12. Dezember 2021
Liebe Schwestern und Brüder
In der Einführung zur Beginn der Messe haben wir gehört: Das zentrale Wort des heutige 3. Adventssonntags heißt „Freut Euch! Noch einmal sage ich: Freut euch!“ Da erhebt sich sofort die Frage: Ist die Kirche so weltfremd, dass sie trotz Pandemie, trotz Flüchtlingselend, trotz weltweiten Hungersnöten, trotz Kriegsgefahr zur Freude aufrufen kann? Kann man Freude herzaubern, her-befehlen? Worauf sollen wir uns freuen, was ist der Grund für die Freude? Warum kann man sich vielleicht trotz allem freuen?
Das entscheidende Wort des heutigen dritten Adventssonntags heißt also: Freuet Euch, freuet Euch. Der Apostel Paulus ruft die Christen in Philippi mit eindringlichen Worten auf: Freut euch im Herrn zu jeder Zeit. Noch einmal sage ich: Freut euch. Dieser Aufruf gilt für die Christen aller Zeit.
Warum aber sind die Christen in dieser und in allen dunklen Zeiten aufgerufen, sich trotzdem zu freuen? Kann man solche Freude befehlen, herbeiwünschen? Trotz aller schrecklichen Hungersnöte, Flüchtlingen, Todeskrankheiten, politischen Gefahren, Angst vor Krankheit und Krieg. Warum traut sich die Kirche auch heute, zur Freude aufzurufen?
Ich stelle mir einmal vor, dass heute hinten in die Kirche per Zufall ein Herr aus China stehen würde und voll Verwunderung hörte, dass die Christen zu Freude aufrufen.
Um zum Grund der Freude zu finden, muss man einiges wissen und sich in Erinnerung rufen. Die Christen haben von dem Juden Jesus aus Nazareth gehört. Er hat mit sehr eindringlichen Worten zur Solidarität unter den Menschen aufgerufen, zur Nächstenliebe. Aber er hat durch sein Leben gezeigt, dass er große Autorität beansprucht und hat. Denn er hat Menschen ihre Sünden vergeben und Taten getan, die wunderbar, unglaublich erschienen. Und sein ganzes Auftreten traf nicht nur auf Jubel, sondern vor allem auch auf Widerspruch. Schließlich meinten die religiösen Autoritäten: Der Mann muss weg, er muss gehängt werden. Er stört das religiöse und politische System. Und Jesus ist für seine Sache elendiglich am Kreuz gestorben. Er hatte beim Verhör nichts zurückgenommen von seinem Anspruch. Er hat aber im Sterben denen vergeben, die ihn verurteilt und aufgehängt haben. Die Menschen, die ihn beim Sterben sahen, waren überzeugt: Hier ist ein Wunder geschehen, wie er seinen Tod liebend und leidend annahm.
Dann aber kam ein zweites: Seine nächsten Anhänger, die bei seiner Verurteilung geflohen waren, sahen diesen ihren Jesus nach seinem Tod lebend. Sie haben mit ihm gegessen und getrunken, sie wollten ihn anfassen. Sie konnten es nicht glauben, zweifelten, stritten unter einander. Aber schließlich waren sie so überzeugt, dass sie sich die Sache Jesu zur eigenen Sache gemacht haben. Und sie taten das bis zu ihrer eigenen Ermordung.
Warum also sind die Christen aufgerufen, sich zu freuen: Weil Wunder möglich sind. Weil Verzweiflung trotz aller Leiden nicht das letzte Wort hat. Weil Jesus gezeigt hat: Liebe bis in den Tod ist möglich. Sie ist möglich, wenn man das eigene Leben an dem unendlichen Geheimnis Gott festmacht. Verzweiflung ist nicht angesagt, auch wenn das Leben noch so weh tut. Und die Anhänger Jesu waren immer mehr davon überzeugt, dass die Liebe Jesu die Liebe des unsichtbaren Gottes, des großen Geheimnisses zeigt, sichtbar macht. Sie erkannten, dass Jesus die sichtbar gewordene Liebe dieses Gottes ist.
Und nun denken wir noch einmal an den Herrn aus China hinten in der Kirche. Er macht sich wohl seine Gedanken: Also kommt die europäische Kultur der Humanität, die Idee der Nächstenliebe, der Gerechtigkeit von diesem Jesus aus Nazareth. Dann hat dieser Jesus Europa so ähnlich geprägt, wie unser Konfuzius unser China geprägt hat.
Woher also kommt der Aufruf zur Freude? Weil die Christen daran erinnert werden, dass trotz aller Rückschläge Verzweiflung nicht angesagt ist. Gott wirkt auch heute und zu allen Zeiten Wunder, vor allem das Wunder des Vertrauens in Gott, das Wunder, dass Menschen ihr Leben in Gott verankern und dadurch unglaublich stark werden.
Und warum jetzt an diesem Sonntag der Aufruf zur Freude? Weil Christen sich jetzt auf das Fest der Ankunft dieses Jesus vorbereiten, weil sie ihr Herz bereiten, Jesus würdig zu empfangen. Denn sie feiern die Ankunft Jesu nicht nur in Erinnerung an das Kommen in einem Stall von Bethlehem, sondern weil Christen die Erfahrung machen, Jesus steht jeden Moment ihres Lebens vor ihrer Tür. Und damit sind wir bei ein paar Worten von Johannes dem Täufer, die wir im Evangelium gehört haben. Johannes hatte gesagt: „Ich taufe euch mit Wasser, nach mir aber kommt einer, der stärker ist als ich. Er wird euch mit Geist und Feuer taufen.“ Und wir fragen natürlich: Wirken denn die Christen wie Menschen, die in Geist und Feuer getauft sind.? Nein, leider wirken sie nach außen oft nicht so. Aber wer schaut denn schon in ihre Herzen? Vielleicht ringen sie in ihrem Inneren ständig und sehr oft mit diesem ihrem Jesus. Er hatte ja aufgerufen: Kommt alle zu mir – vor allem alle, deren Leben mühselig ist, die sich alleine und verlassen fühlen. Also Jesus möchte, dass wir ihm vertrauen. Und weil wir ihm vertrauen, weil wir uns in seine Arme werfen, und er uns in seine Arme aufnimmt, können und sollen wir uns freuen. Freude kann man nicht befehlen. Freude kann man auch nicht selbst organisieren. Aber Freude wird wohl immer wieder geschenkt, wenn wir auf Jesus vertrauen.
Freude ist eine Frucht daraus, dass wir mit Geist und Feuer getauft werden. Sie ist eine Kraft gerade auch angesichts der Trostlosigkeit in unserer Welt. Das ist das größte Wunder, das Gott in den Menschen durch Jesus Christus wirkt. Menschen, in denen Gott dieses Wunder wirkt, können zur Quelle werden durch ihre Liebe, ihr Leben und ihr Zeugnis für Jesus Christus. Und – ich erinnere – gottlob gibt es solche Menschen, solche Christen nicht nur vor 1000 Jahren, sondern bis in unsere Tage. Um mit nur einem Beispiel zu schließen: Denken oder lernen sie kennen Fritz Gerlich, der hier in München so engagiert gegen Hitler gekämpft hat, dass man ihn umbrachte. Er war mit Geist und Feuer getauft. Es geht also. Er kann uns ermutigen in unseren beängstigenden Tagen. Amen.
Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.
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