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Kommentar: Halbzeit – Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit

Das Jahr der Barmherzigkeit ist seit kurzem in der zweiten Halbzeit. Wie steht das Spiel?

Deutschland ist im EM-Fieber – oder wenigstens steigt nach dem 1:0 Sieg gegen Nordirland langsam das Thermometer der Fußballbegeisterung. Dem Fußball gelingt es, alle zwei Jahre fast das ganze Land wochenlang in Bann zu halten bis endlich der Welt- oder Europameister gekürt werden kann.

Der Kampf um das runde Leder lockt Tausende ins Stadion und Millionen vor die Fernsehapparate. Das Heilige Jahr, am 8. Dezember 2015 von Papst Franziskus eröffnet, ist vor kurzem in die zweite Halbzeit gegangen. Wie steht das Spiel? Es geht hier nicht um Einschaltquoten beziehungsweise "Besucherzahlen", die durch die Heiligen Pforten schreiten. Es geht nicht einmal um Begeisterung und Jubel – auch wenn das natürlich sein darf und beim kurz bevorstehenden Weltjugendtag in Krakau stattfinden wird! Es geht nicht um Sieger und Verlierer, Spielmacher und angeblich unparteiische Schiedsrichter – es geht um mich oder besser gesagt: um Jesus. Wenn er als Gewinner meines Herzens aus dem Heiligen Jahr hervorgeht, dann war's ein Erfolg – wenn nicht, na ja, dann gibt es hoffentlich Verlängerung und eine zweite Chance im Fatimajahr 2017...

Perfektionismus als christliches Ideal?

Es gibt ein Wort Jesu, vor dem ich immer wieder zurückgeschreckt bin, weil ich mich davon überfordert fühlte. Natürlich wagte ich nicht zu sagen, hier liegt der Herr falsch – Who am I to judge the Lord? – aber insgeheim habe ich es mir wohl doch gedacht. Ich habe dieses Wort nicht verstanden und lange keine Antwort gefunden, was damit wirklich gemeint sei. Wenn der Herr seinen Freunden sagt: "Seid vollkommen, wie es Euer Vater im Himmel ist" (Mt 5, 48) übertreibt er da nicht maßlos? Eine größere Forderung gibt es ja gar nicht. Jesus sagt nicht – und das wären schon unerreichbare Ideale – "Seid vollkommen wie meine Mutter! Seid vollkommen wie die Engel, die im Himmel Gott schauen!" Vollkommen wie Gott der Vater das ist mehr als die Sündenlosigkeit Mariens und der heiligen Engel. Wie soll ich jemals so vollkommen sein? Da sind mir die Gleichnisse vom verlorenen Schaf oder dem barmherzigen Vater, der den heimkehrenden Sohn umarmt, schon lieber und verständlicher. Hier sagt mir der Herr, dass er um meine Schwächen und Sünden weiß, und ich nicht erst zu ihm kommen darf, wenn ich alles perfekt mache, sondern gerade dann wenn ich wieder einmal gefallen bin. Kein Wunder, dass wir meist nur Predigten vom barmherzigen Vater hören, der uns so annimmt wie wir sind. Da kann es manchmal sogar geschehen, dass wir den Eindruck bekommen, Gott liebe nicht nur den Sünder, sondern akzeptiere auch seine Sünden. Doch der Sohn, der vom Trog der Schweine kommt, kann sich nicht in seinen stinkenden Lumpen an den festlich gedeckten Tisch setzen. Er muss sich waschen, und darf dann im Sonntagsanzug an der Tafel sitzen. Von Gottes Barmherzigkeit zu sprechen, ohne Reue, Beichte und Umkehr zu erwähnen, ist schlichtweg Lüge. Aber muss ich denn erst vollkommen und perfekt sein – was ich doch nie schaffe – um durch die Tür, die Jesus ist, in das Haus des Vaters eintreten zu können?

Ich schaff das nie!

"Seid vollkommen wie der himmlische Vater!" – Wie schnell kann man da frustriert denken: "Bin ich denn nie gut genug?" Und gerade bei frommen Katholiken, die regelmäßig beten und beichten, kann es angesichts dieser Forderung zu Entmutigung und Traurigkeit kommen, "weil man es ja doch nicht schafft". Das Motto des Heiligen Jahres "Barmherzig wie der Vater" scheint beinahe ebenso so unmöglich und schwer, wie die Forderung Jesu nach christlicher Vollkommenheit, die Gott selbst zum Maßstab nehmen soll. Und doch liefert gerade das Leitwort des Jahres der Barmherzigkeit einen Schlüssel zum rechten Verständnis dessen, was der Herr von uns will. In Gott gibt es keine Fehler und Schwächen, aber Jesus meint nicht, dass wir in diesem Sinne perfekt sein sollen wie Er. Es geht offensichtlich um das Besondere des Vaters, denn auf ihn verweist Jesus und nicht auf sich selbst oder den Heiligen Geist.

Dem Vater ist es eigen zu schenken. Er ist der Ursprung von allem. Ja, Er ist der Ursprung des Sohnes, der in einer ewigen Zeugung von Ihm ausgeht. Seine besondere Vollkommenheit ist es "zu geben". Ihm wird daher in besonderer Weise das Werk der Schöpfung zugeschrieben. Immer gibt er voller Liebe. Alles, was Er gegenüber uns tut, ist voll Erbarmen und Gnade; ja das "Geschenk" seines Sohnes ist unsere Rettung und Erlösung. Es geht also keineswegs um Perfektionismus, bei dem man das aberwitzige und buchstäblich stolze (und dann diabolische!) Ziel verfolgt "wie Gott zu sein". Nein, es geht darum in dieser Welt die Vollkommenheit des Vaters nachzuahmen – und diese Vollkommenheit uns gegenüber heißt Barmherzigkeit. Gott gibt und vergibt ohne zu zählen – mehr als 77mal. Unser Geben und Vergeben, ja unsere eigene Hingabe an Ihn, soll ihn selbst zum Maß haben. Im "Vater Unser" wird das ganz deutlich, wenn wir bekennen, dass wir wie Gott verzeihen wollen: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." Es geht nicht um Sündenlosigkeit, sondern um Vergebung – die ich empfange und weitergebe, immer wieder. Nicht zuletzt geht es auch darum, barmherzig und geduldig mit sich selbst zu sein. Das bedeutet keine Lauheit im geistlichen Leben, sondern das Wissen darum, dass ich immer wieder fallen werde, und doch auch immer wieder Verzeihung finde. Es bedeutet auch, dass ich nicht so sehr auf meine Kraft und Leistung vertraue, so als könne ich irgendwann alles alleine schaffen, sondern dass ich weiß, ich brauche Gottes Gnade, die Hilfe der Kirche, die Begleitung meiner Freunde.

Wer das Spiel gegen Jesus verliert, gewinnt den Sieg

Viele Heilige Pforten in aller Welt stehen offen.  Und immer wieder muss ich durch die Heilige Pforte gehen – vielleicht nicht all die vielen an unseren Kirchen und Kathedralen, sondern diejenige, die Christus ist. Durch ihn vergibt mir der Vater. Durch ihn macht er mich vollkommen. Durch ihn finde ich Barmherzigkeit und kann – wie der Vater – barmherzig sein, indem auch ich immer wieder gebe und vergebe; immer wieder. "Wie der Vater" – Das Wort Jesu ist nicht nur Forderung, sondern vor allem auch Verheißung. Christus will für uns ein Leben "wie der himmlische Vater". Salopp würde ich fast sagen "wie Gott in Frankreich" – aber das, was in dieser Redewendung mitschwingt, ist auch gemeint: Der Herr will unsere Glückseligkeit, die in der Dreifaltigkeit vollkommen ist. Es geht darum in dieser Liebe und Freude zu leben – schon jetzt, wenn auch unter manchen Beschwernissen, und dann einmal in ungetrübter Fülle. Es geht eben nicht um moralische Perfektion, die ich irgendwann "schaffe", sondern um das immer neue Empfangen und Weitergeben von Gottes Barmherzigkeit. Lassen wir in diesem Jahr der Barmherzigkeit die Gnade Gottes in uns arbeiten, lassen wir uns von der Kirche durch die Sakramente und den Ablass helfen, leben wir mit unseren Freunden den Glauben – um barmherzig, vollkommen, glückselig wie der Vater zu werde. Die zweite Halbzeit hat begonnen, aber in diesem "heiligen Spiel" geht es nicht darum, zu siegen, sondern besiegt zu werden. Christus soll gewinnen; Christus soll herrschen. Am Christkönigsfest ist das Heilige Jahr zu Ende. Irgendwann endet auch das Spiel meines Lebens. "Game over!" – wenn dann Jesus Sieger ist, habe ich alles gewonnen.

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