss. Ein Dandy verkörpert dagegen den Bruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Wahrheit und Rhetorik als Haltung. Ja, mehr noch: "Der Dandy, so scheint es, ist eine Katachrese!", wie der Literatur-Theoretiker Axel Fliethmann schreibt, und erklärt: "Als Abweichung von Sprachkonventionen gehört die Katachrese zum rhetorischen System und als Missbrauch von tropischer Sprechweise (die sogenannte verunglückte Metapher) verstößt sie gegen das Regelwerk der Rhetorik, unterminiert das ganze rhetorische System. Die Katachrese ist weder eigentlicher noch figuraler Ausdruck - oder eben beides."

Tatsächlich ist hier der Schlüssel zum Verständnis einer wandelnden Katachrese wie Milo, aber auch zum Vexierspiel des so unglücklich mit "postfaktisch" bezeichneten Phänomens einer "alternativen Rechten" und ihrer Protagonisten. Auch sie unterwandern rhetorisch Wahrheit und Anspruch, ja, sie verkörpern diesen Bruch.

Gewiss: Nur weil Populisten, Poser und Performer kommen und gehen, heißt das nicht, dass die Wahrheiten, derer sie sich bedienen, gleich falsch wären. Der Punkt ist, dass sie diese nicht leben. Milo mag weg sein, doch längst bedienen sich andere der Wahrheit und  gerade auch katholischer Inhalte. Sie bemächtigen sich dieser, um rhetorische Pflöcke einzuschlagen, die jedoch nur der eigenen Agenda dienen, nicht dem Königreich Gottes. Das gilt nicht nur für US-Präsident Donald Trump und seinen Chefstrategen (und ehemaligen Breitbart-Chefredakteur) Steven Bannon. Es ist leider auch wahr für ihre viele ihrer politischen Kontrahenten.

Gelöst wird dies nicht durch brust-trommelnde Empörungsgesten und moralisierendes Mobbing; und schon gar nicht durch politisches Agieren, das dann als der Vorwurf von "Denkverboten" und "Gesinnungsterror" zurückgeworfen werden kann. Gelöst wird es durch Aufklärung im besten katholischen Sinne: Dass die objektive Wahrheit nicht Werkzeug zur Selbstdarstellung und Verzerrung ist, auch nicht zur Relativierung und Instrumentalisierung, sondern Fundament und Rahmen allen Lebens, auch und gerade des eigenen.  

Nicht nachmachen also, sondern besser machen: Das ist die Antwort auf Dandies und andere Katachresen. Nicht Milo spielen, sondern etwa auf Mutter Angelica hören, der Gründerin von EWTN, von der nicht nur Papst Franziskus sagt, dass sie im Himmel ist.

(Diesen Artikel lesen Sie auch in der Tagespost vom 25. Februar 2017.) 

(Die Geschichte geht unten weiter)

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