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Im Wortlaut: Diese Rede hat Kardinal Marx vor der Familiensynode gehalten

Kardinal Reinhard Marx (rechts) ist Erzbischof von München und Freising, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Berater des Papstes im Kardinalsrat "K9" und Präsident der Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen, COMECE.

Auf der Bischofssynode in Rom hat am Mittwoch, 14. Oktober 2015, Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, eine ganze Reihe dramatischer Änderungen der kirchlichen Lehre und Praxis gefordert. Wir dokumentieren seinen Redebeitrag vor der Synode, wie ihn die Deutsche Bischofskonferenz nun publiziert hat:

Das Zweite Vatikanische Konzil hat vor 50 Jahren das Evangelium wieder zu einer Quelle der Inspiration für das persönliche und gesellschaftliche Leben gemacht. Das gilt auch für das „Evangelium von der Familie“ (Papst Franziskus). In der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (GS) hat es eine Ehelehre entwickelt, die von den Päpsten nach dem Konzil entfaltet wurde und die Ehe- und Familienpastoral der Kirche auch gegenwärtig inspiriert. Auch wenn das Konzil nicht alle Fragen beantwortet hat, die uns heute beschäftigen, so hat es doch die theologischen Grundlagen gelegt, die uns helfen, unsere gegenwärtigen Fragen zu beantworten.

Das Konzil versteht die Ehe als „innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“ (GS, Nr. 48) und entfaltet die Ehelehre im Rahmen einer Theologie der Liebe. Die Liebe zwischen Mann und Frau „geht in frei bejahter Neigung von Person zu Person, umgreift das Wohl der ganzen Person, vermag so den leib-seelischen Ausdrucksmöglichkeiten eine eigene Würde zu verleihen und sie als Elemente und besondere Zeichen der ehelichen Freundschaft zu adeln“. Diese Liebe „durchdringt (das) ganze Leben; ja gerade durch ihre Selbstlosigkeit in Leben und Tun verwirklicht sie sich und wächst“ (vgl. GS, Nr. 49). Das Konzil betont, dass diese Liebe zwischen Mann und Frau des institutionellen und rechtlichen Rahmens der Ehe bedarf, um sich dauerhaft in guten und in schlechten Tagen entfalten und bewähren zu können. Nicht zuletzt dient die Institution der Ehe dem Wohl der Kinder (vgl. GS, Nr. 50).

Mit Hilfe dieser Theologie der Liebe oder auch der Theologie des Bundes, die hier nur unzureichend skizziert werden kann, gelingt es dem Konzil, die Sakramentalität der Ehe wieder neu verständlich zu machen. Die eheliche Liebe wird zum Abbild der Liebe Christi zu seiner Kirche und zum Ort, an dem die Liebe Christi erfahrbar wird. Um diese Verbindung von Göttlichem und Menschlichem auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen, spricht das Konzil vom Ehebund. Nicht zuletzt ist die unlösliche Treue ein wirksames Zeichen der Liebe Christi in dieser Welt.

Schließlich versteht das Konzil die menschliche Sexualität als Ausdruck der Liebe und schlägt damit einen neuen Weg in der Sexualethik ein. „Diese Liebe wird durch den eigentlichen Vollzug der Ehe in besonderer Weise ausgedrückt und verwirklicht. Jene Akte also, durch die die Eheleute innigst und lauter eins werden, sind von sittlicher Würde; sie bringen, wenn sie human vollzogen werden, jenes gegenseitige Übereignetsein zum Ausdruck und vertiefen es, durch das sich die Gatten gegenseitig in Freude und Dankbarkeit reich machen.“ (GS, Nr. 49) Zu diesem Reichtum gehören zweifellos auch die Zeugung und die Erziehung von Kindern, aber eben nicht nur. Denn ausdrücklich betonen die Konzilsväter, dass auch ohne Kinder die Ehe als „volle Lebensgemeinschaft bestehen (bleibt) und ihren Wert behält“ (vgl. GS, Nr. 50).

Aufgabe dieser Bischofssynode ist es, diese Theologie der Liebe beziehungsweise des Bundes, die das Konzil in Grundzügen dargestellt hat, aber die im kanonischen Recht noch nicht ganz ihren Niederschlag gefunden hat, zu vertiefen und mit Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen der Ehe- und Familienpastoral zu entfalten. Ich möchte mich auf zwei Herausforderungen konzentrieren, nämlich auf die Ehevorbereitung und Ehebegleitung und auf die Frage nach dem angemessenen Umgang mit den Gläubigen, deren Ehe gescheitert ist und von denen nicht wenige zivil geschieden und wiederverheiratet sind.

 

Das Konzil spricht nicht zufällig vom Wachsen in der Liebe. Das gilt für das gemeinsame Leben in der Ehe; es gilt aber auch für die Zeit der Vorbereitung auf die Ehe. Es gilt eine Pastoral zu entwickeln, die den Wegcharakter des Christseins auch in Bezug auf Ehe und Familie stärker als bislang betont. Wir alle sind zur Heiligkeit berufen (vgl. Lumen gentium, Nr. 39), aber der Weg der Heiligung endet erst am Jüngsten Tag, wenn wir vor dem Richterthron Christi stehen. Dieser Weg ist nicht immer gerade und führt nicht immer direkt zum angestrebten Ziel. Anders ausgedrückt: Der Lebensweg der Braut- und der Eheleute kennt Zeiten intensiver Gefühle und Zeiten der Enttäuschung, gelingende gemeinsame Vorhaben und gescheiterte Pläne, Zeiten großer Nähe und Zeiten der Entfremdung. Nicht selten sind es gerade Schwierigkeiten und Krisen, die, wenn sie gemeinsam gemeistert werden, das Eheband stärken und festigen. Die kirchliche Ehevorbereitung und -begleitung darf nicht von einem moralischen Perfektionismus bestimmt sein. Es darf auch keine Pastoral des „alles oder nichts“ geben. Es kommt vielmehr darauf an, die verschiedenen Lebenssituationen und die Liebeserfahrungen der Menschen differenziert wahrzunehmen. Unser Blick sollte sich weniger auf das richten, was im Leben (noch) nicht gelingt oder vielleicht auch gründlich misslingt, als vielmehr auf das, was schon gelingt. Es ist meist nicht der erhobene Zeigefinger, sondern die ausgestreckte Hand, die Menschen motiviert, auf dem Weg der Heiligung voranzuschreiten. Wir benötigen eine Pastoral, die die Erfahrungen der Menschen in Liebesbeziehungen wertschätzt und eine spirituelle Sehnsucht zu wecken vermag. Das Sakrament der Ehe ist vor allem als Geschenk zu verkünden, das das Ehe- und Familienleben bereichert und stärkt, und weniger als ein durch menschliche Leistung zu verwirklichendes Ideal. So unverzichtbar die lebenslange Treue für die Entfaltung der Liebe ist, so darf die Sakramentalität der Ehe doch nicht auf ihre Unauflöslichkeit reduziert werden. Sie ist ein umfassendes Beziehungsgeschehen, das sich entfaltet.

Der Augenblick des Empfangs des Ehesakramentes ist ja erst der Beginn des Weges. Das Sakrament ereignet sich nicht nur im Moment der Eheschließung, in dem beide sich gegenseitige Liebe und Treue versprechen, sondern entfaltet sich im gesamten Eheweg. Das gemeinsame Leben in der Ehe zu gestalten, liegt in der Verantwortung der Ehepartner. Die kirchliche Pastoral kann und soll die Ehepartner unterstützen, sie muss aber ihre Verantwortung respektieren. Wir müssen der Gewissensentscheidung der Braut- und Eheleute in der Verkündigung und in der Pastoral mehr Raum geben. Es ist gewiss die Aufgabe der Kirche, das Gewissen der Gläubigen zu bilden, aber das Gewissensurteil der Personen kann nicht ersetzt werden. Das gilt insbesondere für Situationen, in denen die Partner in einem Wertkonflikt eine Entscheidung treffen müssen, etwa wenn die Offenheit für die Zeugung von Kindern und die Wahrung des ehelichen und familiären Lebens miteinander in Konflikt geraten.

Doch auch eine wertschätzende und unterstützende Pastoral wird nicht verhindern können, dass Ehen zerbrechen, Ehepartner ihre Lebens- und Liebesgemeinschaft beenden und sich trennen. Auch das erneuerte Verfahren zur Feststellung der Ehenichtigkeit kann nicht alle Fälle in rechter Weise erfassen. Oftmals ist der Bruch einer Ehe weder eine Folge menschlicher Unreife noch eines mangelnden Ehewillens. Der Umgang mit Gläubigen, deren Ehe zerbrochen ist und die nicht selten nach einer zivilen Scheidung eine neue zivile Ehe geschlossen haben, bleibt daher in vielen Teilen der Welt ein drängendes pastorales Problem. Für viele Gläubige – auch solche, die in einer intakten Ehe leben – ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit der Kirche. Das weiß ich aus vielen Gesprächen und Briefen.

Dankenswerterweise haben Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. keinen Zweifel daran gelassen, dass auch zivil geschiedene und wiederverheiratete Gläubige zur Kirche gehören, und sie wiederholt eingeladen, aktiv am Leben der Kirche teilzunehmen. Es ist daher unsere Aufgabe, eine einladende Pastoral für diese Gläubigen zu entwickeln und sie immer stärker in das Leben der Gemeinden einzubinden. Ihnen gegenüber hat die Kirche die Liebe Christi zu bezeugen, die zuerst denen gilt, die mit ihren Vorsätzen und Bemühungen gescheitert und schuldig geworden sind. Denn „nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“ (Mt 9,12). Es ist Aufgabe der Kirche, die Wunden, die das Zerbrechen einer Ehe und die Trennung der Partner geschlagen haben, zu heilen und ihnen zu zeigen, dass Gott sie auch in diesen schweren Tagen begleitet. Können wir wirklich heilen, ohne das Sakrament der Versöhnung zu ermöglichen?

Mit Blick auf die zivil geschiedenen und wiederverheirateten Gläubigen, die aktiv am Gemeindeleben teilnehmen, fragen viele Gläubige, warum die Kirche ihnen ausnahmslos die Teilnahme an der sakramentalen Kommunion verweigert. Viele in unseren Gemeinden können nicht verstehen, wie man zur vollen Gemeinschaft der Kirche gehören und gleichzeitig vom Sakrament der Beichte und der Eucharistie ausgeschlossen sein kann. Als Grund wird angegeben, dass zivil geschiedene und wiederverheiratete Gläubige objektiv in einem fortgesetzten Ehebruch und damit im Widerspruch zu dem leben, was in der Eucharistie zeichenhaft dargestellt wird, die Treue Christi zu seiner Kirche. Doch wird diese Antwort der Situation der Betroffenen gerecht? Und ist sie sakramententheologisch zwingend? Können Menschen, die im Zustand der schweren Sünde gesehen werden, wirklich das Gefühl haben, ganz zu uns zu gehören?

Mit der Theologie und Pastoral von Ehe und Familie haben wir uns auch in der Deutschen Bischofskonferenz in den vergangenen Jahren intensiv befasst. Wir haben den Auftrag des Heiligen Vaters ernstgenommen, in der Zeit zwischen den Synoden die Thematik zu bedenken, offen zu diskutieren und zu vertiefen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat dazu etwa gemeinsam mit den Bischofskonferenzen Frankreichs und der Schweiz im Mai 2015 einen Studientag veranstaltet, dessen Beiträge auch veröffentlicht sind. Auch an den Theologischen Fakultäten wurden die Themen in bibeltheologischer, exegetischer, kanonistischer und pastoraltheologischer Perspektive in vielfacher Form aufgegriffen und debattiert. Hinzu kamen Gespräche mit Theologen und Veröffentlichungen. Wir haben gelernt: Hier muss auch in Zukunft noch die theologische Arbeit weitergehen.

Zum Thema der zivil geschiedenen und wiederverheirateten Gläubigen haben die deutschen Bischöfe selbst auch im Juni vergangenen Jahres weiterführende Überlegungen und Fragen veröffentlicht, die ich kurz skizzieren möchte.

Wer nach dem Zerbrechen der Ehe eine neue zivile Ehe geschlossen hat, aus der nicht selten auch Kinder hervorgegangen sind, ist damit dem neuen Partner und den Kindern gegenüber eine sittliche Verpflichtung eingegangen, die er oder sie nicht aufkündigen kann, ohne neue Schuld auf sich zu laden. Selbst wenn eine Neuaufnahme der Beziehung möglich wäre – in der Regel ist sie ausgeschlossen –, befindet sich derjenige in einem objektiven sittlichen Dilemma, aus dem es keinen eindeutigen moraltheologischen Ausweg gibt. Der Rat, in der neuen Beziehung auf sexuelle Akte zu verzichten, erscheint vielen nicht nur unrealistisch. Es ist auch fragwürdig, ob sexuelle Handlungen isoliert vom Lebenszusammenhang beurteilt werden können. Können wir sexuelle Akte in einer zweiten zivilen Ehe ausnahmslos als Ehebruch bewerten? Unabhängig von der Bewertung der konkreten Situation?

In sakramententheologischer Hinsicht ist zweierlei zu bedenken. Können wir ruhigen Gewissens Gläubige, die zivil geschieden und wiederverheiratet sind, in jedem Fall vom Sakrament der Versöhnung ausschließen? Können wir ihnen die Versöhnung mit Gott und die sakramentale Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes selbst dann versagen, wenn sie ihre Schuld am Zerbrechen der Ehe aufrichtig bereuen? Was die Frage der Zulassung zur sakramentalen Kommunion betrifft, so ist zu bedenken, dass die Eucharistie den Bund Christi mit seiner Kirche nicht nur darstellt, sondern ihn auch immer wieder erneuert und die Gläubigen auf ihrem Weg der Heiligung stärkt. Die beiden Prinzipien der Zulassung zur Eucharistie, nämlich die Bezeugung der Einheit der Kirche und die Teilnahme an den Mitteln der Gnade, können bisweilen in Spannung zueinander geraten. So sagt das Konzil in der Erklärung Unitatis redintegratio (Nr. 8): „Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen.“ Diese Aussage ist über die Ökumene hinaus von grundsätzlicher pastoraler Bedeutung. In seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium ergänzt der Heilige Vater mit Bezug auf die Lehre der Kirchenväter: „Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen. Diese Überzeugungen haben auch pastorale Konsequenzen, und wir sind berufen, sie mit Besonnenheit und Wagemut in Betracht zu ziehen.“ (Nr. 47)

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Auf der theologischen Grundlage, die das Zweite Vatikanische Konzil gelegt hat, sollten wir daher ernsthaft die Möglichkeit prüfen – je auf den einzelnen Fall bezogen und nicht in einer generalisierenden Weise –, zivil geschiedene und wiederverheiratete Gläubige zum Sakrament der Buße und zur Kommunion zuzulassen, wenn das gemeinsame Leben in der kanonisch gültigen Ehe definitiv gescheitert ist und die Ehe nicht annulliert werden kann, die Verbindlichkeiten aus dieser Ehe geklärt sind, die Schuld am Zerbrechen der ehelichen Lebensgemeinschaft bereut wurde und der aufrechte Wille besteht, die zweite zivile Ehe aus dem Glauben zu leben und die Kinder im Glauben zu erziehen.

 

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