25. Dezember 2020
Weihnachten ist das Fest des Lichtes. Bereits der Advent ist die Zeit des Lichtes mit einem reichen Brauchtum: die Kerzen auf dem Adventskranz, die Lichter, mit denen wir die Fenster unserer Wohnungen erhellen und die Beleuchtung der Straßen und Schaufenster. Diese Bräuche drücken die tiefe Sehnsucht von uns Menschen aus, dass über unserem Leben ein Licht aufgeht und die ganze Welt im Licht steht. Vom Licht, sogar vom "wahren Licht", spricht auch die Weihnachtsbotschaft, die dem Johannes-Evangelium entnommen ist: "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt." Dies ist die frohe und lichtvolle Botschaft, die uns an Weihnachten zugesprochen wird.
Finsternis und Licht
Diese frohe Botschaft wird im Evangelium jedoch gleich dreimal kontrastiert mit einer traurigen Feststellung: "Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst". Derjenige, der das wahre Licht nicht nur gebracht hat, sondern selber ist, ist "in sein Eigentum gekommen", aber "die Seinen nahmen ihn nicht auf". Und durch ihn ist die Welt geworden, "aber die Welt erkannte ihn nicht". Diese dreifache Verneinung gehört zum Geheimnis von Weihnachten hinzu. Sie stellt uns die unbequeme Frage, warum wir Menschen so fahrlässig mit dem Licht umgehen, das uns an Weihnachten geschenkt wird.
Einen ersten Hinweis geben uns die Advents- und Weihnachtsbräuche. Unsere Straßen in den Dörfern und Städten sind mit so viel elektrischem Licht überflutet, dass das kleine und zarte Licht auf dem Adventskranz vom künstlichen Licht beinahe erstickt wird. Das kleine und zarte Licht vermag seine ganze Lichtkraft erst zu zeigen, wenn die Umgebung dunkel ist. Von solcher Finsternis redet auch das Weihnachtsevangelium: Das Licht leuchtet in der Finsternis. Ohne solche Finsternis kommt das Licht von Weihnachten nicht zur Geltung.
Diese Wahrheit des Evangeliums ist uns in diesem Jahr hautnah auf den Leib gerückt. Denn wir sind mit einer großen Finsternis konfrontiert, auch und besonders wegen der uns Menschen bedrängenden Pandemie von Covid-19. Die unberechenbare Allgegenwart des winzig-kleinen und mit unseren Augen nicht zu sehenden Virus hält die ganze Welt in Atem. Es droht unsere Lebenssituationen zu verdunkeln und führt uns in große Unsicherheiten hinein. Es bleibt in jedem die Ungewissheit, ob man auch einmal infiziert wird und, falls dies eintreffen sollte, wie dann die Krankheit verlaufen würde. Nicht wenigen Menschen hat sich sogar die Frage aufgedrängt, ob man in diesem Jahr der Angst und Ungewissheit überhaupt Weihnachten feiern könne.
Wenn wir das Weihnachtsevangelium ernst nehmen, kann die Antwort nur heißen: Auch in diesem Jahr können wir nicht nur Weihnachten feiern, sondern wir müssen es, und zwar schlicht darum, weil wir es dürfen. Denn Weihnachten ist nicht ein Fest, das wir Menschen erfinden und bewerkstelligen könnten; es ist vielmehr das unableitbare Tun Gottes. Auch und gerade wenn die Finsternis in unserem menschlichen Leben uns drückt und bedrängt – die Hoffnung des Himmels ist immer größer. Denn Gott selbst hat "Schloss und Riegel" des Himmelstores aufgebrochen, wie wir im alten Adventslied singen: "O Heiland, reiss die Himmel auf."
Göttliches Licht und menschliche Irrlichter
Auch in die Finsternis der Ungewissheit in der heutigen Situation hinein leuchtet das Weihnachtslicht. Bitten wir heute Gott, dass er uns hilft, dass es nicht auch heute von uns heißt: "und die Finsternis hat es nicht erfasst". Denn genau in diese Finsternis hinein will auch heute das Weihnachtslicht kommen und die Dunkelheit unseres Lebens erhellen. Auch bei der ersten Weihnacht vor mehr als zweitausend Jahren war die Welt keineswegs im Lot, sondern lebte in einer großen Dunkelheit. Doch in sie hinein hat Gott mit der Geburt seines Sohnes in Bethlehem Licht gebracht: Das wehrlose Kind in der Krippe ist das Licht, das die Dunkelheit erhellt: damals wie heute.
Das Licht Gottes ist aber nicht grell wie das elektrische Licht, sondern zart. Es kann deshalb übersehen und mit künstlichen Irrlichtern überdeckt werden. Daran erinnert der jüdische Ursprung unseres christlichen Weihnachtsfestes. Die Juden feiern in derselben Zeit Chanukka, das Fest der Lichter. Sie gedenken des historischen Geschehens, dass sich der syrische König Antiochus IV. als Zeus verehren und das Götzenbild im Tempel aufstellen liess, dass aber Judas Makkabäus aus dem Tempel in Jerusalem den Zeusalter entfernt hat, den die Tradition als "Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte" bezeichnet hat. Chanukka wird so als der Tag der Reinigung des Tempels gefeiert, der Tag, an dem die beschmutzte Ehre des lebendigen Gottes wieder hergestellt worden ist und das Licht der Wahrheit wieder leuchtet.
Unwillkürlich denken wir dabei an die Weihnachtsbotschaft, wie sie uns der Evangelist Lukas geschenkt hat: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade." Das jüdische Fest der Lichter und der Weihnachtsgesang der Engel muten uns zu, zwischen dem wahren Licht Gottes und den vielen menschlichen Schein- und Irrlichtern, genauer zwischen Gott und den Götzen in unserem Leben und in der heutigen Welt zu unterscheiden. Und das Kriterium dieser Unterscheidung ist die wahre Verherrlichung Gottes, die wir auch heute zu verkünden und zur Geltung zu bringen haben, auch in der heutigen Welt, in der wir ebenfalls viele Greuel der Verwüstung erfahren müssen.
Mit dem Kriterium der Ehre Gottes ist der Ernstfall von Weihnachten angesprochen, den Dag Hammarskjöld, der zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen, sehr tief ausgesprochen und als tödlichen Ernstfall für uns Menschen namhaft gemacht hat: "Gott stirbt nicht an dem Tag, an dem wir aufhören, an einen persönlichen Gott zu glauben. Aber wir sterben an dem Tag, an dem wir nicht mehr durchdrungen werden von dem immer wieder neuen Glanz des Wunders, das höher ist als alle Vernunft, nämlich dass Gott in Jesus Mensch wurde."
Das Kind als der neue Mensch Gottes
Das Weihnachtsevangelium stellt uns vor die elementarste Frage des Christentums, ob wir wirklich glauben, dass Gott selbst nicht nur in diesem Kind, sondern geradezu als dieses Kind Mensch geworden ist. Denn Gott hat sich in diesem Kind nicht nur gezeigt, sondern ist selbst Fleisch geworden. Nicht bloß eine Inspiration, sondern wirklich die Inkarnation Gottes bildet die Herzmitte des christlichen Weihnachtsfestes. Und mit diesem Geheimnis steht oder fällt der christliche Glaube. Nur wenn dieser Glaube wahr ist, dass Gott selbst als Kind in Bethlehem Mensch geworden ist und Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, kann er nicht nur gestern, sondern auch heute das wahre Licht in unserem Leben sein, wie es Angelus Silesius gedichtet hat: "Wär‘ Jesus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst noch ewiglich verloren." Verloren sind wir nur deshalb nicht, weil Jesus nicht nur ein Mensch vor zweitausend Jahren gewesen ist, sondern als der Sohn Gottes auch heute für uns lebt.
Gott ist es ein Herzensanliegen, dass wir nicht verloren sind. Damit leuchtet der tiefste Grund auf, weshalb sich Gott entschieden hat, ausgerechnet als kleines Kind Mensch zu werden. Eine hilfreiche Wegweisung in dieses abgrundtiefe Geheimnis hinein hat uns der mittelalterliche Theologe Wilhelm von St. Thierry geschenkt. Er machte die höchst aufmerksame Beobachtung in der Heilsgeschichte, dass die Größe und Majestät Gottes seit Adam die Menschen immer wieder zum Widerstand gegen ihn gereizt hätten, weil sie sich in ihrem Menschsein eingeschränkt und in ihrer Freiheit bedroht gefühlt hätten. Deshalb habe Gott einen neuen Weg gewählt und sich entschieden, Kind zu werden, sich uns Menschen klein, schwach und unserer Liebe bedürftig zu zeigen. Er habe dies in der Zuversicht getan, damit wir uns von ihm nicht mehr bedroht fühlen, keine Angst mehr vor ihm zu haben brauchen, dass wir Gott vielmehr nur noch lieben können. Gott wollte ein Angewiesener werden, um in dieser elementaren Bedürftigkeit in uns Menschen Liebe und Zuneigung zu ihm zu erwecken.
Damit hat Gott in der Geschichte mit uns Menschen einen ganz neuen Anfang gesetzt. Diesen neuen Anfang bringt die Weihnachtsbotschaft im Johannes-Evangelium dadurch zum Ausdruck, dass es genau gleich beginnt wie das erste Buch der Heiligen Schrift. Während es in der Genesis heißt: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde", so heißt es im Johannes-Evangelium: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott." Der Schöpfung Gottes am Anfang entspricht an Weihnachten die neue Schöpfung, und mit der neuen Schöpfung wird uns im Kind in der Krippe auch der neue Mensch vor Augen geführt. Im Neuen Testament wird Christus der "zweite Adam" und damit der endgültige Mensch genannt, und deshalb auch mit besonderer Betonung als "Bild Gottes" bezeichnet, wie wir es in der Lesung aus dem Hebräerbrief vernommen haben. In der Endzeit hat Gott durch seinen Sohn gesprochen, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat: "Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit, und das Abbild seines Wesens."
Von daher werden wir des größten Geschenks ansichtig, das uns der Glaube an Weihnachten macht: In Jesus Christus können wir nicht nur sehen, wie und wer Gott ist. In Jesus Christus werden wir auch dessen ansichtig, wer wir Menschen sind und wozu wir berufen sind. Jesus Christus ist der endgültige Mensch, das definitive Projekt Gottes, an dem wir ablesen können, was wir Menschen in den Augen Gottes sein sollen. Der Mensch ist, wie es Papst Benedikt XVI. sehr tief meditiert hat, "das Wesen, das Bruder Jesu Christi werden kann. Er ist das Geschöpf, das mit Christus und darin mit Gott selbst eins werden kann, nicht nur Beziehung, sondern Einheit empfangen kann".
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Zeugnis für das historische und eucharistische Bethlehem
Diese Einheit mit Christus erfahren wir am Tiefsten in der heiligen Eucharistie, die wir an Weihnachten mit besonderer Liebe und Ehrfurcht feiern dürfen. Denn die Eucharistie ist das neue Bethlehem, das genau übersetzt "Haus des Brotes" heisst. Die Menschwerdung Gottes im geschichtlichen Bethlehem und die Brotwerdung Gottes im eucharistischen Bethlehem sind ein- und dasselbe Weihnachtsgeheimnis: Wie sich Gott im kleinen Kind in der Krippe offenbart, so schenkt er sich selbst in einem kleinen Stück Brot, in der unscheinbaren Gestalt der Hostie. In der Eucharistie an Weihnachten wird uns vollends das wahre Licht gegeben, von dem das Johannes-Evangelium spricht.
Es ruft uns auch dazu auf, dieses Licht weiterzugeben und dieses Licht zu bezeugen. Der Evangelist Johannes fügt in den großen Lobpreis über das Wort, das Gott ist und Mensch geworden ist, jeweils Abschnitte ein, indem er von einem Menschen spricht, der von Gott gesandt und dessen Name Johannes war. Von ihm heißt es: "Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen, damit alle durch ihn zum Glauben kommen." In der Gestalt Johannes des Täufers erblickt der Evangelist Johannes aber auch unsere Sendung als Christen heute. Wir dürfen an Weihnachten das Licht Gottes empfangen und feiern, und wir sind gesandt, es an unsere Mitmenschen weiterzugeben. Und um diese Sendung eindeutig zu machen, fügt der Evangelist noch hinzu: Johannes "war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht." Wie Johannes sollen auch wir Christen uns nicht für so aufgeklärt halten, dass wir uns selbst für Lichtgestalten verkaufen wollen; wir sollen vielmehr nur Zeugnis für das wahre Licht Gottes geben, das an Weihnachten in die Finsternis des menschlichen Lebens und die Dunkelheit der Welt hinein kommt und sie erleuchtet.
Dies ist die wahre Aufklärung, die Gott uns schenkt. Wenn wir sie annehmen, kann Weihnachten werden, auch und gerade in der Finsternis der heutigen menschlichen und menschheitlichen Situation, in der sich neu die Weihnachtsbotschaft bewahrheitet: "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt."
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