12. August 2020
Was ist Neuevangelisierung? Wie evangelisiert man (richtig)? Und wen? Diese und andere Fragen behandelt ein Artikel auf "katholisch.de". Unter anderem wird der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding zitiert, der kritisiert, dass sich die Kirche heute mit Evangelisierung auch an Menschen aus den eigenen Reihen richte und der Begriff zu oft ideologisiert worden sei: Zu viele klagten über "Säkularismus", "Modernismus" und "Zeitgeist", gegen die sich die Kirche mittels Neuevangelisierung wehren müsse statt auf die Freiheit des Glaubens zu setzen.
Hier muss gleich eingangs klargestellt werden, dass mit Freiheit des Glaubens etwas anderes gemeint ist als zu glauben und zu tun was man will. Glaube ist ein Geschenk, das man in Freiheit annimmt oder eben nicht - mit allen Konsequenzen.
Natürlich muss sich die Kirche gegen alles wehren, was sie von innen her aushöhlen will. Natürlich muss sich Evangelisierung auch an Gläubige richten, die der Kirche fremd geworden sind. Denn es könnte sein, dass sie Christus noch nicht persönlich erfahren haben. Essentiell, um nicht zu sagen Voraussetzung für einen freudigen und missionarischen Glauben ist aber die wunderbare Begegnung mit dem lebendigen Gott. Aus ihm selber speist sich der wachsende Glaube, nicht aus Äußerlichkeiten. Andernfalls ist die Kirche nicht mehr als ein Verein, dem man sich anschließt, weil er einem gerade gefällt und ihn verlässt, wenn er einem nicht mehr passt.
Ein Blick in die verpönten geistlichen Gemeinschaften zeigt, wie und warum junge Menschen den Glauben voll Freude und ganz selbstverständlich leben: Sie stellen Jesus auf Platz 1 und pflegen die Freundschaft mit ihm durch Lobpreis, Anbetung, stilles Gebet, Austausch, Katechese usw. Dort kehrt niemand der Kirche den Rücken wegen irgendwelcher Strukturen. Wer mit Gott lebt, braucht keine neuen Strukturen, um glücklich in der Kirche zu sein. "Wer Gott besitzt, dem fehlt nichts. Solo dios basta", sagte die heilige Theresa von Avila.
In der Kirche sollte es niemals vorrangig um tote Strukturen gehen, sondern einzig und allein zuerst um den lebendigen Gott selbst. Nichts anderes ist Neuevangelisierung: die tägliche Rückkehr zu Gott und die Vertiefung der Beziehung zu ihm, das Zeugnis des Lebens mit ihm.
Damit ist die im genannten Artikel aufgeworfene Frage beantwortet, wie die Kirche Menschen am besten erreicht: indem sie diejenige bleibt, die sie ist; Mission ist Identität und Aufgabe der Kirche schlechthin – gemäß dem Auftrag Jesu an uns: Gehet hinaus in die Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen." (Mk 16,15) Joseph Ratzinger hat es 1958 treffend formuliert: Nur, wenn die Kirche "aufhört, eine billige Selbstverständlichkeit zu sein, nur wenn sie anfängt, sich selber wieder als das darzustellen, was sie ist, wird sie das Ohr der neuen Heiden mit ihrer Botschaft wieder zu erreichen vermögen..."
Die Crux: In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst, sagte Augustinus Aurelius. Nur wer ergriffen und begeistert ist von seinem ihn liebenden Schöpfer, der evangelisiert, und zwar automatisch, weil er aus Liebe zu Gott ohnehin nach Gottes Gesetzen lebt, mutig seinen Glauben bekennt und es nicht nötig hat, der Masse nach zu rennen, um gut anzukommen.
Es sind nicht Strukturen und Reglements, die Gläubige an die Kirche binden, sondern Liebe und Freude am Herrn, die sich in jedes (bereite) Herz ergießen will. Die gilt es zu vermitteln. Ziel jeder Kommunikation muss die Gottesbegegnung sein. Sie ist das Herzstück aller Evangelisation. Um es mit Kierkegaard zu sagen: Das Christentum ist keine Lehre, sondern eine Existenz-Mitteilung; Christus war nicht irgendein Prophet, er war und ist personaler Gott! Christus hat keine Dozenten oder Wünsche-Erfüller eingesetzt, sondern Nachfolger. Darum dürfen wir Priester und Bischöfe nicht in die Knie zwingen bis sie die Kirche so umformen wie es uns gerade passt. Es ist nicht der Auftrag der Kirche, Menschen und Meinungen nach dem Mund zu reden, damit alle zufrieden sind. Das wäre ohnehin unmöglich.
Es ist zudem zu bezweifeln, ob die Erfüllung aller Forderungen und Wünsche der Progressisten diese vollkommen (und langfristig) glücklich machen würden. Oder ob dieses Glücksgefühl mehr ein Gefühl des Siegens sein würde, das wieder vergeht. Tiefes Glück erfahren wir nur bei Gott, und auf dieser Welt nie vollkommen. Das erwartet uns erst im Paradies, auf das wir zusteuern. Darum ist Sinn und Ziel der Kirche, einzig Gott im Blick zu behalten, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.
Besonders die Bischöfe sollten uns hier als Zeugen der Wahrheit vorbildlich voranschreiten und uns den Weg (in den Himmel) weisen. Bischöfe vertreten nicht das Volk, sondern Christus, vom dem sie Sendung und Weihe empfangen haben. Ihr Amt ist keine negative Machtausübung, sondern Sendung.
Natürlich gab es Menschen auch Priester und sogar Päpste, die ihre Sendung missbraucht und Macht ausgeübt haben. Gerade darum braucht es die Evangelisierung, braucht es eine geistliche Erneuerung, braucht es die Bekehrung, braucht es den Blick auf Gott. Derzeit unterstellen Menschen Priestern und Hirten pauschal Machtansprüche und fordern ihrerseits selbst mehr Macht. Das ist ein Widerspruch in sich.
Nicht durch Anpassung und Aufweichung der kirchlichen Lehre wird die Kirche langfristig Zuwachs bekommen; dadurch würde sie die Sünde relativieren und legitimieren. Und das kann nicht die Kirche sein, die Jesus gegründet hat. Interessant wird Kirche nur mit Jesus im Mittelpunkt, wenn sie Farbe bekennt, zu Christus und seiner Lehre steht, mutig ist, aneckt – sich selbst und Gott treu bleibt.
Und dann kann die Kirche neue Wege wagen. Wir brauchen eine Erneuerung von Kirche und Glauben! Aber bitte ohne Abweichungen oder Entstellungen. Dafür ist es auch wichtig, in die Geschichte zu schauen und auf die Väter zu hören, die Heiligen der Geschichte. Wer die Geschichte nicht kennt, kann keine Zukunft gestalten. Wir alle sind aufgerufen, uns mit der Überlieferung und Geschichte der Kirche, aber auch mit ihrer Lehre und den Sakramenten zu befassen, um sie überhaupt erst einmal zu verstehen. Üben wir uns im Vertrauen in Gottes Güte statt nur uns selber zu vertrauen, weil Gott manchmal schwer zu begreifen ist. Die zentrale Frage muss sein: Was ist vor Gott richtig? Wahrheit kann keine Verhandlungs- und Abstimmungsmasse sein. Echte Wahrheit und echten Fortschritt finden wir nur in Gott.
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