9. März 2018
Im Rahmen der Sitzung des UN Menschenrechtsrats organisierten das Genfer Zentrum für die Förderung der Menschenrechte und den globalen Dialog zusammen mit der ständigen Vertretung Algeriens eine Foto-Ausstellung und eine Podiumsdiskussion zum Thema "Verschleiern/Entschleiern: Das Kopftuch im Christentum, Islam und Judentum".
Zu diesem Thema sprach ich mit Monsignore Professor Obiora Ike, Geschäftsführer von Globethics.net Genf: "Solche Ausstellungen zu veranstalten finde ich sehr wichtig, weil sie zu interkulturellem Dialog führen, auch zu interreligiösem Dialog, sie führen uns dazu, miteinander zu reden, uns über unsere gemeinsamen Werte auszutauschen, aber auch unsere Verschiedenheiten zu erkennen. Wir sind unterschiedlich - und diese Ausstellungen zeigen Moslems, Afrikaner, Europäer, Amerikaner, Kanadier, Menschen aus dem Kaukasus, dem Pazifik, oder welche mit asiatischem Hintergrund. Sie alle tauschen sich aus über ihre Sicht der Welt, ihren Lebensstil, sei es das Essen, Musik oder Tanzen. Dieser interkulturelle Austausch lässt uns erst zu dem werden, der wir sind und macht uns Mut. Er macht sogar unsere Herzen weit – für eine universale und globale Freundschaft und Brüderlichkeit, in der wir die Unterschiede respektieren und uns gegenseitig anerkennen."
Der algerische Botschafter Idriss Jazairy, Geschäftsführer des Genfer Zentrums für die Förderung der Menschenrechte und den globalen Dialog, verwies in seiner Eingangsrede auf die Menschenrechte: "Frauen vorzuschreiben, ein Kopftuch zu tragen oder nicht zu tragen, widerspricht Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in dem die Freiheit verankert ist, seine Religion oder seinen Glauben in der Öffentlichkeit oder privat zu äußern."
Für katholische Frauen war es bis in die sechziger Jahre noch ganz normal, beim Betreten einer Kirche den Kopf zu bedecken; auch heute pflegen es der Tradition verpflichtete Frauen in vielen Ländern der Welt, aber nicht der breite Mainstream, etwa in Deutschland.
"Der biblische Verweis auf das Bedecken des Kopfes steht im ersten Korintherbrief 11, 2-16. Gilt das nicht mehr? Ist das nicht mehr zeitgemäß?"
Msgr Ike: "Man könnte sagen, es ist heute nicht mehr zeitgemäß, und zwar aufgrund der Tatsache, dass es damals aktuell war. Die Welt hat sich aber 2000 Jahre lang weitergedreht. Wenn also Paulus die Frauen aufruft, ihr Haar zu bedecken, wandte er sich damit an die Menschen im Korinth seiner Zeit.
Das greift einfach die Tatsache auf, dass die Bibel ein lebendiges Buch ist, kein Stein oder etwas, das einfach nur geschrieben steht. Deshalb müssen die Religionen auf lebendige Weise praktiziert werden und jede neue Generation einfließen lassen, jeden Gedanken, philosophische Meinungen…, um auf dem Laufenden zu sein, zeitgemäß zu sein. Um dann aber auch die zentrale Botschaft weiterzugeben… allerdings ohne die Dinge, die zwar seit langem geschrieben stehen, aber nicht mehr zutreffen."
"Das ist doch ein gutes Beispiel dafür, warum wir die lehrende Funktion der Kirche brauchen – um die Bibel, die Schrift zu interpretieren. Sie also nicht einfach nur wörtlich zu nehmen, sondern sie auszulegen."
Msgr Ike: Genau… wir brauchen das Lehramt – so nennen wir es -, weil das Lehramt historisches Wissen, theologische, biblische, anthropologische und sogar wissenschaftliche Erkenntnisse auf die Menschen jeder Zeit und Generation anwendet und die zentrale Botschaft einer Bibelstelle in das Leben dieser Menschen hineininterpretiert. Das meint das Zweite Vatikanische Konzil mit "die Zeichen der Zeit zu sehen und sie im Licht des Evangeliums zu interpretieren".
Besonders im Westen, aber - wie die jüngsten Proteste von Frauen im Iran zeigen - auch in muslimischen Gesellschaften sind Verschleierungen wie der Hidschab für manche ein Zeichen der Unterdrückung, ein von Religionsvertretern aufgezwungenes Tragen eines Kleidungsstücks.
"Viele Gegner sehen das Problem nicht im Kopftuch an sich, sondern in der gesetzlichen Verpflichtung, es zu tragen, sagt Botschafter Idriss Jazairy, "Die gesetzliche Verpflichtung, es nicht zu tragen, ist allerdings ebenso ungebührlich."
Für Katholiken ist in der Erklärung Inter Insigniores der Glaubenskongregation nachzulesen, dass die Verschleierung des Kopfes bei Frauen lediglich eine "disziplinare Praxis" der Kirche ist.
"Ein Kopftuch zu tragen oder den Kopf zu bedecken ist also kein Göttliches Gebot?"
Msgr Ike: "Es ist weder ein Göttliches Gebot noch ein Gebot der Kirche. Es ist Tradition, und zwar eine schöne. Manche haben sie übernommen, manche nicht. In Afrika praktizieren wir das, nicht überall, aber doch in einigen Gegenden. In Europa praktizieren wir es an manchen Orten, anderswo dagegen nicht. Wenn man aber anfängt, aus der Kopfbedeckung ein Göttliches Gebot zu machen, rückt man in den Bereich der Ideologie."
"In Europa, wo Muslime große Bevölkerungsanteile stellen, hat die EU Ländern wie Deutschland erlaubt, die Verschleierung des ganzen Gesichts zu verbieten, weil es gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Schränkt das nicht die Freiheit ihrer Religionsausübung ein?"
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Msgr Ike: "Nun ja, wir müssen Völker, Kulturen und Traditionen respektieren. Wenn man nach Rom geht, lebt man wie die Römer dort leben. Wenn man sein Haar zusammenbinden und bedecken möchte, so dass es einer Vermummung ähnlich ist, bleibt man besser in seinem Dorf und macht das nicht in anderer Herren Länder. Wenn also Menschen nach Europa kommen und sagen, dass sie Europa in ihr Dorf und ihrer Kultur entsprechend umwandeln wollen, ist das falsch. Sie sollten ihre Kultur in ihrem eigenen Kontext pflegen. Die komplette Verschleierung des Gesichtes hat etwas von Vermummung. Das schafft Sicherheitsbedenken und Furcht in einer offenen Gesellschaft, wo man das Gesicht derer sehen möchte, mit denen man spricht. Wir respektieren also durchaus das Recht der Menschen auf ihren eigenen Lebensstil und ihre religiösen Praktiken, aber wenn Europa ein Gesetz verabschiedet, dass besagt "zeigt uns euer Gesicht", dann sollten sich die Leute in Europa auch daranhalten. Wenn man sein Gesicht verschleiern möchte, kann man Europa verlassen, in sein eigenes Land gehen und dortbleiben – aber nicht die Europäer zwingen, ihre Gesetze wegen einem selbst zu ändern."
"Sie haben die Sicherheit angesprochen. Das stimmt… - zweifelsohne wird es für die Polizei durch die Verschleierung des Gesichts schwerer, mit Überwachungskameras und dergleichen zu identifizieren, wer man ist. Sie zu verbieten, ist also auch eine Sicherheitsfrage, oder?"
Msgr Ike: "Es gibt viele gute Gründe für eine pluralistischere Gesellschaft. Wir brauchen eine aufgeklärte Gesellschaft, eine, die offener und transparenter ist. Warum bedeckt jemand sein Gesicht und seine Augen? Manchmal sehe ich das auf der Straße – beim Mann ist das Haar zu sehen, das Gesicht zu sehen, auch der Körper, er trägt sogar Jeans, aber bei der Frau ist alles bedeckt, manchmal sogar in der größten Hitze. Ich erinnere mich, solche Dinge in Somalia und Kenia gesehen zu haben und frage mich immer wieder, warum der Mann das Recht haben sollte, während das Gesicht der Frau mit Ausnahme der Augen und der Nase komplett bedeckt ist. Ich wundere mich da nur. Aber wenn nun die Europäer ein Gesetz in ihrem eigenen Kulturraum verabschieden, sollten die Leute das respektieren, finde ich."
"Nochmal nachgehakt, geht es auch um die Sicherheit?'
Msgr Ike: "Womit die Europäer argumentieren können… die Sicherheit hat Vorrang, könnte zutreffen, denn wir leben jetzt im Zeitalter des Terrorismus und diese Leute könnten sich solche Gelegenheiten zunutze machen. Aber Terrorismus ist nicht der Hauptgrund, es geht nicht nur darum, sondern um eine offene Kultur."
Botschafter Idriss Jazairy schloss seine Rede mit einem Slogan, der das Thema Verschleiern oder Nichtverschleiern auf den Punkt brachte: "Was in einer Anzeige von 'Lakeridge Health' einem kommunalen Krankenhaus in Ontario, Kanada, zu sehen war, bringt die Haltung des Managements gegenüber ihren weiblichen Angestellten unmissverständlich zum Ausdruck: 'Es kümmert uns nicht, was Sie auf dem Kopf haben…(Pause) ..., sondern was drin ist.'"
Die Ausstellung und Diskussionsrunde in den Räumlichkeiten der UNO Genf 'Verschleiern / Entschleiern' wandte sich gegen Missverständnisse, ging Vorurteilen auf den Grund und präsentierte das Kopftuch als Brücke zwischen Kulturen und Religionen.
Dieser Beitrag wurde von U.N.-Korrespondent Christian Peschken in Genf verfasst. Das Thema wird auch bei EWTN – Katholisches Fernsehen zu sehen sein im Rahmen des Magazins 'Vatikano'. Weitere Informationen zu Christian Peschken unter www.peschken.media
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— CNA Deutsch (@CNAdeutsch) February 4, 2018
Hinweis: Meinungsbeiträge spiegeln die Meinung des Autors wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.