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Franziskus warnt vor „Spiritualität der Vorspiegelung" – Predigt der Abschlussmesse

„Jesus glaubt an uns – mehr als wir selbst an uns glauben" - Papst Franziskus bei der Abschlussmesse im Petersdom am 25. Oktober

„Liebe Synodenbrüder, wir sind gemeinsam vorangegangen. Ich danke euch für den Weg, den wir miteinander geteilt haben im Blick auf den Herrn und auf die Mitmenschen, auf der Suche nach den  Wegen, die das Evangelium unserer Zeit weist, um das Geheimnis der Liebe zu verkünden, das die Familie betrifft": Mit einer Eucharistiefeier im Petersdom hat Papst Franziskus heute die Familiensynode offiziell beendet. In seiner Predigt widmete sich der Heilige Vater erneut dem Thema und Begriff der „Synode”.  Die Bischöfe rief Franziskus auf, nicht eine „Spiritualität der Vorspiegelung” zu leben.

 

Hier der komplette Wortlaut, wie er vom Presse-Amt des Heiligen Stuhls als Redetext vorgelegt wurde:

Alle drei Lesungen dieses Sonntags zeigen uns das Mitleid Gottes, seine Väterlichkeit, die sich endgültig in Jesus offenbart. Der Prophet Jeremia verkündet mitten im nationalen Unheil, als das Volk von den Feinden  deportiert worden ist: „Der Herr hat sein Volk gerettet, den Rest Israels" (31,7). Und warum hat er  das getan? Weil er Vater ist (vgl. V. 9), und als Vater kümmert er sich um seine Kinder, begleitet  sie auf ihrem Weg, unterstützt „Blinde und Lahme, Schwangere und Wöchnerinnen" (31,8). Seine  Väterlichkeit öffnet ihnen einen gangbaren Weg, einen Weg des Trostes nach so vielen Tränen und  so viel Bitterkeit. Wenn das Volk treu bleibt, wenn es auch in einem fremden Land beharrlich weiter nach Gott sucht, wird Gott seine Gefangenschaft in Freiheit und seine Einsamkeit in Gemeinschaft verwandeln: Was das Volk heute unter Tränen sät, wird es morgen in Freude ernten (vgl. Ps 126,6).

Mit dem Psalm haben auch wir die Freude kundgetan, die eine Frucht des Heils des Herrn ist: Da war unser Mund voll Lachen und unsere Zunge voll Jubel" (V. 2). Der Gläubige ist ein Mensch, der das Heilshandeln Gottes in seinem eigenen Leben erfahren hat. Und wir Hirten haben erfahren, was es heißt, unter Mühen, manchmal mit Tränen zu säen und sich über die Gnade einer Ernte zu freuen, die immer über unsere Kräfte und unsere Fähigkeiten hinausgeht.

Der Abschnitt aus dem Hebräerbrief hat uns das Mitgefühl Jesu vor Augen geführt. Auch er hat sich „der Schwachheit unterworfen" (5,2), um für die Unwissenden und Irrenden Verständnis aufzubringen. Jesus ist der erhabene, heilige, unschuldige Hohepriester, aber zugleich ist er der Hohepriester, der mitfühlen kann mit unserer Schwäche und der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat. (vgl. 4,15). Darum ist er der Mittler des neuen und ewigen Bundes, der uns das Heil schenkt.

Das heutige Evangelium verbindet sich direkt mit der ersten Lesung: Wie das Volk Israel dank der Väterlichkeit Gottes befreit wurde, so wurde Bartimäus dank Jesu Mitleid befreit. Jesus hat gerade Jericho verlassen. Obwohl er seinen wichtigsten Weg, den nach Jerusalem, eben erst begonnen hat, bleibt er noch einmal stehen, um auf den Ruf des Bartimäus zu antworten. Er lässt sich von dessen Bitte innerlich anrühren, lässt sich gleichsam in seine Situation hineinziehen. Er begnügt sich nicht damit, ihm ein Almosen zu geben, sondern will ihm persönlich begegnen. Er gibt ihm weder Anweisungen, noch Antworten, sondern stellt eine Frage: „Was soll ich dir tun?" (Mk10,51). Das könnte wie eine nutzlose Frage erscheinen: Was sollte ein Blinder anderes ersehnen als das Augenlicht? Und doch zeigt Jesus mit dieser direkten, aber respektvollen Frage von Mensch zu Mensch, dass er unsere Bedürfnisse anhören will. Er wünscht sich mit jedem von uns ein Gespräch, das um das Leben, um reale Situationen geht und vor Gott nichts ausschließt. Nach der Heilung sagt der Herr zu jenem Mann: „Dein Glaube hat dir geholfen" (V. 52). Es ist schön zu sehen, wie Christus den Glauben des Bartimäus bewundert und ihm „vertraut“. Jesus glaubt an uns – mehr als wir selbst an uns glauben.

Es gibt hier noch ein interessantes Detail. Jesus befiehlt seinen Jüngern, zu gehen und Bartimäus herbeizurufen. Sie wenden sich an den Blinden mit zwei Aufforderungen, die im übrigen Evangelium nur von Jesus gebraucht werden. Als Erstes sagen sie zu ihm: „Hab nur Mut!" – ein Ausdruck, der wörtlich bedeutet: „Hab Vertrauen, fass dir ein Herz!“ Tatsächlich gibt nur die Begegnung mit Jesus dem Menschen die Kraft, die schwersten Situationen anzugehen. Das zweite Wort ist: „Steh auf“! – wie Jesus zu so vielen Kranken gesagt hatte, wenn er sie an die Hand nahm und heilte. Die Seinen tun nichts anderes, als die ermutigenden und befreienden Worte Jesu zu wiederholen, und führen so direkt zu ihm, ohne Predigten. Dazu sind die Jünger Jesu auch heute berufen, besonders heute: den Menschen mit der mitfühlenden, rettenden Barmherzigkeit in Kontakt zu bringen. Wenn der Schrei der Menschheit – wie im Fall von Bartimäus – noch lauter wird, gibt es keine andere Antwort, als uns die Worte Jesu zu Eigen zu machen und vor allem sein Herz nachzuahmen. Die Situationen von Elend und Konflikt sind für Gott Gelegenheiten zur Barmherzigkeit. Heute ist die Zeit der Barmherzigkeit!

Es gibt aber einige Versuchungen für die, welche Jesus folgen. Das Evangelium stellt wenigstens zwei von ihnen heraus. Keiner der Jünger bleibt stehen wie Jesus. Sie setzen ihren Weg fort, gehen weiter, als ob nichts gewesen wäre. Wenn Bartimäus blind ist – sie sind taub: Sein Problem ist nicht ihr Problem. Das kann eine Gefahr für uns sein: angesichts der ständigen Probleme lieber weiterzugehen, ohne uns stören zu lassen. Auf diese Weise sind wir wie die Jünger mit Jesus zusammen, denken aber nicht wie Jesus. Man ist in seiner Gruppe, verliert aber die Offenheit des Herzens; das Staunen, die Dankbarkeit und die Begeisterung gehen verloren, und man läuft Gefahr, ein „Gewohnheitsmensch der Gnade“ zu werden. Wir können über ihn sprechen und für ihn arbeiten, aber weit entfernt von seinem Herzen leben, das sich zu denen ausstreckt, die verletzt sind. Das ist die Versuchung: eine „Spiritualität der Vorspiegelung“: Wir können die Wüsten der Menschheit durchqueren und nicht sehen, was wirklich los ist, sondern nur das, was wir sehen möchten; wir sind fähig, Weltanschauungen zu konstruieren, akzeptieren aber nicht, was der Herr uns vor Augen führt. Ein Glaube, der sich nicht im Leben der Menschen zu verwurzeln weiß, bleibt trocken, und anstatt Oasen zu schaffen, verursacht er weitere Wüsten. Es gibt noch eine zweite Versuchung, und zwar die, in einen „Planungs-Glauben“ zu verfallen. Wir können mit dem Volk Gottes vorangehen, haben aber schon unseren Zeitplan, in den alles gut eingeordnet ist: Wir wissen, wohin es gehen soll und wieviel Zeit dafür nötig ist; alle müssen unsere Rhythmen einhalten, und jeder Zwischenfall stört uns. Wir laufen Gefahr, zu werden wie die „vielen“ aus dem Evangelium, die die Geduld verlieren und Bartimäus Vorwürfe machen.

Kurz zuvor hatten sie die Kinder getadelt (vgl. Mk 10,13) und jetzt den blinden Bettler: Wer lästig wird oder nicht ebenbürtig ist, muss ausgeschlossen werden. Jesus will dagegen einschließen, vor  allem die, welche ausgegrenzt sind und zu ihm schreien. Diese haben Glauben – wie Bartimäus – denn zu wissen, dass man der Rettung bedarf, ist der beste Weg, um Christus zu begegnen.

Und am Ende folgt Bartimäus Jesus auf seinem Weg (vgl. V. 52). Er erhält nicht nur das Augenlicht zurück, sondern schließt sich der Gemeinschaft derer an, die mit Jesus gehen. Liebe Synodenbrüder, wir sind gemeinsam vorangegangen. Ich danke euch für den Weg, den wir miteinander geteilt haben im Blick auf den Herrn und auf die Mitmenschen, auf der Suche nach den  Wegen, die das Evangelium unserer Zeit weist, um das Geheimnis der Liebe zu verkünden, das die Familie betrifft. Gehen wir weiter auf dem Weg, den der Herr wünscht. Erbitten wir von ihm einen geheilten und erlösten Blick, der Licht zu verbreiten weiß, weil er sich an den Lichtglanz erinnert, der ihn erleuchtet hat. Ohne uns je vom Pessimismus und von der Sünde verdunkeln zu lassen, wollen wir die Herrlichkeit Gottes suchen und sehen, die im lebendigen Menschen aufscheint.

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