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Kommentar: Von Muhammad Ali zu Katharina von Siena

Der Boxer im Jahr 1966 (links) und die Statue der Kirchenlehrerin im Jahr 2015.

"Float like a butterfly, sting like a bee": So fasste Muhammad Ali sein Betriebsgeheimnis zusammen, mit dem er schließlich zum Allergrößten aufstieg, weil er im Boxring des letzten Jahrhunderts tatsächlich wie "ein Schmetterling zu flattern und zu tanzen und wie eine Wespe zu stechen" wusste.

Das Erfolgsrezept und die spektakuläre Kampfmethode des Meisterboxers, der nun in Louisville zu Grabe getragen wurde, haben inzwischen aber wohl Schule gemacht, wie es heute aussieht, und sind Methode geworden – bis hin zum Vatikan, wo wir gerade Zeuge eines Schlagabtauschs in Zeitlupe werden, der bis Amerika für Aufsehen sorgt.

Es ist ein Duell höchster Prälaten, die sich da – nicht in einem Ring, sondern europaweit über die Medien – umflattern und stechen, ohne ihre Partner dabei auch nur mit Namen zu nennen. Die Stiche sitzen trotzdem präzise.

So griff der argentinische Erzbischof Víctor Manuel Fernàndez  in einem Interview mit dem "Corriere della Sera" bereits 2015 einen ungenannten "Präfekten des Vatikans" im besonderen und die "römische Kurie" im allgemeinen an, die sich seiner Ansicht nach wohl einbildeten, dem Papst bei seiner Leitungsaufgabe irgendwie helfen zu können und helfen zu müssen. Der Erzbischof ist aber nicht irgendwer, sondern ein gesuchter Ratgeber, Freund und Redenschreiber von Papst Franziskus, der auch große Teile des nachsyodalen Papstschreibens Amoris Laetitia schon vor Jahren in eigenen Artikeln veröffentlicht hat. Nun aber steigerte er sich noch zu der Aussage, dass der Papst ja nicht unbedingt in Rom leben müsse, sondern die Stadt auch eben so gut verlassen könne und etwa "ein Dikasterium in Rom und ein anderes in Bogotà" in Kolumbien haben und sich dabei  "in Telefonkonferenzen" mit anderen Experten kurzschließen könne, die möglicherweise in Deutschland leben. Dabei stände dem Pontifex allein das Kollegium der Bischöfe zur Seite. Von Kardinälen lese man nichts im Evangelium. "Kardinäle könnten verschwinden", fuhr er deshalb danach fort. "Wesentlich" für die Führung der Kirche seien allein "der Papst und die Bischöfe." Vielleicht hat sich Erzbischof Fernàndez zu diesem Gedankenspiel ja von dem Umzug des Papstes aus dem päpstlichen Palast in das Gästehaus des Vatikans vor drei Jahren inspirieren lassen. Keiner weiß es.

Doch wie auch immer. Auf diesen spektakulären Generalangriff auf die Tradition – und zwar  mit einer selten offenkundigen Verachtung jenes heiligen Geistes, der nach katholischem Verstand darin wirkt – antwortete dem stolzen Erzbischof jedoch zunächst kein Kardinal, sondern schon einen Tag später im gleichen Blatt ein anderer Erzbischof in der Person von Giovanni Angelo Becciu, Substitut des Kardinalstaatssekretärs Parolin und damit immerhin die Nummer 2 des Vatikanstaates, der darauf hinwies, dass sich die Kurie allmählich und sinnvoller Weise historisch entwickelt und eine sehr wichtige Rolle beim "Wachstum der Kirche" gespielt habe.

Recht hat er. Denn Petrus ist heute ja kein Fischer auf dem See Genzareth mehr mit 11 anderen Aposteln in seinem Boot, sondern das Oberhaupt von über 1,2 Milliarden Katholiken (die er nicht totalitär wie ein Generalissimus oder wie ein Caudillo regieren kann, sondern wenn überhaupt, dann nur mit einem Stab erfahrener und bewährter Helfer in Rom, und das sind die Kardinäle und das ist die Kurie und das ist auch gut so.).

Und nun hat sich – über ein Jahr später! – eben auch Kardinal Müller selbst in die Auseinandersetzung eingemischt, der Chef der legendären Glaubenskongregation, das heißt, des kirchlichen Lehramts und damit der oberste Glaubenshüter der katholischen Kirche an der Seite des Papstes. Auch er nennt keinen Namen, doch in einem Interview mit der Herder-Korrespondenz hat er ungewohnt scharf darauf hingewiesen, dass alle  Gedanken an eine mögliche Verlegung des Papstsitzes grundsätzlich falsch "und sogar häretisch" seien. Um die ekklesiologische "Absurdität" solcher Spiele zu durchschauen, müsse man nur die Dogmatische Konstitution "Lumen Gentium" des II. Vatikanischen Konzils zur Kenntnis nehmen. Der Wohnsitz des Oberhirten und Nachfolgers Petri sei der Einheit der ganzen Kirche zuliebe beim Grab des Apostels Petrus und basta.

Noch hat sich Papst Franziskus, schlau wie er ist, nicht in die brisante Debatte eingemischt.

Da ist es heute vielleicht Zeit, kurz innezuhalten und an Katharina von Siena (1347 – 1380) zu erinnern, die ebenso heilige wie kritische und leidenschaftliche Analphabetin, der es 1376 endlich gelungen ist, Papst Gregor XI. (1329 – 1376) zu bewegen, von Avignon zurück nach Rom zu kommen und damit die "babylonische Gefangenschaft der Kirche" zu beenden, in der die Päpste seit dem Jahr 1309 zwangsweise in Südfrankreich residierten und darüber quasi zu Geiseln der Könige Frankreichs und zum Spielball aller möglichen Interessen geworden waren.  Fromme Römer weisen dabei gern augenzwinkernd darauf hin, dass von diesen beiden Gegenspielern nachher schließlich nur Katherina als Heilige und Kirchenlehrerin erkannt wurde, nicht aber Papst Gregor XI. oder einer der anderen Oberhirten aus Avignon.

Von Kennern der Geschichte hingegen wird in Rom in diesem Zusammenhang eher auf einen kleinen "clash of civilisations" und auf die transatlantische Dimension hingewiesen, die der Debatte innewohnt, wo Kardinal Müller eben mit den reichen Erfahrungen der Europäer argumentiert – und zwar auch und gerade  im Bewusstsein der vielen Irrwege, die die Kirche hier schon genommen und hinter sich hat – sowie Erzbischof Fernàndez mit den dagegen eher verkürzten historischen Erfahrungen der neuen Welt.

Wie auch immer. Eine kleine Atempause lässt heute auch Zeit, einmal neu darüber nachzudenken, welches Gottesgeschenk der winzige Vatikanstaat bei den Gräbern der Apostelfürsten nach dem Verlust des Kirchenstaates eigentlich ist, wo der Bischof von Rom die weltweite Kirche nicht nur als ihr oberster Hirte leitet – zusammen mit der Kirche von Rom, die als "mater et magistra" (Mutter und Lehrerin) der katholischen Weltkirche gilt – sondern wo er als souveränes Oberhaupt eines eigenen Staates auch völlig unabhängig ist von den Ansprüchen jedes Potentaten, der ihm eventuell Zuflucht und oder andere Gunstbeweise gewähren oder entziehen würden.

Bevor Papst Franziskus nun aber selbst die Boxhandschuhe überstreift und  auch zu tanzen und zu stechen beginnt wie Muhammad Ali, wäre er deshalb wohl sehr gut beraten, die heilige Katharina von Siena in Rom um ihren Beistand bei der Beurteilung dieses Streits um die rechte Weise seiner Amtsführung und bei der komplizierten Leitung der Weltkirche von Argentinien bis nach China anzurufen.  Auch mit diesem Beistand bleibt der Pontifex doch sowieso und wirklich der Allergrößte (lateinisch: maximus). 

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