1. März 2022
Vor über drei Jahrzehnten war ich studentische Hilfskraft an der Universität Bonn bei Professor Ernst Dassmann, der vor ein paar Tagen 90 geworden ist. Zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils war Dassmann hier am Kolleg.
Als Professor für Alte Kirchengeschichte schrieb er dann an dem Lexikonartikel über Hiob. Wie das bei Hilfskräften so üblich ist, musste ich ihm dazu Material liefern.
Seither habe ich also eine gewisse Beziehung zu Hiob, ich möchte nicht sagen: eine Leidensbeziehung, aber der Dulder Job ist mir ein Begriff.
"Und jedes Mal wird es Hiob weicher in den Beinen"
Hiob – den meisten fällt dazu wohl als Erstes die "Hiobsbotschaft" ein. Hiobsbotschaft ist eine Unglücksmeldung: eine Art Briefumschlag mit schwarzem Rand. Eine solche Botschaft will man garantiert nicht haben.
Hiobsbotschaft meint aber auch: Ein Unglück bleibt selten allein. Und tatsächlich: Nacheinander klingeln vier Boten bei Hiob an der Tür, die ihm mitteilen, dass er sein Vieh, seine Knechte, seine Söhne und seine Töchter verloren hat.
Und jedesmal wird es Hiob weicher in den Beinen: Alles ist auf einmal weg: sein ganzer Besitz, alle seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und alle seine Kinder.
Nur seine Frau, auf die er noch am Ehesten hätte verzichten können, bleibt ihm erhalten, und prompt hackt sie auf ihm herum, dass er doch nun sehe, was sein dummer Glaube an Gott ihm bringe, nämlich gar nichts.
"Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde? Sind nicht seine Tage die eines Tagelöhners?"
Da ist Hiob fix und fertig, dicker kann es nicht kommen, glaubt er, stimmt aber nicht. Denn jetzt setzt auch sein rapider körperlicher Verfall ein. Jetzt geht’s ihm richtig an die Haut: Er verschrumpelt und eitert am ganzen Körper. Irgend so einen Virus hat ihn erwischt.
So steht er, besser gesagt: sitzt er vor uns, als ein Häufchen Elend auf dem Misthaufen, voller Geschwüre. So wird er in der Kunst seit frühester Zeit dargestellt, schon auf den frühchristlichen Sarkophagen.
Auf dem Misthaufen kauert er und Hiob hadert mit seinem Herrn, der ihn so sehr auf die Geduldsprobe stellt. Rabenschwarze Gedanken drehen sich in seinem Kopf, wir haben sie eben in der ersten Lesung gehört:
"Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde? Sind nicht seine Tage die eines Tagelöhners?"
Das Leben als Kriegsdienst: Kampf um das nackte Leben: Überall lauern Feinde, die dich abmurksen wollen. Geld gibt dir niemand, außer im Modus der Ausbeutung.
"Er ist zu alt, um das Ruder rumzureißen. Alles ist sinnlos."
Das Leben als Tagelohnarbeit: Ein ewiges Rackern ohne jede Perspektive: Man hält dich gerade noch so am Leben, dass Du nicht stirbst und noch arbeiten kannst.
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"So wurden Monde voll Enttäuschung mein Erbe und Nächte voller Mühsal teilte man mir zu".
Der Vollmond als Bild des randvollen Leidens: Der nächtliche Vollmond am Himmel hat für ihn gar nichts Romantisches. Selbst der Mond ist für ihn nur noch ein Bild seiner Enttäuschungen.
"Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, sie gehen zu Ende, ohne Hoffnung".
Er ist zu alt, um das Ruder rumzureißen. Alles ist sinnlos.
Mit solchen trüben Gedanken geht es in einem Stück weiter. Summa Summarum eine komplett pessimistische Lebensphilosophie.
"Hiob steht an der Klippe, und viele in ähnlicher Lage sind in ihrem Glauben gescheitert"
Im Grunde genommen schreddert das Buch Hiob in 42 langen Kapiteln die ganze antike und wieder moderne Wohlfühlphilosophie, die Ausdünstungen der hellenistischen Eliten einer Stoa, eines Epikur und welcher Schöngeister auch immer, die über alles nachdenken, nur nicht über das reale Leben, das einen kalt erwischen und umhauen kann.
Hiob ist ein Rebell, ein Anwalt des wirklichen Lebens, und er hadert gerade deshalb mit Gott. Wie kann Gott mich so sehr schlagen?
Hiob steht an der Klippe, und viele in ähnlicher Lage sind in ihrem Glauben gescheitert, weil sie die Güte Gottes nicht mit dem ganzen miserablen Unglück auf dieser Welt in Einklang bringen, vor allem wenn es sie selber direkt betrifft und ihr Leib und Leben bedroht ist.
Aber Hiob bleibt sich treu, und er bleibt Gott treu. Hiob hat regelrecht alles verloren: Besitz, Familie, Gesundheit – nur eines hat er nicht verloren: seinen Glauben:
"Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter, nackt kehre ich dahin zurück. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen – gepriesen sei der Name des Herrn! Bei alldem sündigte Hiob nicht" (Hiob 1,21)
"in ihm leidet schon Christus selbst"
Hiob, nicht Plato, steht so wirklich für christliche Philosophie, für Lebensphilosophie, die durch dick und dünn gegangen ist. Für seine beharrliche Treue im Glauben hat man Hiob wie einen Heiligen verehrt, dafür ist er zum Vorbild geworden.
Von Hiob stammt ja auch das Wort: "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! Meine Haut, die solches geduldig ertrug, möge er auferstehen lassen. Denn vom Herrn ist dies für mich vollbracht" (Hiob 19,25f).
Hiob ist der Dulder, der Tröster, und letztlich der Vor-Zeuge der Auferstehung. Er ist genauso wie Johannes der Täufer ein Vorläufer Christi. Er ist sogar nicht einmal nur ein Prophet, sondern in ihm leidet schon Christus selbst.
Deshalb hat man das Buch Hiob vor allem in der Fastenzeit und Karwoche gelesen.
Hier könnte ich meine Predigt enden. Doch kommen wir noch einmal zurück zum Lexikonartikel, in dem man interessante Dinge über Hiob erfährt.
1. Schon die frühen Christen haben Hiob als Heiligen verehrt. Für sie war er nicht nur eine Literaturgestalt, sondern eine reale Gestalt der Geschichte.
Man hat seine Heimatstadt Carneas, die zwischen Amman und Damaskus liegt, aufgesucht. Dort hat man die Grube gezeigt, wo Hiob im Kot gesessen hat, mit Eisengittern geschützt, damit keiner reinfällt. Man hat sich also den Schlamassel angeschaut, in dem Hiob steckte. Was mögen die Leute dabei gedacht haben?
Vielleicht denken sie an das, was Jesus einmal gesagt hat: "Wer hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat." (Mt 25,29).
Mit dem Maul von Luther könnte man die Quintessenz Hiobs so ausdrücken: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Und zwar im Guten wie im Schlechten.
Den Erfolgreichen geht es immer besser, die anderen ziehen das Unglück förmlich an. In jedem Fall steckt der Teufel drin, und es stinkt gewaltig, egal auf welchem Haufen man sitzt.
2. Hiob wird schon in frühchristlicher Zeit als Patron der Hospize und Leprahäuser verehrt.
In Coronazeiten steht uns Hiob gar nicht so fern. Auch wir fragen uns: Wann ist der Spuk vorbei? Wann kann man wieder normal atmen und leben? Eine harte Geduldsprobe auch heute.
Hiobs Haut war voller Geschwüre, die er sich mit einer Scherbe abgekratzt hat. In seiner Heimatstadt Carneas hat man nicht nur den Misthaufen, auf dem er gesessen, sondern auch die Quelle gezeigt, wo er sich gewaschen hat.
Eine Fontana di Trevi besonderer Art. Die Quelle wechselte viermal im Jahr die Farbe: Zuerst hat sie die Farbe des Eiters, dann die des Blutes, dann die der Galle und schließlich ist sie wieder klar – also grün – rot – gelb und weiß.
3. Hiob ist schließlich auch der Patron der Musiker und Spielmannszüge.
In der tiefsten Erniedrigung und Verzweiflung haben die Musikanten ihm Trost gespendet. Aus eben diesem Grund wurde Hiob von den Spielmannsbruderschaften im Spätmittelalter seit dem 14. Jahrhundert als ihr Schutzheiliger verehrt.
Aber es gibt auch die andere Deutung, dass die Musiker zu Hiob als allerletzte Plage kamen und ihm fast den Rest gegeben hätten, wenn Hiob sich nicht die Ohren zugestopft hätte.
Was auch immer ich heute gesagt habe, eines nur brauchen Sie sich zu merken: "Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen – gepriesen sei der Name des Herrn!"
Von Prof. Dr. Stefan Heid ist unter anderem 2019 das bahnbrechende Buch "Altar und Kirche. Prinzipien christlicher Liturgie" erschienen. Erstveröffentlichung am 17. Februar 2021.