CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut des Interviews mit Erzbischof Pizzaballa über 30 Jahre in Jerusalem, übersetzt und transkribiert von Martin Rothweiler, Programmdirektor des katholischen Fernsehsenders EWTN.TV.

 

Erzbischof Pierbattista Pizzaballa

Apostolischer Administrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem

Piero Damosso
Chefredakteur, RAI Television (TG1)

Ort: Palazzo della Rovere, Rom
Sitz des Großmeisteramtes des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem
 
Thema der Konferenz
Das Heilige Land und der Nahe Osten. Gegenwärtige Ereignisse und mögliche Perspektiven

BEGINN

Begrüßung durch  Erzbischof Fernando Kardinal Filoni 

Kardinal-Großmeister des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem

Guten Abend! Die Sorgen, die uns das Wiederaufflammen von COVID-19 bereitet, macht es unmöglich, dass wir heute Abend wie die Begegnung mit dem Erzbischof Monsignore Pizzaballa, ein Franziskaner wie gewohnt durchführen können Er ist Titularerzbischof von Verbe und der Apostolische Administrator des Lateinischen Patriarchat von Jerusalem. Zugleich ist er der Großprior des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Diese Begegnung kann diesmal nur über den Livestream erfolgen und das dank des Fernsehsenders EWTN. 

 

Erzbischof Pizzaballa wird von dem bekannten Journalisten des Fernsehsenders Rai Piero Damosso interviewt.

 

Seiner Exzellenz, Monsignore Pizzaballa, und Herrn Doktor Damosso gilt unser allerherzlichster Dank für Ihre Bereitschaft, diese Begegnung mit Leben zu erfüllen am Sitz des Großmeisteramtes des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem im historischen Palast della Rovere in Rom.

 

Diese Begegnung hat zum Thema: Das Heilige Land und der Nahe Osten, Aktuelle Geschehnisse und mögliche Perspektiven.“ Diese Begegnung wird nicht nur hier in Italien verfolgt. sondern auch in anderen Teilen der Welt. Seine Exzellenz, Monsignore Pizzaballa ist eine bekannte Persönlichkeit. Im Jahr 2016 hat Papst Franziskus ihn gebeten, sich um das Lateinische Patriarchat von Jerusalem zu kümmern. Aber seine Erfahrungen mit den Anliegen des Heiligen Landes sind bereits Jahrzehnte alt. Im Jahr 1993 schließt er sein Studium mit dem Lizenziat in Theologie am Studium Biblicum Franiscanum in Jerusalem ab. Nach seinem Studium des modernen Hebräisch und der semitischen Sprachen an der Hebrew University wird er 1998 Assistenzprofessor für biblisches Hebräisch und Judaismus am Studium Biblicum Franiscanum und am Studium Theologicum Jierosolymitanum. 

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Am 2. Juli 1999 tritt er formal in den Dienst der Kustodie des Heiligen Landes ein. Von 2002 bis 2004 war er Superior des Konvents des heiligen Simeons und der heiligen Anna in Jerusalem. Im Jahr 2004 wurde er zum Kustos des Heiligen Landes und zum Guardian des Monte Zion bestellt. Die pastorale Arbeit von Monsignore Pizzaballa  hat sich ausgezeichnet durch Ausgleich in der komplizierten Mediation zwischen dem Staat Israel und den palästinensischen Autoritäten. Er war immer bereit zum Dialog mit allen Kräften, die auf dem Territorium präsent sind. Um die Präsenz der christlichen Gemeinschaft im Heiligen Land zu sichern, ist seine Stimme eine, die am meisten gehört wird und besonders qualifiziert ist, das Leben der Kirche und der vielfältig verflochtenen Welt im Heiligen Land zu verstehen.

 

Piero Dammoss also ist ein Journalist der Rai. Er ist der Chefredakteur von TG1 und verantwortlich für das Programm Uno Mattina und der Morgennachrichten. Er hat viele Jahre an verschiedenen Universitäten Journalismus gelehrt. Er ist Autor zahlreicher Essays zur Kommunikation, zur Geschichte der katholischen Bewegung und der Kirche. Vielen Dank noch einmal, dass sie hier sind und nun dann gebe ich Ihnen das Wort. 

 

Journalist Damosso

Vielen Dank, Eminenz für Ihre Vorstellung, die ich persönlich nicht verdient habe. Ich grüße alle ganz herzlich, die mit uns verbunden sind bei dieser Begegnung, die vom Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem ermöglicht wurde. Und ich beginne sofort mit meiner ersten Frage an Monsignore Pizzaballa: Gehen wir direkt in medias res. Exzellenz, wir durchleben eine dramatische Situation, die die Welt, so können wir sagen, so noch nie zuvor gekannt hat. In diesen Jahren hatten viele – am Ende waren es vereinzelte Stimmen – vor einer Pandemie gewarnt, die wir nun schon seit mehr als ein paar Monaten erleben. Wie sehr hat ihrer Meinung die Pandemie ein Territorium getroffen, das schon durch viele Spannungen gekennzeichnet ist wie das Heilige Land und der Nahe Osten? Welche Lehre können wir aus der Pandemie ziehen, um den Dialog und den Frieden und ein besseres Zusammenleben zu fördern, in dieser Wirklichkeit einer Welt, die so entscheidend für den Aufbau des Friedens in der ganzen Welt ist?

 

Pizzaballa: 

Vor allem hat uns die Pandemie getroffen im Nahen Osten und im Heiligen Land, in Israel, in Palästina und im übrigen Nahen Osten wie alle. Am Anfang so muss ich sagen, bei uns etwas weniger. Denn im Frühling hat das Virus Europa sehr hart getroffen, uns viel weniger. Wir waren im Lockdown, aber eher in einem präventiven Lockdown. Dann haben wir leider viel zu schnell wieder geöffnet. Und dann gab es eine sehr besorgniserregende Welle. Über die Notlage im Gesundheitswesen hinaus trifft uns auch die wirtschaftliche und soziale Notlage - wie auch in der übrigen Welt. Die Länder haben sich abgeriegelt, es gab geschlossene Grenzen .... für eine lange Zeit, für viele Monate. Jordanien hat zum Beispiel seine Grenzen praktisch bis heute noch geschlossen. Um bei unserer Realität zu bleiben, vor allen Dingen bei der Lage der Palästinenser, die wirtschaftlich und sozial sehr fragil ist, so war das ein sehr harter Schlag für die Wirtschaft. Die Pilgerreisen kamen völlig zum Erliegen, was eine schwierige wirtschaftliche Lage für Tausende von Familien bedeutet. Der Lockdown, vor allem der zweite Lockdown, nicht nur der erste, sondern der zweite, der vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist, hat die Situation noch weiter verschärft für viele weitere Familien, die von dieser Arbeit lebten.

 

Journalist: 

Der Lockdown in Israel ... 

 

Pizzaballa:

Ja, der Lockdown in Israel. Aber dieser betrifft auch die Palästinenser, die nach Israel kommen, um zu arbeiten. Und es handelt sich um Tausende von Familien. Vor allem in der Region von Bethlehem, aber nicht nur dort. Auch in Jordanien hat der Lockdown viele Wochen gedauert und hat bei vielen Familien zur Verarmung geführt, die schon in sehr fragilen Verhältnissen gelebt haben. Wir können also sagen, dass es ein sehr harter Schlag war, von dem wir uns noch nicht erholt haben und wir wissen noch nicht wie wir da herauskommen werden. Es gibt extreme Armut. Aber um auf Ihre Frage zu antworten: es gibt den ökonomischen, den sozialen und den politischen Aspekt. Vor allem haben wir verstanden, dass das Virus keinen Unterschied macht und alle trifft. Ich weiß, dass es in Europa Diskussionen über die Schließung und Öffnung von Kirchen gab. Bei uns waren die Dynamiken anders. Wenn die Synagogen schließen und die Moscheen schließen, müssen auch die Kirchen schließen. Und wenn die Synagogen und Moscheen wieder öffnen, dann öffnen auch die Kirchen. Das heißt: Auf der interreligiösen Ebene haben wir ähnliche Debatten. Wir müssen miteinander sprechen, wie wir es machen. Natürlich gibt es bei jedem unterschiedliche Dynamiken. Wir haben also verstanden um, und bei ihrer Frage zu bleiben…

 

Journalist:

Entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche. Wie bewerten Sie diese Ansicht, die sicher auch innerhalb der Kirche eine Diskussion ausgelöst hat: Angesichts der Erfordernisse für die Gesundheit hat die Kirche in Italien die Entscheidung getroffen, mit dem Staat zusammen zu arbeiten und die Kirchen offen zu halten,  auch für das persönliche Gebet. Aber die Teilnahme des Volkes an der Heiligen Messe wurde nicht zugelassen. Und so haben wir die Live-Übertragungen von Heiligen Messen über das Internet gesehen. War das Ihrer Meinung nach richtig oder nicht?

 

Pizzaballa:

Ich kann Ihnen sagen, wie wir es gemacht haben. Das war eine schwierige Auseinandersetzung, nicht nur bei uns, sondern auch bei den jüdischen und islamischen religiösen Autoritäten. Es ist klar, dass man nicht nicht zusammenarbeiten kann und damit Barrieren errichten würde. Es gibt eine objektive Situation mit Schwierigkeiten. Andererseits musste es klar sein - und uns war es klar -, dass das religiöse Element des Gebets nicht zweitrangig sein darf. Bei uns hat der Glaube, das Gebet, der Kult, eine öffentliche Dimension, die sie in Europa vielleicht nicht mehr haben. Bei uns gibt es das. Deswegen sind bei uns die Kirchen immer offen geblieben. Mit kleinen Zahlen, mehr symbolischen als realen Zahlen. Manchmal waren es nur 10 wenigstens, scheint mir. So ist es bei uns immer gewesen. Auch bei uns gab es die Liveübertragungen und alle die Alternativen etc. Aber die Idee völlig geschlossener Kirchen oder Synagogen oder Moscheen war bei uns immer schwer verdaulich. Die Kirchen waren offen, aber der Kult sehr eingeschränkt. Aber wir haben den Gottesdienst gehalten - gerade um diese Idee wach zu halten, dass der Kult und das Gebet ein wichtiger Teil des Lebens, des sozialen Lebens sind. Natürlich mussten wir die sanitären Vorschriften beachten und die Gesetze der jeweiligen Population. Deswegen handelt es sich um andere Dynamiken als hier in Italien. Wobei ich nicht sagen kann, ob man in Italien richtig oder falsch gehandelt hat, ob Bestimmungen angemessen waren oder nicht. 

 

Den Dialog mit den zivilen Autoritäten muss man aufrechterhalten. Aber man muss sich auch über die unterschiedlichen Rollen im Klaren sein.

 

Journalist 

In jedem Fall haben die italienischen Bischöfe sicher in der Phase des Lockdowns kollaboriert, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Kommen wir zurück zur Frage des Heiligen Landes und zum Kampf gegen die Pandemie:  Papst Franziskus lädt uns oft ein, den grundlegenden Aspekt zu bedenken - und er wiederholt das immer wieder, auch gestern bei der internationalen Begegnung, die Rom als Protagonist auf Weltebene gezeigt hat, mit den Vertretern aller Religionen, die auf dem Kapitol versammelt waren.  Er hat den Aufruf noch einmal bekräftigt, dass ich keiner alleine selbst retten kann und darauf aufmerksam gemacht, dass aus der Pandemie eine bessere Gesellschaft hervorgehen kann.

Ich frage Sie also: Kann daraus im Nahen Osten, im Heiligen Land eine bessere Gesellschaft entstehen, wenn wir die Lektion der Pandemie gelernt haben?

 

Pizzaballa:

Wenn man die Lektion lernt: Ja! Aber wir müssen sehen, ob wir gute Schüler sind. Alle Krisen, wie auch diese Krise, diese große wirtschaftliche, soziale Krise und Krise des Gesundheitswesens, auch im politischen und religiösen Bereich, alles was sie wollen. Diese ganze Krise bringt das ganze System in Schwierigkeiten und stellt uns viele Fragen - in jedem Gebiet des sozialen Lebens. Diese Krise - das klingt wie ein Slogan und mag erscheinen wie heiße Luft - kann auch zu einer Chance werden, wenn wir die Lektion lernen. Wie der Papst sagt: Keiner rettet sich selbst alleine. Das heißt:  solche Situationen lösen sich, wenn wir lernen,  zusammen zu arbeiten, wenn wir die Idee akzeptieren, dass wir einander Geschwister sind, wenn wir die Idee annehmen, dass wir zusammen leben müssen. Wir sind nicht dazu verdammt, sondern gerufen, zusammen zu leben. Wir müssen - jeder in seiner Umgebung, jeder mit seiner Rolle - gemeinsame Lebensstrukturen aufbauen im Respekt gegenüber der Umwelt, im Respekt gegenüber dem zivilen und sozialen Leben, auch dem religiösen Leben.

 

Journalist:

Was wir gestern in Rom während des internationalen Treffens gespürt haben, das genau diesem Zusammenkommen gewidmet war - mit den zahlreichen Vertretern vieler Religionen - und das an das historische Treffen in Assisi im Jahre 1996 erinnert hat, war, dass es trotz der Tragödie des Lockdown und der vielen Opfer und trotz der Einsamkeit, die der Lockdown verursacht hat, die reale Möglichkeit gibt, die Geschwisterlichkeit zu leben. Und das ist sehr wichtig gewesen, auch was die Ansprachen der Führer der jüdischen Gemeinschaft und der islamischen europäischen Gemeinschaft betrifft, die gehalten worden sind. Wie sehen Sie die Perspektiven dieser Geschwisterlichkeit im Nahen Osten, über die auch Sie vorhin gesprochen haben. Kann diese Geschwisterlichkeit wieder neu entdeckt werden?

 

Pizzaballa 

Nun, wir leben schon zusammen. Im Heiligen Land leben wir schon immer zusammen, Juden, Christen und Muslime, Christen unterschiedlicher Familien und so weiter. Deswegen ist die Tatsache, dass wir zusammenleben für uns keine Neuigkeit. Seit je her hat das Heilige Land die Möglichkeit zusammenzuleben gekannt, aber auch die Schwierigkeiten des Zusammenlebens. Wir müssen keine irenische Situation schaffen, die abstrakt ist. Dieses Zusammenleben hat immer schöne Momente gekannt, aber auch viele Schwierigkeiten,  gerade da, wo sich Religion und Politik vermischen. Das Heiligen Land ist bekannt dafür. Deswegen, wenn wir auf dem Territorium so viele schöne reale Begegnungen und des Zusammenlebens auf kleinster Ebene sehen, dann sehen wir auch auf einer breiteren Ebene, dass es auf der institutionellen Ebene viel schwieriger ist. Wir haben in diesen letzten Jahren - und zwar im ganzen Nahen Osten - die Konsequenzen dieser Schwierigkeit gesehen,  auch der Geschichte, die wir mit uns tragen, die aus Stereotypen und alten Vorurteilen besteht. Das ist schweres Gepäck, dass wir mit uns tragen. Die Herausforderung, die wir heute im Nahen Osten haben, ist, dass wir so handeln, dass das schwere Gepäck an Stereotypen und Vorteilen, an gegenseitiger Ermüdung, nicht zu einem Hindernis wird, zu einem Berg, der uns daran hindert, diese Konsequenz  in positiver Weise  zu leben. Wir müssen so handeln, dass unser Zusammenleben nicht unter den Umständen leidet, sondern positiv gelebt wird. Das müssen wir tun in unsere Schulen, in den verschiedenen Aktivitäten. Es ist wichtig, diese notwendigen schönen Begegnungen zu haben, in Assisi, in Rom, in Abu Dhabi. Aber wir müssen sie in die Region hineintragen und zwar in das konkrete Leben.  Und das erfordert viel Mühe, jeden Tag. Es braucht Bildung, es braucht Leadership, es braucht Propheten in den Schulen, nicht nur in den höchsten Institutionen, sondern in den Schulen, in den Krankenhäusern, dort, wo die Leute aufwachsen und leben. Dahin muss man diese Mentalität bringen. Es ist nicht unmöglich, es ist nicht leicht, aber man muss etwas tun.

 

Journalist:

Eine Bildungsarbeit, die Berufungen zum Dialog weckt. 

 

Pizzaballa:

Ja. Vom Dialog muss man nicht nur reden, sondern man muss ihn führen. Und zwar in der konkreten Realität, auf dem Territorium. Ansonsten ist Dialog nur ein Slogan. Wir Christen bemühen uns darum: In unseren Schulen, in unsere christlichen Institutionen, in unseren Krankenhäusern. Dort befinden sich alle, diese Institutionen sind für alle offen. Es ist ein Dialog, der mit dem Leben geführt wird. In meiner Erfahrung sehe ich, dass, wenn man zusammen ist, sich die Fragen ergeben, die Freundschaft wächst. Und mit der Freundschaft entsteht der Dialog. Es ist niemals eine abstrakte Realität. Es ist ein Dialog. der auf dem Leben aufbaut, das man gemeinsam man führt.

 

Journalist:

Das lässt mich besonders an die neue Enzyklika von Papst Franziskus denken, die ganz der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft gewidmet ist. In bestimmter Hinsicht findet man hier keine aufregende Enzyklika vor, in dem Sinne, dass es eine Enzyklika voller Hoffnung ist. 

 

Aber wenn man von der heutigen Realität ausgeht, ist die Enzyklika doch sehr spannend. Mich hat folgende Passage besonders bewegt, wo Papst Franziskus erklärt, dass das wahre Schisma, dass wir heute erleben, in uns selbst existiert, zwischen unserer Neigung zu dem hin, was uns nützlich ist, und einer vor allem geschwisterlichen Hinwendung zu den Personen, die um uns sind und die alle Töchter und Söhne des einen Vaters sind.

 

Pizzaballa:

Ja, ich denke, dass diese Enzyklika „Fratelli tutti“, das aufgreift, was ein wenig die Themen des Magisteriums von Papst Franziskus sind -  betrachtet aus der Perspektive der Geschwisterlichkeit: die Umwelt, die Politik, der Dialog, die Begegnung und so weiter. Die Geschwisterlichkeit ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner. Diese Themen sind charakteristisch für dieses Pontifikat.  Was Sie sagen ist wahr. Die Enzyklika ist drastisch vielleicht in dem Sinne, was die Versuchung des Individualismus angeht, dass man alles aus dem Blick des Individuums sieht und nicht in der Beziehung zum andern. Das ist aber eine Versuchung von je her. Von der Genesis angefangen… In diesem Sinne ist die Enzyklika spannend, als sie eine Einladung an die gesamte Menschheit ist, und nicht nur an die Gemeinschaft der glaubenden Katholiken, dass wir uns bewusst machen, dass..

 

Journalist:

Entschuldigen Sie, dass ich sie unterbreche. Sie sagen, es sei eine Versuchung von je her. Aber denken Sie nicht, dass in den letzten Jahren die sozialen Ungleichgewichte, die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten und die Naturkatastrophen und Umweltkatastrophen nicht wesentlich stärker geworden sind gegenüber der Vergangenheit?

 

Pizzaballa

Ja, wegen der Technologie... Die Seele des Menschen ist immer gleich. Die Technologie macht uns fähiger und - wie soll ich sagen - versieht uns mit immer größeren Möglichkeiten. So drückt sich in immer größeren und damit auch gravierenderen Möglichkeiten aus, was immer im Herzen des Menschen gewesen ist. In diesem Sinne ist es dramatischer. Und daher die Einladung, inne zu halten, sich bewusst zu machen, dass der andere kein Feind ist, sondern der andere, derjenige ist, gegenüber dem ich mich ausdrücke und so mich selber besser kennen lerne und wachse. Und das ist eine sehr aktuelle Einladung.

 

Journalist

Genau, wie Sie sagen, geht es darum, sich zu bemühen, die Hoffnung der Geschwisterlichkeit Wirklichkeit werden zu lassen. Viele Gemeinschaften sind es gewohnt, im Alltag gemeinsam zu leben, ohne dass das von den Medien adäquat wahrgenommen wird. Ich möchte Sie fragen: In dieser Situation des Heiligen Landes und des Nahen Ostens, haben wir kürzlich das Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten gesehen, das vom amerikanischen Präsidenten Trump verkündet worden ist. Wir sehen das Leiden des Libanon, die zerstörerische Explosion, die immer noch in unseren Herzen wiederhallt. Der Krieg in Syrien setzt sich fort. Wie kommt man aus alldem heraus, Monsignore Pizzaballa?

 

Pizzaballa:

Wenn ich das wüsste, bekäme ich den Friedensnobelpreis, denke ich.. oder einen Preis für Prophetie. Ich glaube, dass es nicht einfach ist. Es handelt sich um sehr unterschiedliche Themen. Das Abkommen mit den Emiraten, von dem Sie gesprochen haben, das heißt, das Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten durch die Vermittlung von Trump hat die Palästinenser noch weiter isoliert. Die Frage zwischen Israel und den Palästinensern steht seit geraumer Zeit nicht mehr auf der öffentlichen internationalen Agenda. Seit langer Zeit sind die Palästinenser ziemlich isoliert. Auch in der arabischen Welt sind sie mehr und mehr isoliert. Es hat das palästinensische Volk traurig gemacht, um einen Euphemismus zu verwenden. Denn sie empfinden sich als noch isolierter und unter Druck gesetzt. Deswegen müssen wir uns fragen, wie wir jetzt vorangehen können in dieser Perspektive. Ich denke, es ist klar: Was die Frage des Nahen Ostens angeht, wird sich vieles in Syrien, im Libanon, im Irak verändern....

 

Journalist:

Auch durch die Intervention von Erdoğan

 

Pizzaballa: 

Solange es für die palästinensische Frage, für das palästinensische Volk, keine klare und würdige Lösung gibt, gibt es auch keine Stabilität im Nahen Osten. Auch wenn die Palästinenserfrage nicht im Zentrum der internationalen Agenda steht, bleibt diese Frage. Es gibt ein Volk von Millionen von Menschen, die darauf wartet, ein klares Wort zu hören über seine Zukunft als Volk und als Nation. Und, um bei ihrer Frage zu bleiben, fügt sich die palästinensische Frage in den weiteren nah-östlichen Kontext ein, der sich in einem großen Umbruch befindet: Die Frage des Libanon, die Situation in Syrien, die Intervention durch Erdoğan. Es ist ganz offensichtlich, dass die Lagen im mittleren Osten sich verändern. Und die großen Player sind ohne Zweifel die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Iran. Der Libanon und Syrien sind die Schlachtfelder, wenn Sie so wollen, ist auch der Irak ein Schlachtfeld dieser großen Player, gemeinsam natürlich mit....

 

Journalist:

Und dann gibt es Iran.

 

Pizzaballa:

Der Iran, wie ich gesagt habe, dann gibt es Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika, auch danach und nicht weit danach China, das in die Region eintritt. 

 

Journalist:

Was könnte nach Ihrer Ansicht die Rolle Europa sein?

 

Pizzaballa

Europa ist im Moment so sehr mit seinen eigenen Fragen beschäftigt, dass es die internationalen Volgsgemeinschaft völlig vergessen hat. Europa ist schon seit langer Zeit nicht mehr im Spiel. Auch bei den letzten Interventionen, war Europa nicht dabei.

 

Journalist

Bei der Wiederaufnahme von Friedensbemühungen und mit Blick auf ein dauerhaftes Zusammenleben im Frieden, glauben Sie dass die Lösung „zwei Völker, zwei Staaten“, der Ausgangspunkt ist, ohne den man nicht weiterkommt.

 

Pizzaballa

Die Lösung „zwei Völker zwei Staaten“ ist die einzige mögliche Nicht-Lösung. Ich weiß nicht, wie man das jetzt übersetzt hat. Es ist die einzige mögliche Nicht-Lösung. Was will ich damit sagen? Du kannst den Palästinensern nicht sagen, ihr habt kein Recht auf ein Land und eine Nation. Das kannst du ihnen nicht sagen. Es ist klar, dass sie ein Recht darauf haben. Technisch frage ich mich, wie so etwas heute möglich sein soll angesichts der aktuellen politischen Situation. Es ist sehr schwer zu sagen, dass der Weg „zwei Völker zwei Staaten, nicht mehr gangbar sei. Das kannst du nicht sagen. Zugleich fragst du dich, wie man das machen soll. Daher ist es in diesem Moment sehr schwierig, diese Lösung zu realisieren. Es gibt keinen Dialog zwischen den beiden Parteien, zwischen Palästina und Israel - seit Jahren nicht. Sie sprechen nicht miteinander. Es gibt kein Vertrauen. Und wie ich schon gesagt habe, ist die Frage auf der internationale Ebene de facto nicht präsent, abgesehen von Slogans,  Erklärungen oder Statements. Darüber hinaus gibt es nichts Konkretes für die Region, abgesehen von ökonomischer Hilfe für die palästinensische Autonomie. Deswegen ist es eine Situation der Aussetzung und des Wartens, wie sich alles entwickeln wird. Aber die Lösung „zwei Völker zwei Staaten“  wäre idealereeise, die einzig mögliche, die mir aber technisch heute nicht möglich erscheint.

 

Journalist: 

Was könnte also der Weg sein für eine Lösung. Sie sind seit 30 Jahren im Heiligen Land engagiert. Als Mensch, als Priester, als Ordensmann, bis dahin, dass sie Apostolischer Administrator geworden sind. Sie haben sicher über ein mögliches Modell nachgedacht, das praktikabel ist, auch als Zwischenlösung.

 

Pizzaballa:

Wir müssen langfristig arbeiten. In diesem Moment vom Frieden zwischen den beiden zu sprechen ist Utopie. Verstehen Sie mich nicht falsch, nicht dass ich den Frieden nicht wollte. Lieber gestern als heute. Aber heute muss man erst einmal das Vertrauen aufbauen zwischen den beiden Völkern, das es im Moment nicht gibt. Es gibt kein Vertrauen. Seitens der Palästinenser in die Israelis und andersherum. Die Mauer, die uns trennt, ist auch ein Zeichen des Mangels an Vertrauen und Perspektiven. Es besteht praktisch eine Barriere. Wir müssen Gesten schaffen, die das Vertrauen wieder aufbauen zwischen den beiden. Und das macht man nicht von heute auf morgen: konkrete Gesten des Vertrauens. Das erfordert auch Visionen und Leadership. Und das gibt es in diesem Moment nicht. Man muss also von vorne beginnen. Und man muss aus den Lektionen der Vergangenheit lernen -  auch von dem Scheitern in der Vergangenheit, das Scheitern heute, das Scheitern von Vereinbarungen. Wir müssen auf beiden Seiten eine Leadership-Politik wiederherstellen, auf beiden Seiten, politische Führer, die Visionen haben. Und das braucht – ich wiederhole mich – Zeit. Das einzige, was wir tun können, ist in der region selbst etwas zu tun,  in den Mikrosituationen, wie in den Schulen zum Beispiel, zwischen Gruppen, in den Kulturzentren, also mit dem, was es gibt. Auch wenn es Nischenrealitäten sind, die keinen großen Einfluss in der Region haben. Aber es gibt eben einen kleinen Rest, der Widerstand leistet. Und das ist wichtig. Und von da aus kann man ein Netz spannen,  Schritt für Schritt, langfristig. Wir können die Veränderungen nicht voraussehen. Ich hoffe, dass ich ein falscher Prophet bin für die nahe Zukunft.

 

Journalist: 

Am 3. November wird in den Vereinigten Staaten ein neuer Präsident gewählt. Wenn der demokratische Kandidat Joe Biden gewählt werden sollte, der übrigens ein Katholik ist, könnte sich dann das Vertrauen wiederherstellen, von dem sie gesprochen haben?



Pizzaballa:

Um das Vertrauen wiederherzustellen – und da wiederhole ich mich – muss man vor Ort in der Region selbst tätig sein. Um bei ihrer Frage zu bleiben: die Vereinigten Staaten hatten immer einen starken Einfluss auf das Heilige Land, vor allem auf den Staat Israel, auf die israelische Regierung. Aber auch auf die palästinensische Regierung. Ich glaube, dass die Administration Trump viel in die gegenwärtigen Regierung in Israel investiert hat. Da gibt es viel Übereinstimmung. Ein Wechsel hätte sicher große, unmittelbare und deutliche Auswirkungen auf die israelische Regierung. Ich glaube, dass es sehr schwierig sein wird - notwendig aber schwierig -, seitens der Palästinenser gegenüber der amerikanischen Administration das Vertrauen wiederherzustellen. Denn in diesen Jahren ist das Vertrauen der palästinensischen Autoritäten gegenüber der Administration in den Vereinigten Staaten und vielleicht auch umgekehrt völlig zerstört worden. Aber nicht nur seitens der palästinensischen Administration, sondern auch seitens der palästinensischen Bevölkerung. Also, das Vertrauen wiederherzustellen wird sehr viel Zeit brauchen und Gesten, die sehr stark und mutig sind. Wir werden sehen. Denn es gibt immer einen großen Unterschied zwischen den Erklärungen vor den Wahlen und dem, was man nachher tut. Wir werden sehen. Wie auch immer, es wird nicht einfach sein.

 

Journalist:

Sie haben vorhin mit Blick auf die Bedeutung des Dialogs in der Gesellschaft zwischen den verschiedenen Seelen, aus denen sich das Heilige Land zusammensetzt,  gesprochen, von einem Netz von Werken gesprochen, von Schulen, von sozialen Einrichtungen, von rankenhäuser. Auf diesem Gebiet ist das Engagement der Ritter und Damen vom Heiligen Grab zu Jerusalem wichtig. 

 

Pizzaballa:

Ja, In diesen letzten 4 Jahren – ich kannte den Orden indirekt natürlich auch schon vorher - in den letzten vier Jahren als Administrator des Lateinischen Patriarchats hatte ich Gelegenheit, die Realität des Ordens von innen her kennen zu lernen, was ihren Dienst im Heiligen Land angeht. Ich habe vor allem eine sehr schöne Beziehung der Nähe beobachtet, des Interesses und auch der Liebe für die Wirklichkeit des Heiligen Landes, was wichtig ist. Etwa bei den Pilgerreisen. Auch als Kustos des Heiligen Landes, als Franziskaner, wusste ich natürlich, dass die Grabesritter ins Heilige Land kommen, aber nicht viel mehr. In diesen vier Jahren habe ich die beständigen Zahlen der Pilgerreisen mit zahlreichen Teilnehmern gesehen, die gut vorbereitet kamen und neben den heiligen Stätten hinaus auch die christlichen Gemeinden besucht haben, die Pfarreien und so weiter. Also, sie sind hier sehr präsent, und zwar auf ganz konkrete Weise durch ihre Unterstützung verschiedener Aktivitäten hier im Heiligen Land. Denn wir müssen sehr praktisch sein. Es gibt hier Schulen und Krankenhäuser, , es gibt Kirchen, die zu erhalten sind, und Ausgaben, die zu bewältigen sind. Es gibt Ressourcen, die man erkennen muss. Die Grabesritter helfen da sehr konkret und sind präsent auch in den schwierigen Momenten, die wir im Patriarchat durchlebt haben. Sie waren wirklich zur Stelle. Ich muss also sagen, die Grabesritter sind nicht nur diejenigen die den Mantel bei der Prozession tragen, sondern Menschen, die mit ihrem Gebet helfen. Tausende von Ihnen kommen bei ihren Pilgerreisen hierher, um konkrete Hilfe zu leisten. Wir können also sagen, ich habe den Dienst des Ritterordens sehr zu schätzen gelernt, der auch sehr religiös und sehr präsent ist.

 

Journalist

Auch während der Pandemie?

 

Pizzaballa

Während der Pandemie haben wir vom Patriarchat aus einen Aufruf gestartet. Meine im Allgemeinen - normalerweise sage ich das nicht, aber in diesem Fall doch -,  dass ich nicht an solche Aufrufe geglaubt habe. Denn es gibt so viele Aufrufe, die ins Leere gehen. Aber ich muss sagen, den Hilferuf, den wir in der Notlage der Pandemie an die Grabesritter gerichtet haben für Tausende von Familien, die ohne Arbeit geblieben sind und ohne Perspektiven, hat einen unerwartetes Echo ausgelöst. Die Hilfe ging weit über unsere Erwartungen hinaus. Und das hat es uns und auch unserer Kasse ermöglicht, etwas aufzuatmen, während wir Tausenden von Familien beistehen konnten dank der großherzigen Antwort auf unseren Aufruf seitens der Ordensritter und -Damen. 

 

Journalist:

Wenn wir jetzt nach vorne schauen, auf die Wiederaufnahme von Wallfahrten - jetzt in der Tragödie der Pandemie scheint das unmöglich zu sein -, was schlagen Sie vor?

Was soll man tun, um die Pforten zu öffnen, um miteinander zu teilen, um Besuche im Heiligen Land seitens der europäischen Völker wieder zu ermöglichen? 

 

Pizzaballa

Ich weiß nicht, wann die Wallfahrten wieder beginnen können. Ich hoffe bald. Ich glaube und ich bin gewiss, denn ich kenne den Ritterorden, dass die Pilgefrahrten das erste ist, was wieder aufgenommen wird. Wir haben vorhin von Vertrauen gesprochen. Es geht vor allem darum, der Bevölkerung das Vertrauen wieder zurück zu geben, vor allem unter den Christen. Das ist wirklich das erste, einfach hierher zu kommen. Wenn unsere christlichen Mitbrüder sehen, dass die Pilgerreisen wieder beginnen und wenn unsere christlichen Gemeinschaften in der Welt wieder ins Heilige Land kommen, dann kehrt auch das Vertrauen wieder zurück, das das wichtigste Element ist, um alle anderen Aktivitäten auch wieder in Gang zu bringen. Das ist das erste, natürlich neben dem Gebet, von dem ich weiß, dass es immer da ist.



Journalist:

Ich möchte Sie bitten, die starke Aussage zu kommentieren, die Papst Franziskus gestern gemacht hat, in der Frage der Geschwisterlichkeit, die wir in dieser Pandemie neu entdecken, als er gestern in Rom auf dem Kapitol mit Vertretern vieler Religionen zusammen war. Papst Franziskus hat mit Nachdruck Bezug genommen auf die Verantwortung, die wir haben, auch gegenüber Gott. Und er hat eine Aussage hinzugefügt, die große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, dass wenn wir nicht in der Lage sind, die Geschwisterlichkeit zu leben, Gott uns zur Verantwortung ziehen wird.



Pizzaballa:

Sicher, es gibt die Barmherzigkeit. Gott hat uns mit der Schöpfung auch die Welt gegeben. Aber die Welt ist nicht die unsere, sie gehört uns nicht. Wir müssen sie schützen, uns um sie kümmern. Und unter Welt verstehe ich nicht nur das Geschaffene, sondern auch die Beziehungen, den Menschen, und die Beziehung unter uns Menschen. Und sich darum kümmern heißt auch, sich um die Rechte Gottes zu kümmern. Denn er ist der Eigentümer. Es heißt schon in der Parabel in der Bibel, dass die Arbeiter im Weinberg Rechenschaft abgeben müssen für Ihre Arbeit gegenüber den Besitzer des Weinberg. Deswegen haben wir ganz gewiss eine große Verantwortung,  vom Kleinsten bis zum Größten. Wir alle. Wir müssen viel tun, um uns das vor Augen zu führen. Eines der Risiken ist heute in unserer säkularisierten Welt, dass wir meinen, dass alles uns gehört, und dass wir damit tun können, was wir wollen. Aber es gehört uns nicht. Es ist uns zur Pflege gegeben. Wir können nicht einfach das tun, was wir wollen. Wir müssen Respekt haben vor der Idee des großen Architekten, der die Welt geschaffen hat und der Gott ist. Der Ausdruck Architekt gefällt mir hier nicht, aber ich meine jenen, der sich die Schöpfung ausgedacht hat. Und dessen müssen wir uns bewusst sein. Denn mit unserer Technologie, mit der Wissenschaft, mit dem wissenschaftlichen Fortschritt müssen wir die Dinge wachsen lassen und nicht zerstören, was Gott geschaffen hat.

 

Journalist:

Wir Kommen Allmählich zum Ende. Ich möchte Ihnen noch zwei kurze Fragen stellen: Sie sind ein Sohn des heiligen Franziskus. Vor 800 Jahren hat der heilige Franziskus den Sultan von Ägypten besucht. Daran ist besonders in diesem historischen Gedenkjahr erinnert worden. Auch das Zitat ist sehr interessant, dass der Papst in der letzten Enzyklika verwendet hat. Denn nach dieser Reise - wenn ich mich recht erinnere - hat sich der heilige Franziskus an seine Mitbrüder gewendet, die im Begriff waren, sich in das Heilige Land aufzumachen. Und er hat ihnen empfohlen, nicht den Kampf und die Auseinandersetzungen zu suchen. Was lehrt uns diese Mahnung des heiligen Franziskus?



Pizzaballa

Es war keine Ermahnung, es war ein Teil einer ungeschriebenen Regel. Und er sagte: wenn man sich aufmacht – und es ging um die Sarazenen im Heiligen Land -, dann gibt es zwei Verhaltensregeln: das erste ist, sich jeder menschlichen Kreatur unterzuordnen, in dem man Kämpfe und Auseinandersetzungen vermeidet. Und zweitens: wenn der Heilige Geist es euch suggeriert, dann verkündet, dass Christus der Herr ist. 

 

Das sagt uns - und der heilige Franziskus erinnert uns daran –, dass das christliche Zeugnis, bevor es um die direkte Verkündigung geht, gelebt werden muss. Also, als Christen zu leben, bedeutet:  sich jeder Kreatur inmitten der Realität, in der man  sich vorfindet, unterzuordnen, und zwar friedlich und frohgemut;  Kämpfe und Auseinandersetzungen zu vermeiden, und seine Idee, seine Perspektive niemanden aufzuzwingen. Und dann wird der Rest gedeihen. Und wenn der Heilige Geist kommt und dir das ein gibt, dann bekenne, dass Christus der Herr ist.

 

Journalist

Nach der Erklärung von Abu Dhabi hat sich ein Weg mit der islamischen Welt eröffnet, den wir uns vielleicht in der Vergangenheit nicht einmal hätten vorstellen können.

 

Pizzaballa

Es ist ein Weg, bei dem wir noch am Anfang sind. Ich habe das oft wiederholt. Wenn wir nach der Begegnung in Abu Dhabi an ein ähnliches Ereignis denken wollen, müssen wir mit dem heiligen Franziskus 800 Jahre zurückgehen. Es waren keine einfachen 800 Jahre. Wir stehen also wieder am Anfang eines Weges, der sehr komplex sein wird. Denn diese Ereignisse sind wichtig.  Aber dann -  und das wiederhole ich - müssen sie zum gelebten Leben werden unter Milliarden von Personen. Es wird viel Zeit brauchen, aber es ist ein erster Stein auf einem langen Weg.

 

Journalist

Ich möchte schließen mit einer Geschichte, die gestern vom Oberabbiner Frankeichs Haim Korsia erzählt worden ist, und die mir sehr wichtig zu sein scheint am Ende dieses Interviews. Korsia  hat aus dem Midrash folgende Geschichte erzählt: Zwei Brüder hatten ein Feld und teilten sich die Ernte. Einer hatte viele Kinder und der andere lebte zölibatär. Jeder von ihnen wollte seinem Bruder mehr geben, und das zur Nachtzeit und diskret. Jeder fügte dem Haufen seines Bruders Getreide zu. Und am nächsten Tag waren beide Haufen identisch. Eines Nachts begegneten sich die Brüder. Und da verstanden sie , was jeder von ihnen wollte und sie umarmten sich. Die Tränen liefen und sie fielen auf die Erde. Und Gott sagt: dort, wo die Tränen zu Boden gefallen sind, möchte ich, dass mein Tempel errichtet wird. Was sagen Sie dazu?

 

Pizzaballa

Das ist eine sehr schöne Erzählung. Die uns sagt, dass in allen religiösen Erfahrungen einen gemeinsamen Kern gibt - as war eine jüdische religiöse Erfahrung und wir können auch viele Erfahrungen aus unserer christlichen Welt beisteuern. Und da hinein müssen wir investieren. In das Miteinanderteilen, in das Zusammenleben und in die Begegnung mit den andern.

 

Journalist.

Danke Monsignore Pizzaballa. Ich möchte mich beim Ritterorden von Heiligen Grab zu Jerusalem bedanken, die diese Begegnung organisiert und mir die Möglichkeit gegeben haben, dieses Interview mit Monsignore Pizzaballa zu führen. Wir grüßen Sie und wünschen Ihnen allen einen schönen Abend. 

 

ENDE