13. Dezember 2020
Wer dieser Tage mit Freunden oder Familienangehörigen telefoniert und fragt, wie es so geht, hört fast einhellig: trist und trostlos, gedrückt. Diese Adventszeit ist völlig anders, geradezu das Gegenteil vom üblichen Rummel. Die Städte sind öde, die Straßen leergefegt, die Versuche, mit Lichterketten Adventsstimmung zu entzünden, verpuffen. Viele ziehen sich wie in ein Schneckenhaus zurück: Sie sind verängstigt, verstört, vom plötzlichen Leid betroffen. Es greift auch eine Art kollektiver Panik um sich. Das Sprechen dreht sich in einer Endlosschleife um Pandemie, Isolation, Intensivstationen und Tod. Ein Alptraum. Was einmal galt, gilt nicht mehr. Abstand gilt als Bürgerpflicht, Nähe als größter Feind. Dazu dasSingverbot.
Advents- und Weihnachtslieder erklingen diesmal in vielen Kirchen nicht. Die schönsten Lieder, auf die wir uns so lange freuten, gelten plötzlich als gemeingefährlich. "Stille Nacht" war gestern, jetzt ist die Nacht totenstill.
Ja, diese Weihnacht droht wirklich trist und trostlos zu werden. Und als ob die Kirche dieses Desaster, das auf die Menschen im Jahr 2020 zukommt, geahnt hätte, schenkt sie uns heute in der Liturgie den Gaudete-Sonntag, und zwar mit Nachdruck: Freut euch! Der Eingangsvers der Messe zitiert den Apostel Paulus mit den Worten: "Freut euch im Herrn zu jeder Zeit, noch einmal sage ich, freut euch, denn der Herr ist nahe". Ihm folgt der Prophet Jesaja in der ersten Lesung mit den Worten: "Von Herzen will ich mich freuen über den Herrn, denn er kleidet mich in Gewänder des Heils". Und in der 2. Lesung nochmal Paulus, wieder im Imperativ: "Freut euch zu jeder Zeit!"
Geballte Freudenappelle auf nüchternen Magen – das könnte einem fast schon zuviel werden. Nicht jeder ist dazu in Stimmung. Und Freude lässt sich nicht per Befehl verbreiten, wie massenhaft winkende Parteigenossen in China immer wieder deutlich machen.
Dennoch ist Freude unverzichtbar wichtig und gehört wesentlich zu Weihnachten. Wir wünschen uns "frohe Weihnacht", nicht "traurige Weihnacht". Und von Paul Claudel wissen wir: "Der Glaube hat nicht nur den Sinn, sondern auch die Freude in die Welt gebracht." Wie dürfen uns freuen, weil wir Christen und erlöst sind. Freude steckt an.
Es gibt ja tatsächlich Menschen, die diese Freude des Glaubens ausstrahlen, die von ihrer Freude Zeugnis geben, wie Paulus, der sich selber als "Diener der Freude" für die Gemeinde bezeichnet. Freude ist ein Dienst der Barmherzigkeit für uns selbst, aber auch ein Dienst an den andern. Freude schadet niemandem. In Johann Sebastian Bachs Kantate "Jesus meine Freude" heißt es in der letzten Strophe: "Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus, tritt herein". Jesus ist der "Freudenmeister". Jesus, von dem in den Evangelien nie erwähnen, dass er einmal lacht, er ist für Bach der Freudenmeister – il Maestro della gioia. Denken wir an die Hochzeit von Kana. Hier kommt Jesus dem Kellermeister mit seinem allerersten Wunder zur Hilfe, als wahrer Freudenmeister.
Freude ist das Salz des Lebens. Doch sie ist nicht einfach angeboren. Sie ist keine unabänderliche Charaktereigenschaft, die man hat oder nicht. Doch man kann sie einüben, sie lässt sich im guten Sinne erwerben, etwa indem man nicht immer gleich seiner Enttäuschung oder seinem Ärger freien Lauf lässt. Wenn Advent auch eine Buß- und Fastenzeit ist, so sollte sie vor allem eine Zeit der Abstinenz und Enthaltung von Traurigkeit sein. Freude ist machbar, ja, wie wir heute hören, kann man sich zur Freude auffordern oder besser noch: mit Freude anstecken lassen wie von einem Virus: Freut euch allezeit! Tut was dafür, freut euch! Das Leben ist es wert! Das Leben ist eine Lust. Das Leben macht Freude. Das Leben ist ein Abenteuer mit Gott.
Ja, Advent ist Abenteuer: es ist das Abenteuer, dass Gott auf uns zukommt, bei uns ankommen will. Wer nicht mehr spürt, welches Abenteuer in dieser Begegnung mit Gott liegt, dass wir Gott nahe sein dürfen, wird jede Freude am Glauben verlieren. Die Ankunft Gottes bei uns, die Nähe Gottes zu uns – eben Weihnachten – das ist das größte Abenteuer, und der größte Motor der Menschheitsgeschichte, der Philosophiegeschichte, der Musikgeschichte, der ganzen Kulturgeschichte. Advent ist Abenteuer. Nicht zufällig kommt das englische Wort Adventure von Advent, aber auch unser deutsches Abenteuer, auch wenn wir diesen ursprünglichen Sinn vergessen haben. Und umgekehrt: Wenn wir von Abenteuer sprechen, kommt niemand auf die Idee, das mit dem Advent in Verbindung zu bringen.
Das sollen und müssen wir aber! Denn beides gehört zusammen. Wie vieles andere im Glauben, müssen wir wieder den vollen Klang der Worte und ihre volle Bedeutung mithören und herausschmecken. Denn es ist tatsächlich so. Der Weg des Advents ist der Weg des Abenteuers mit Gott zur Freude am Glauben.
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