29. Mai 2024
Bei Diskussionen um die priesterliche Ehelosigkeit geht es heute oft emotional zu. Regelmäßig wird auf die sogenannten „Humanwissenschaften“ verwiesen, wobei meistens nicht klar wird, was genau das nun zeigen soll. Jene Personen, die den obligatorischen Zölibat im lateinischen Westen kritisieren, verweisen auch auf die Praxis der Ostkirchen, denn dort ist es verheirateten Männern erlaubt, Priester zu werden.
Gerade für katholische Theologen, die sich neben der Schrift immer auch auf die Tradition berufen, sollte das Quellenstudium von herausragender Bedeutung sein – auch beim Thema Zölibat. Ein monumentales 1000-seitiges Arbeitsinstrument wurde nun vom Münchner Pastoraltheologen Andreas Wollbold vorgelegt, um das Quellenstudium zur priesterlichen Ehelosigkeit zu erleichtern.
Dieses „Zu den Quellen“ – ad fontes – sei, so Wollbold in der Einleitung zu seinem Buch mit dem Titel „Zölibat. Schlüsseltexte aus den Anfängen bis zum 5. Jahrhundert“, „wie eine Oase, und sie lässt eine Palme wachsen und kein vertrocknetes Totholz herumliegen. Diese Palme besteht in einer begründeten Urteilsbildung statt einer blinden Parteinahme. Gewiss, Quellen zu lesen ist mühsam. Doch bei der Lektüre stößt man auch auf viel Unerwartetes. Einsichten stellen sich ein, die gar nicht vorgesehen waren.“
In diesem Sinne legt Wollbold insgesamt 461 Quellentexte vor, die hauptsächlich aus der frühen Kirche stammen. Natürlich stammen viele der insgesamt kurzen Texte aus denselben großen Werken der Synoden bzw. kirchlichen Schriftsteller wie Adversus Iovinianum von Hieronymus oder De sacerdotio von Johannes Chrysostomus. Wollbold wählte aber jeweils jene Passagen aus, die Aufschluss über die priesterliche Lebensform in der frühen Kirche erlauben.
Dabei präsentiert er die Texte nicht nur im Original und einer Übersetzung, sondern geht anschließend jeweils darauf ein, was diese Texte inhaltlich hergeben, wo eventuell Schwierigkeiten für das Verständnis liegen könnten, welche Interpretationen die wichtigsten Autoren bieten, die sich mit dem Thema Zölibat befasst haben, und ob diese Interpretationen angemessen sind. Oft bringen die Autoren nämlich eigene Vorurteile mit in ihr Verständnis der Quellen, wenn es sich streng genommen um bloße Spekulation handelt.
In seiner Einleitung stellt Wollbold drei „Grundpositionen“ zum Zölibat vor: Manche meinen, der Zölibat sei „ein Sündenfall in ein leibfeindliches Christentum“. Andere spreche von einer „Entwicklung“ hin zur obligatorischen priesterlichen Ehelosigkeit ab dem vierten Jahrhundert. Wieder andere gehen schließlich von einem apostolischen Ursprung des Zölibats aus.
Die zweite Position, jene der „Entwicklung“, gilt als „moderat“ und wird von vielen Menschen in der Kirche vertreten. Wollbold merkt hier durchaus kritisch an: „Mit dem Entwicklungsparadigma kann man die heutige Zölibatsdisziplin in der lateinischen Kirche moderat begründen, wie man meint.“ Kirchenpolitische werde indes die teilweise Aufhebung des Zölibates „zur Manövriermasse, ja zum Bauernopfer, um an unmittelbar lehramtlich entschiedene Fragen wie die Frauenordination nicht rühren zu müssen und doch nicht als sogenannte Reformverweigerer gelten zu müssen“.
Demgegenüber sehe die dritte Position „keine jahrhundertelange Entwicklung von einer normalen, mit Anstand geführten Ehe hin zum rechtsverbindlichen Enthaltsamkeitszölibat. Stattdessen vertritt sie die Kontinuität zwischen apostolischen Ursprüngen, der Forderung nach Enthaltsamkeit beim verheirateten Klerus (im Osten wie im Westen!) bis hin zur formellen Gesetzgebung, die ab dem 4. Jahrhundert greifbar wird.“
Wollbold selbst hat sich durch sein jahrelanges Quellenstudium in Vorbereitung des Buches von der zweiten Position ab- und der dritten Position zugewandt, wie er ehrlich offenlegt.
„Die Quellen scheinen in verschiedenen geographischen Regionen schon früh eine Enthaltsamkeitserwartung zu bezeugen, die sich selbst niemals als Neuerung, sondern als Fortsetzung einer apostolischen Ordnung versteht“, führt er an. „Es ist nicht zu leugnen, wie häufig Texte der ersten drei Jahrhunderte ein gravitatives Feld in Richtung einer Enthaltsamkeitserwartung erkennen lassen. Gerade die Tatsache, dass diese Erwartung in der Regel eher vorausgesetzt als begründet wird, spricht von deren Gravitationskraft.“
Bloß weil es zu Beginn noch keine „Gesetze“ zum Zölibat gab, dürfe man nicht darauf schließen, es habe keinen apostolischen Ursprung des priesterlichen Ehelosigkeit gegeben: „Für die ersten Jahrhunderte sind vielmehr die enge Verbindung von Recht und Ethos sowie Gruppennormen, Ideale und entsprechende Erwartungen an ein vorbildliches Verhalten der Führungseliten, Abgrenzungsbedürfnisse nach außen und elitäres Bewusstsein ausschlaggebend […]. So wird eine verbindliche Ordnung oft nicht in formellen Rechtssätzen formuliert, nichtsdestoweniger aber mit Nachdruck tradiert und Verhalten daran gemessen.“
„Für Patrologen, Kirchen- und Profanhistoriker dürfte diese Sammlung ebenso von Bedeutung sein wie für Interessierte an den heutigen Fragen zur Lebensform der Priester in der lateinischen katholischen Kirche und in den Kirchen des Ostens, doch nicht weniger auch als Gegenbild für andere Kirchen und Konfessionen“, zeigt sich Wollbold überzeugt. „Zudem kann dieses Buch die Grundlagen für die augenblickliche Diskussion um die Zukunft des Zölibates in der lateinischen Kirche zu sichern helfen.“
Wie auch immer man sich selbst zum Zölibat positioniert: Das Buch gehört als Standardwerk in das Regal eines jeden Priesters und eines jeden Seminaristen. Auch Ordensleute sollten sich mit der Ehelosigkeit beschäftigen, denn was für Priester gilt, trifft analog auch auf sie zu, wenn auch eher aus dem Blickwinkel der bloßen Askese.
Andreas Wollbold: Zölibat. Schlüsseltexte aus den Anfängen bis zum 5. Jahrhundert; Verlag Friedrich Pustet; 1040 Seiten; 88 Euro; ISBN: 9783791734521
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