28. Februar 2021
1.700 Jahre arbeitsfreier Sonntag: Mit einer gemeinsamen Erklärung haben führende katholische, orthodoxe und protestantische Kirchenvertreter den Wert des arbeitsfreien Sonntags gewürdigt.
Am 3. März 321 habe der römische Kaiser Konstantin den Sonntag zum reichsweiten Feiertag erhoben, so die Stellungnahme am heutigen 28. Februar, die von Bischof Georg Bätzing von Limburg sowie vom griechisch-orthodoxen Erzpriester Radu Constantin Miron unterschrieben wurde, dem Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) – zusammen mit dem evangelischen Landesbischof und Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm.
Der Sonntag unterbricht den Alltag, gibt dem Leben Rhythmus, schafft individuelle Freiräume, verbindet Menschen und fördert das Gemeinwohl. Im Bewusstsein vieler Menschen ist der Sonntag daher als wichtiges und schützenswertes "Kulturgut" tief verankert.
Wie sehr Menschen eine "Struktur der Zeit" brauchen, haben uns die Erfahrungen der Corona-Pandemie einmal mehr ins Bewusstsein gerufen: Die sonntäglichen Besuche bei der Verwandtschaft oder Angehörigen im Pflegeheim konnten nicht stattfinden, die Fußballmannschaft der Tochter durfte nicht mehr spielen, Gottesdienstbesuche waren gar nicht oder nur unter strengen Auflagen möglich. Der Sonntag gibt eigentlich Gelegenheit zur gemeinsam frei gestalteten Zeit. So gut wie jeder von uns muss sich aber in der Pandemie von Gewohntem und Geschätztem, mitunter sogar Notwendigem, verabschieden. Zugleich verschwimmt mehr und mehr der für uns Menschen wichtige Rhythmus zwischen Arbeits- und Freizeiten durch Homeoffice, mobiles Arbeiten oder asynchrone Arbeitszeiten. Digitale Transformation wird nicht nur das Arbeiten verändern, sie wird auch den Sonntag verändern, das Miteinander, die Begegnungen, das gemeinsame Feiern, Leben – und womöglich uns selbst. Denn: Die Seele braucht die Unterbrechung des Alltags. Und der Sonntag ist so ein Tag zum Abschalten, im wörtlichen wie übertragenen Sinne.
1.700 Jahre Schutz des Sonntags. Inmitten der Pandemieerfahrungen unterbricht uns nun dieses Jubiläum, lässt uns innehalten, um den Wert des arbeitsfreien Sonntags zu würdigen.
Der Sonntag ist in Artikel 140 unseres Grundgesetzes als Tag "der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung" gesetzlich geschützt. Der zweite Aspekt ist auch ein Hinweis auf die religiösen Wurzeln des Sonntags: Für Christinnen und Christen hat der Sonntag seine herausragende Bedeutung als Tag der Auferstehung Jesu Christi. Der sonntägliche Gottesdienst
steht daher im Mittelpunkt des Lebens der Kirche. Die ersten staatlichen Maßnahmen zum Schutz dieses religiös motivierten Feiertags reichen weit zurück: Vor 1.700 Jahren verfügte der römische Kaiser Konstantin I. den dies solis (= Tag der Sonne) zum reichsweiten Feiertag und stellte ihn unter besonderen Schutz. Dieser 3. März 321 gilt als der erste Moment staatlicher Sonntagsschutzgesetzgebung.
Auch andere Religionen, wie zum Beispiel der Islam und das Judentum, kennen und feiern wöchentlich wiederkehrende Tage der Ruhe, Besinnung und Feier. Die christliche Tradition eines gemeinsamen, regelmäßig wiederkehrenden Ruhetags entstammt dem Schabbat des Judentums, mit dem wir als Christen so zentrale Texte wie die Schöpfungsgeschichte und die Zehn Gebote gemeinsam haben. In einem Jahr, in dem wir ebenfalls 1.700 Jahre Judentum in Deutschland feiern dürfen, wollen wir daran erinnern, dass neben vielen anderen Werten und Traditionen auch der Tag ohne Arbeit ein Geschenk der jüdisch-christlichen Tradition an alle Menschen ist. Unter den christlichen Denominationen feiert beispielsweise die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten den Schabbat.
Den Tag ohne Arbeit können allerdings nicht alle in Anspruch nehmen. Zahlreiche Menschen arbeiten, um die Grundversorgung für alle Menschen aufrechtzuerhalten und unaufschiebbaren Bedürfnissen zu begegnen. So sind in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, im Nahverkehr, an Tankstellen, in der Strom- oder Wasserversorgung, im Nachrichtenwesen und vielen anderen Bereichen zahlreiche Menschen trotz des Sonntags beschäftigt. Auch in Gastronomie, Kultur und Freizeiteinrichtungen arbeiten Menschen für den Sonntagsgenuss anderer. Diese Tätigkeiten sind keine Selbstverständlichkeiten und sollten auch nicht als solche betrachtet werden. Menschen, die sich trotz des Sonntags oder für den Sonntag betätigen, verdienen unsere Wertschätzung und eine besondere Form der Vergütung oder des Dankes, wenn sie ihre Sonntagsruhe aufgeben, um sie anderen zu ermöglichen. Sonntagsarbeit ist allerdings keine reguläre Arbeit. Daher sollten Berufsgruppen, die sonntags arbeiten, eng umgrenzt werden, Ausnahmen nur zurückhaltend und auf das absolut Notwendigste beschränkt gewährt werden. Der Sonntag ist kein gewöhnlicher Tag und darf es auch nicht werden. Ohne Arbeit kann der Mensch nicht leben, sie ist notwendig. Doch ist der Mensch nicht für die Arbeit da, sondern umgekehrt. Das betont auch Papst Franziskus:
"Der arbeitsfreie Sonntag – mit Ausnahme der notwendigen Dienstleistungen – besagt, dass die Priorität nicht im wirtschaftlichen, sondern im menschlichen Bereich liegt, in der Unentgeltlichkeit, nicht in kommerziellen, sondern in familiären, freundschaftlichen Beziehungen, für die Gläubigen in der Beziehung zu Gott und zur Gemeinschaft. Vielleicht ist der Augenblick gekommen, uns zu fragen, ob die Sonntagsarbeit eine wahre Freiheit ist."
Jeder und jedem von uns kommt die Aufgabe eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Zeit zu. Durch unser eigenes Tun und Lassen entscheiden wir Menschen darüber, welchen Wert und welche Qualität der Sonntag für uns hat. Wie der Staat aufgerufen ist, den arbeitsfreien Sonntag zu schützen und dessen Erosion zu verhindern, so sind wir alle aufgerufen, dafür zu sorgen, dass wir aufgrund des Strebens nach vermeintlicher Freiheit nicht unsere tatsächliche Freiheit aufgeben, die wir in der segensreichen Errungenschaft eines gemeinsamen arbeitsfreien Sonntags besitzen. Denn der Sonntag ist für den Menschen da. Und – wie es Albert Schweitzer formulierte – "wenn Deine Seele keinen Sonntag hat, dann verdorrt sie".
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