15. Oktober 2022
Die „lauen Christen“ – mit Worten unserer Zeit gesprochen – scheinen die verbindlich gültige Morallehre der Kirche verwässern oder „weiterentwickeln“ zu wollen, wie sie selbst sagen. Auch 1975, als „Persona humana“ von der Glaubenskongregation publiziert wurde, hat der Kardinalpräfekt Seper darauf hingewiesen, dass manche dazu neigen, die „schwere Sünde“ gänzlich zu leugnen: „Manche behaupten sogar, daß die schwere Sünde, die den Menschen von Gott trennt, nur in der unmittelbaren und formellen Ablehnung bestehen würde, wodurch sich der Mensch dem Ruf Gottes widersetzt, oder auch in einer Egozentrik, die bewußt und vollständig die Liebe zum Nächsten ausschließt. Nur dann, so sagt man, setze die ‚Grundentscheidung‘ ein, d. h. jene Entscheidung, die die menschliche Person vollkommen beansprucht und die für das Zustandekommen einer Todsünde erforderlich ist. Durch diese Entscheidung nähme der Mensch aus der Mitte seiner Persönlichkeit heraus eine Grundhaltung gegenüber Gott und den Mitmenschen ein oder bestätige sie.“ So wurde und wird die Tugend der Keuschheit mitunter geradezu verhöhnt und gewiss weithin relativiert. Ebenso wurde und wird der Geltungsanspruch des Sittengesetzes verneint. Einige, so Kardinal Seper, behaupten, dass der Mensch die „sittliche Ordnung“ im Bereich des Geschlechtlichen zumeist „nicht überlegt und freiwillig überschreitet, sondern mehr unter dem Einfluß seiner Leidenschaft, aus Schwäche und mangelnder Reife oder manchmal auch aus der Einbildung heraus, gerade auf diese Weise seine Liebe zum Nächsten unter Beweis zu stellen“.
Kardinal Seper indessen stellt fest: „Nach der Lehre der Kirche besteht die schwere Sünde als Auflehnung gegen Gott nicht nur in der formalen und direkten Ablehnung des Gebotes der Liebe. Sie besteht gleichermaßen auch in jenem Widerspruch zur echten Liebe, der in jeder freigewollten Überschreitung eines jeden sittlichen Gesetzes in einer wichtigen Sache miteingeschlossen ist.“
Vor dem Begriff Sünde besteht nun selbst heute bis in den kirchlichen Raum hinein eine gewisse Scheu. Darf man überhaupt noch davon reden? Ist Sünde nicht ein hoffnungslos altmodisches Wort? Sollten die modernen, also „lauen Christen“ nicht lieber verständnisinnig von Schwächen und Fehlern sprechen? Gerade im Bereich der Sexualität könnte es doch viele leicht verzeihliche Vorkommnisse geben, etwa im Rausch der Leidenschaft, oder von echtem Gefühl beflügelte Akte, die zwar nicht keusch sind, aber doch sehr liebevoll gemeint sein können.
Für die Kirche verhält es sich eindeutig anders: „Der Mensch sündigt also nicht nur dann schwer, wenn seine Handlung aus der direkten Verachtung der Liebe Gottes und des Nächsten hervorgeht, sondern auch, wenn er bewußt und frei aus irgendeinem Grund sich für etwas entscheidet, was einen schweren Verstoß gegen die sittliche Ordnung darstellt. Wie schon oben erwähnt, ist in diese Entscheidung bereits die Verachtung des göttlichen Gebotes miteingeschlossen: Der Mensch wendet sich von Gott ab und geht seiner Liebe verlustig. Nach der christlichen Überlieferung und der Lehre der Kirche wie auch nach dem Zeugnis der gesunden Vernunft beinhaltet die sittliche Ordnung der Sexualität Werte von so großer Bedeutung für das menschliche Leben, daß jede direkte Verletzung dieser Ordnung objektiv schwerwiegend ist.“
Für die „Tugend der Keuschheit“ sei darum von den Seelsorgern zu werben. Sie beschränke sich nicht allein auf die Vermeidung von Verfehlungen, sondern „verlangt vielmehr auch, daß gewisse positive und höhere Güter, die es zu erlangen gilt, vor Augen gestellt werden“: „Sie ist eine Tugend, die die ganze Persönlichkeit in ihrem inneren und äußeren Verhalten prägt. Diese Tugend soll die Menschen in den verschiedenen Lebensständen auszeichnen: die einen im Stand der Jungfräulichkeit oder in der gottgeweihten Ehelosigkeit, einer hervorragenden Weise, sich leichter mit ungeteiltem Herzen allein Gott hinzugeben; die anderen, in der für alle vom Sittengesetz bestimmten Weise, je nachdem ob sie verheiratet oder unverheiratet sind. Jedenfalls bleibt die Keuschheit in keinem Lebensstand auf eine rein äußere Verhaltensweise beschränkt, sondern muß das Herz des Menschen reinhalten nach dem Worte Christi: ‚Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in Gedanken schon Ehebruch mit ihr begangen.‘“
Der unkeusch lebende Mensch verletze nicht nur den Nächsten und die soziale Ordnung, sondern beleidige auch Christus. Es gilt, positiv für die Keuschheit zu werben: „Je mehr die Gläubigen den Wert der Keuschheit und ihrer notwendigen Funktion in ihrem Leben als Männer und Frauen erfassen, um so mehr werden sie sich durch eine Art geistiges Gespür dessen bewußt werden, was diese Tugend fordert und empfiehlt; auch werden sie es besser verstehen, anzunehmen und fügsam gegenüber der Lehre der Kirche auszuführen, was das rechte Gewissen ihnen in den konkreten Fällen befiehlt.“
Den Gläubigen wird empfohlen, ein „keusches Leben“ zu führen, das der Sexualisierung der Gesellschaft heute diametral entgegengesetzt ist. Die Glaubenskongregation empfiehlt darum: „Zucht der Sinne und des Geistes, Wachsamkeit und Klugheit, um die Gelegenheiten zur Sünde zu vermeiden, Wahrung des Schamgefühls, Maß im Genuß, gesunde Beschäftigungen, eifriges Gebet und häufiger Empfang der Sakramente der Buße und der Eucharistie. Vor allem die Jugend soll die Verehrung der unbefleckt empfangenen Gottesmutter eifrig pflegen und sich ein Beispiel nehmen am Leben der Heiligen und der anderen Gläubigen, insbesondere jener Jugendlichen, die sich durch keusche Reinheit ausgezeichnet haben. Vor allem sollen alle die Tugend der Keuschheit und ihren strahlenden Glanz hochschätzen. Sie erhöht die Würde des Menschen und macht ihn fähig zu wahrer, hochherziger, selbstloser Liebe, die den anderen achtet.“
In unserer Zeit dürfen wir heute auf das charaktervolle und glaubensstarke Beispiel von geistlichen Gemeinschaften wie „Maria 1.0“ in Deutschland hinweisen, in denen viele junge Menschen auch gerade für die verbindlich gültige Sexual- und Morallehre der Kirche einstehen und damit zugleich ein positives Beispiel geben, das jedes Lob verdient.
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln allein die Ansichten der jeweiligen Gastautoren wider, nicht die der Redaktion von CNA Deutsch.
Das könnte Sie auch interessieren:
Betrachtungen zur katholischen Morallehre von „Gaudium et spes“ bis heute – die aktuelle Reihe von Thorsten Paprotny https://t.co/juce3Bd0Wh
— CNA Deutsch (@CNAdeutsch) August 25, 2022