15. Oktober 2023
Martin Luther nannte das heutige Evangelium „ein furchtbar Evangelium“. Wir können fragen: Warum ist das mit dem Reich Gottes so kompliziert? Könnte es Jesus nicht einfacher machen, damit es auch einfache Leute verstehen? In diesem Text begegnen wir so vielen Stolpersteinen, dass man am liebsten gleich am Boden liegen bleibt.
Versuchen wir den Ausgangspunkt bei der Lesung aus Jesaja. Es ist die Überzeugung des Propheten: Gott der Herr will mit den Menschen ein Festmahl halten und lädt dazu alle Völker der Welt ein. Er lädt sie ein in das himmlische Jerusalem. Und beim Wort Jerusalem läuft uns in diesen Tagen schon wieder eisiger Schauer über den Rücken. Ist Jerusalem Ort des Friedens oder Ausgangspunkt von Mord und Todschlag?
Jesus knüpft in diesem Gleichnis an diesen Text von Jesaja an. Jesus ist überzeugt davon, dass Gott mit den Menschen feiern will. Diese „message“ hat der Evangelist Matthäus gekannt und aufgenommen. Vermutlich greift Matthäus in seinem Text auf frühere Texte von anderen Jesuszeugen zurück. Denn Matthäus schreibt sein Evangelium erst um das Jahr 80 nach Christus, also 50 Jahre nach Jesu Tod. Und nach der Zerstörung der Stadt Jerusalem. In den ersten Jahren nach Jesu Tod haben sich die ersten Jesusanhänger einzelne Episoden aus dem Leben und Lehren Jesu mündlich weitererzählt. Erst im Lauf der Zeit haben die Gemeinden erkannt: Es muss aufgeschrieben werden. Einzelne Personen haben dann wohl einzelne Erzählungen aufgeschrieben. Der Evangelist Markus war dann wohl der erste, der seinen ganzen Text aufgrund von Vorarbeiten anderer geschrieben hat. Und auf dem Markus-Text basiert dann das Matthäus-Evangelium. Und als Matthäus schreibt, liegt die Zerstörung Jerusalems schon hinter ihm. Jerusalem und der Tempel waren im Jahr 70 nach Christus durch die Römer nahezu dem Erdboden gleich gemacht worden. Und Matthäus versteht diese Zerstörung der heiligen Stadt im Sinne der früheren Propheten als Strafe Gottes für das Verhalten der Juden, vor allem der Verantwortlichen. Sie hatten die Einladung Gottes nicht angenommen. Sie waren ihren Geschäften nachgegangen, in ihre Läden, auf ihre Felder. Manche hatten die Boten des einladenden Königs sogar umgebracht. Matthäus interpretiert so das Scheitern Jesu.
Und die Botschaft des Evangelisten Matthäus lautet dann weiter: Gott lädt nach dem Tod Jesu und nach der Zerstörung Jerusalems Menschen aufs Neue ein. Die neu Eingeladenen sind nicht nur Juden, nicht nur Menschen aus dem auserwählten Volk, sondern auch sogenannte Heiden, also Nicht-Beschnittene. Die Entscheidung, Nichtjuden in die christlichen Gemeinden aufzunehmen, war hart umstritten gewesen. Bekanntlich war Paulus ein Vorkämpfer der Taufe von Nichtjuden. Er kam vor allem in heftigen Konflikt mit dem Chef der Jerusalemer Gemeinde, dem Apostel Jakobus. Jedenfalls spricht Matthäus in dem heutigen Text von der neuen Einladung.
Und da stolpern wir dann über einen neuen Stolperstein. Da sitzt unter den Neudazugekommenen einer, der kein hochzeitliches Gewand anhat. Man fragt sich: Wie kann einer, der von der Straße weg eingeladen wird, und der vielleicht auch zu Hause kein Feiergewand hat, sich plötzlich königlich anziehen? Wieso wird er hinausgeworfen?
Vielleicht hilft es, darauf eine Antwort zu finden, wenn wir eine häufige Formulierung von Papst Franziskus aufgreifen. Der Papst spricht immer wieder davon, dass alle, alle, alle Menschen von Christus eingeladen sind, also auch von der Kirche eingeladen sind. Viele Medien verstehen das vermutlich falsch. Sie verbreiten die Ansicht: Ganz gleich, wie der Mensch lebt, die katholische Kirche nimmt sie – seit Neustem – gerne auf. Und zwischen den Zeilen wird gesagt: Sie können ruhig so weiterleben wie bisher. Aber das ist ein Irrtum. Und ich wünsche mir, dass Papst Franziskus auch das deutlicher sagt, was er sicher denkt: Jesus Christus leitet die Menschen dann, wenn sie in seine Gemeinschaft gekommen sind, auch an, wie sie bei ihm und durch ihn zu ihrem wahren Menschsein kommen. Das wahre Menschsein besteht nämlich darin, ein neuer Mensch zu werden, aus sich herauszugehen, auf den Anderen zuzugehen, sich dem Nächsten liebend zuzuwenden. Der Sinn des Eintritts in die Kirche ist es nicht, so zu bleiben wie man vorher schon immer war, sondern ein neuer Mensch zu werden. Jesus nennt es Umkehr. Konkret geht es bei der Taufe, der Eingliederung in die Kirche darum, den alten Menschen abzulegen. Also: Alle sind eingeladen in die Kirche, damit sich dann ihr wahres Menschsein entfaltet. Wer sich an Christus hängt, der kann ein neuer Mensch werden. Er wird mit Christi Hilfe ein neuer Mensch. Vielleicht verstehen wir auf diesem Hintergrund den harten Satz Jesu des heutigen Evangeliums: Werft ihn hinaus, weil er kein hochzeitliches Gewand anhat. Er sitzt vielleicht nur in der Kirche herum, zahlt sogar Kirchensteuer, aber das Evangelium, die Liebe Jesu Christi ist ihm gleichgültig, er kennt sie nicht einmal, interessiert sich auch nicht für sie. Christsein ist also immer eine provozierende Sache. Es wird nie langweilig. Jesus ist ein Provokateur. Langweiler gibt es sonstwo genug. Amen.