"Seit Jahren, ja Jahrzehnten befinden wir uns in einem Krisenmodus, der unterschiedliche Ebenen berührt und verschieden Gesichter hat." Neben dieser allgemeinen Feststellung über den Zustand der katholischen Kirche in Deutschland weiß Ulrich Filler, Priester und Autor des Buches "Revolution – Perspektiven für die Kirche von morgen", dass es nicht alleine um eine "vielbeschworene Glaubenskrise" geht.

Vielmehr gebe es eine "sich stetig ausbreitende Ablehnung des Glaubens". Dies zeige sich nicht zuerst in der Form des "aggressiven Atheismus", sondern am "Desinteresse".  Da er tagtäglich mit Menschen umgeht, die unterschiedlichste Anschauungen über die Kirche haben, legt der Kölner Priester eine aktuelle "Systemkritik" vor.

In dem Buch wird nichts ausgespart, was die Medien öffentlich machen und anprangern, es handelt von Mangel, Missbrauch und Krise(n). Doch Filler will die Ebene allzu heftiger Emotionen verlassen. Er will "die ganze Sache aus größerer Entfernung, aus einer breiteren Perspektive betrachten". Ihm geht es zunächst einmal darum, "die vielgestaltige Krise" zu verstehen. Es geht ihm dann auch darum, kenntlich zu machen, was der Grund für so viele Anzeichen dieser enormen Krise sind. Ulrich Filler will selbst "das Krisenphänomen" verstehen und lädt seine Leser dazu ein, es ihm gleichzutun. Dazu müsse man nicht die derzeitigen innerkirchlichen Streitereien hervorheben, sie vielmehr "aus größerer Distanz objektiver" verstehen. 

Filler stellt in seinem 236-seitigen Taschenbuch viele Fragen. Der Leser merkt schnell, dass er von einem Insider informiert wird, der weiß wovon er schreibt und wo es hakt. Er gibt keine Schnellschüsse ab, schildert Zustände, und – ja, er verteidigt auch die Kirche. 

Im Zusammenhang mit dem System der öffentlich-rechtlich verfassten Kirche in Deutschland bringt er ein interessantes Zitat aus einem Buch über den deutschen Katholizismus aus dem Jahr 1923, als Katholischsein populär und "in" war (Karl Adam, Das Wesen des Katholizismus):

"Die römische Kirche übt heute eine starke Anziehungskraft auf die nicht-katholische Welt aus. Die deutschen Benediktinerklöster, besonders Beuron und Maria Laach, sind zu Wallfahrtsstätten von Nichtkatholiken geworden, die sich für die dort gepflegte klassisch-katholische Liturgie begeistern. Die im deutschen Protestantismus um sich greifende hochkirchliche Bewegung nähert sich immer mehr der römischen Kirche; einer ihrer Führer ist bereits in deren Schoß zurückgekehrt. Noch ausgedehnter ist die Konversionsbewegung in England. Ganze anglikanische Konvente und Klöster treten zur Kirche Roms über. Eine starke katholische Propaganda fördert und steigert die bereits vorhandene Neigung zum Katholizismus. Die römische Kirche macht gewaltige Anstrengungen, um alle von ihr getrennten Christen im Orient und Okzident zurückzugewinnen."

Damals war die katholische Kirche einflussreich und mächtig. Wie es zu dieser beschriebenen Situation kam und warum sie nicht beibehalten werden konnte, erklärt Filler ausführlich. Dass es dabei um Geld geht, um viel Geld, um Macht und Einfluss, führt er aus, wenn er davon schreibt, dass das gegenwärtige "System" "über eine riesige Fassade (Sozialverbände, Kindertagesstätten, Altenheime, Krankenhäuser usw. …)" verfüge. Der Autor geht auf all dies ein – auch mit seiner eigenen Meinung. Oft spricht er den Menschen aus den Herzen; auch auf vermeintlichen Nebenschauplätzen. Etwa, wenn er von öffentlich-rechtlichen Medien schreibt, in denen die Kirche ein Vorrecht habe sich zu äußern ("mitreden-dürfen"). So sei etwa das "Wort zum Sonntag" nichts wert, wenn gleichzeitig "Wischiwaschi-Produktionen" die Kirche und ihre Lehre verunglimpfen.

Im Zusammenhang mit der "Misere des Messdiener-Plans" spricht Pfarrer Filler aus dem Nähkästchen und bezeichnet dieses von ihm beschriebene Beispiel kirchlichen Lebens als "Höhepunkt der Verdrehtheit":

"In früheren, besseren Zeiten, als die Pfarrfamilie noch nicht dysfunktional war, entstand der Messdiener-Plan. Er war ein Organisationsmittel, eine Hilfe zur Handhabung und Ordnung für die Helfer im Gottesdienst und die Zuteilung ihrer Aufgaben. Eine große Schar von Bereitwilligen musste auf diese Weise nicht in jedem Gottesdienst spontan organisiert werden. Dieses schlichte Instrument hat heute eine gegenteilige Wirkung: Anstatt aus den 100 Kindern im Gottesdienst abwechselnd die zehn auszuwählen, die eine helfende Aufgabe übernehmen, werden heute zwei oder vier bestimmt, die an einem bestimmten Gottesdienst zu ihrem Dienst antreten sollen – aber dann regelmäßig die einzigen Kinder im Gottesdienst sind. Sie kommen auch nur deshalb, ‚weil sie aufgestellt‘ sind. Und – das ist der Höhepunkt der Verdrehtheit – wir freuen uns auch noch, dass wenigstens diese wenigen Kinder und Jugendlichen viermal im Jahr zum Gottesdienst kommen."

Filler bekennt: "Wir tun einfach so, als seien all die getauften und vom Staat mit einem Kirchensteuermerkmal versehenen Mitglieder unserer Kirchen auch tatsächlich Menschen, die wirklich an den Gott des Christentums glauben." Missionierung tut Not, das weiß Pfarrer Ulrich Filler ganz genau: "Den erschreckenden Mangel an Gläubigen auf allen Ebenen unseres Pfarrsystems blenden wir aus oder erklären ihn weg."

Das Buch zu Ende gelesen fragt sich der Rezensent, ob er jetzt weiß, wie es mit der Kirche besser wird. Die Antwort ist ein klares Jein. Dennoch sind Fillers Darlegungen und Anregungen hilfreich, wertvoll, bedenkenswert und vor allem lesenswert.

Ulrich Filler, "Revolution – Perspektiven für die Kirche von morgen. Eine Systemkritik", ist im Fe-Medienverlag erschienen und hat 236 Seiten.

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