Bereits der Titel „Rom ist kein Gegner. Warum die Kirche Reformen braucht“ drückt ein Spannungsfeld aus. Das neue Buch von Bischof Georg Bätzing, das er gestern in Frankfurt vorstellte, liefert dazu tatsächlich teils überraschende Antworten.

Es ist eine Biografie in Form eines Interviews, im Ergebnis eine Darstellung seines Lebenswegs und vor allem eine Zwischenbilanz über seine Amtszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz sowie als Präsident des Synodalen Wegs.

Das Interview führte Stefan Orth, Chefredakteur der Herder-Korrespondenz. Sowohl in der gedruckten Version als auch bei der Präsentation am Erscheinungstag in Frankfurt, die per Livestream öffentlich übertragen wurde, stellte der Journalist seine Fragen meist geschmeidig, bei entscheidenden Themen durchaus zielgerecht. Die größte Brisanz geht allerdings von den Widersprüchen aus, die meist nicht angesprochen wurden, aber dennoch im Raum stehen und hier nicht übergangen werden dürfen.

Bätzing berichtet zunächst über seine Priesterberufung, die für ihn seit der Kindheit offensichtlich war, über sein Vorbild Hans Urs von Balthasar, dem Bätzing – würde von Balthasar noch leben – einen ähnlichen Wandel der eigenen Meinung unterstellt, wie er ihn selbst durchlebt hat. Wir lesen von seinem Fernbleiben am Seminaristentreffen beim Papstbesuch 1980 in Deutschland, weil er das Treffen mit Johannes Paul II. als „vereinnahmend“ empfunden hätte.

Von seinem ersten Rombesuch als Student oder Seminarist schildert er: „Auch dem Papst habe ich mich angenähert, klar, aber doch auch mit einer gewissen Vorsicht und einer kritischen Distanz. Generalaudienzen würde ich auch heute nicht besuchen, wenn ich privat in Rom wäre.“ Gestreift werden die Tätigkeiten Bätzings als Subregens und Regens im Priesterseminar sowie als Generalvikar.

Nicht nachvollziehen kann Bischof Bätzing die „Kurienschelte“ und die Warnung vor Klerikalismus durch Papst Franziskus: „Deshalb tut es mir mittlerweile physisch weh, wenn der Papst den Klerikalismus anprangert. Er haut da richtig drauf, was ich nicht gut nachvollziehen kann.“

Den Beschluss des Synodalen Wegs, „sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es das Priesteramt überhaupt braucht“, entschuldigt Bischof Bätzing mit den Umständen: „Dann wird eine Abstimmung ziemlich im Zeitdruck organisiert, bei der am Ende nicht mehr ganz klar ist, was eigentlich die Frage war. Wenn dann ein solches Ergebnis, wie geschehen, dabei herauskommt, kann man nur entsetzt sein.“

Andererseits „irritiert“ es ihn, „wenn nicht nur in päpstlichen Äußerungen im Zusammenhang mit Synodalität immer wieder auch doch etwas abfällig über Parlamentarismus gesprochen wird“: „Natürlich kann man einmal darauf verweisen, dass Synodalität in der Kirche keine Demokratie und keinen Parlamentarismus meint. Natürlich ist die Kirche keine Demokratie, das ist klar. Wir teilen unsere Werte nicht aufgrund von Mehrheitsentscheidungen, sondern folgen einem geoffenbarten Glauben. Aber die Vehemenz, mit der das, was wir Synodale tun, als leuchtendes Vorbild und der Parlamentarismus als Negativfolie hingestellt wird, ist für mich zunehmend unerträglich.“

Hat Bischof Bätzing seine Widersprüche wahrgenommen? Der auch nach seiner Ansicht missratene Beschluss zur Infragestellung des Priesteramtes hätte ihn auf Schwachpunkte des Parlamentarismus aufmerksam machen können. Seinen zurecht erfolgten Hinweis, dass die Kirche keine sich selbst verwaltende Organisation darstellt, sondern einer Offenbarung folgt, die von Gott vorgegeben ist, könnte er ebenfalls stärker berücksichtigen. Und auch darüber nachdenken, dass zwar der Staat demokratisch organisiert ist, dieses Prinzip aber eine Ausnahme darstellt, denn (nahezu) jede Firma, jede Organisation, jede Behörde ist hierarchisch strukturiert und macht es damit sozusagen der Kirche nach. Über Synodalität als geeignete Form der Partizipation, wie Papst Franziskus sie vorschlägt, müsste also zumindest ein Austausch und Abwägen der jeweiligen Vor- und Nachteile erfolgen.

Zumal die Erfahrungen mit der Methode des Parlamentarismus auf den deutschen Synodalversammlungen ernüchternd war. Nicht nur wegen der Buhrufe und Unmutsäußerungen, wenn sich manche Redner zu Wort meldeten. Sondern gerade wegen der immer wieder aufgeheizten Atmosphäre und des Drucks auf Minderheiten. So der Skandal, geheime Abstimmungen abzulehnen, obwohl sie in der Satzung verankert waren. Dazu Bischof Bätzing in seinem Buch beschwichtigend: „Satzung und Geschäftsordnung waren an einigen Punkten nicht eindeutig.“ Es gab vielleicht in der aktuellen Situation eine Irritation. Mittlerweile könnte er aber die für Juristen eindeutige Rechtslage akzeptieren.

Das Interview bezeichnet den Missbrauchsskandal und die darauf folgende MHG-Studie als Hintergrund für den Synodalen Weg. Bischof Bätzing räumt in seinem neuen Buch ein, dass die unterschiedliche Interpretation der MHG-Studie und das Fehlen einer Metastudie ursächlich sind für einen bis heute bestehenden Streit unter den deutschen Bischöfen. Auf die Erkenntnisse des Religionssoziologen Detlef Pollack, der auf der vergangenen Vollversammlung der deutschen Bischöfe gesprochen hat, geht Bischof Bätzing mit keinem Wort ein. Pollack beschreibt zum Beispiel: Missbrauch unter den Geistlichen in der katholischen Kirche und im Protestantismus hat in etwa das gleiche Ausmaß. Das war nicht zu erwarten, denn die Strukturen der beiden Institutionen sind grundverschieden. Die evangelische Struktur ist demokratisch. Fast alle Leitungsämter werden demokratisch gewählt. Seit 1972 haben Frauen Zugang zu allen geistlichen Ämtern. Diese Erkenntnis bestätigte auch Thomas Großbölting: „Ich habe die Studie zum Bistum Münster geleitet und auf den spezifisch katholischen Risikofaktor Klerikalismus hingewiesen. Aber jetzt musste ich erkennen: Es scheint fast gleichgültig zu sein, ob Sie einen geweihten Priester oder einen ordinierten Pfarrer in einer lutherischen oder einer reformierten Gemeinde haben.“ Diese seit Jahresanfang bekannten Erkenntnisse werden im Buch von Georg Bätzing nicht erwähnt. Es geht aber um die wesentlichen sowohl in der MHG-Studie als auch beim Synodalen Weg als „systemisch“ bezeichneten Ursachen, die jetzt prominent widerlegt wurden.

Stattdessen bekräftigt Bätzing den Eindruck der Instrumentalisierung des Missbrauchs: „Wenn dann gesagt wird, beim Synodalen Weg werde eine Agenda verfolgt, die es schon vor 50 Jahren gab, halte ich dagegen: Jetzt hat sich das Tor der Geschichte wegen des Skandals des Missbrauchs noch einmal geöffnet, sodass wir gemeinsam angehen können, was schon lange drängt.“ An dieser Stelle wird ein – vielleicht entscheidender – Schwachpunkt der Argumentation deutlich.

Bischof Bätzing gibt in seinem Buch auch eine Begründung, warum er die Lehre der Kirche in wesentlichen Punkten ändern will. Dabei identifiziert er sich mit Forderungen des Synodalen Weges, homosexuelle Partnerschaften anzuerkennen und Weiheämter für Frauen zu öffnen. Sein Hauptargument: „Eine Evangelisierung, die so tief geht, dass sie Existenzen berührt und prägt, ist für mich in unserem gesellschaftlichen Kontext ohne Geschlechtergerechtigkeit, ohne positive Sicht auf Sexualität auch außerhalb der Ehe, ohne eine neue Wertschätzung für homosexuelle Menschen nicht denkbar.“ Diskriminierung, Unrecht und Verletzung von Menschen gelte es zu vermeiden. Mit den „Leitlinien Sexualpädagogische Kompetenz in der Pastoral/in kirchlichen Arbeitsfeldern“, die er nach einer Beschlussfassung des Diözesansynodalrats des Bistums Limburg persönlich zur Umsetzung freigegeben hat, hat er bereits die lehramtlich verbindliche Sexualmoral der Kirche außer Kraft gesetzt und dabei die Erklärung des Heiligen Stuhls vom Juli 2022 missachtet, wonach man in Deutschland „nicht befugt“ sei, „die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten“.

Und er fragt: „Muss ich annehmen, dass 90 oder gar 95 Prozent des Gottesvolkes in unserem Land dann eben falsch liegen?“ Dabei nennt er Prozentzahlen, die eine Parallele haben: 90 bis 95 Prozent der Katholiken nehmen am Leben der Pfarrgemeinden gar nicht mehr teil!

Gleichzeitig räumt Bätzing ein: „Nicht alles, was heute gemeinhin gesellschaftlich geteilt wird, führt hin zu größerer Freiheit. Wer sein Herz für Jesus Christus und seine Botschaft öffnet, der und die erfährt auch den Ruf zu Veränderung seines persönlichen Lebens.“

Und er senkt die Erwartungen: „Die Beschlüsse, die wir gefasst haben, werden nicht dazu führen, die gewaltige Kirchenkrise in den Griff zu bekommen, in der wir stecken. Die ist umfassend.“

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Der Ausblick, den Bischof Bätzing in seinem Buch wagt, klingt nicht verlockend: „Vieles, was wir bisher geleistet haben, auch für die Gesellschaft, für den Zusammenhalt der Kulturen in unserem Land und für das Ansehen und Aussehen der Kirche, werden wir in Zukunft nicht mehr leisten können. Das fordert Entscheidungen und Entschiedenheit. Da stehen uns, wie das immer bei Ressourcenmangel ist, erhebliche Auseinandersetzungen, Kämpfe und ein wirkliches Ringen um Prioritäten bevor. Da werden wir in erhebliche Konfliktsituationen geführt. Für diese schwierigen Vorgänge brauchen wir verlässliche Verfahren und gute Prozesse transparenter Beratung und Entscheidung. Das wird anstrengend genug.“ Sucht er deshalb den Schulterschluss mit den Laienorganisationen und die Anpassung an gesellschaftliche Trends?

Was bleibt nun übrig nach 128 Buchseiten und mehr als 90 Minuten Liveübertragung? Der erste Fragesteller aus dem Publikum brachte es nach einer Stunde und 20 Minuten auf den Punkt, als er sich als „Normalo von der Basis“ bei der Veranstaltung vorstellte und sein Unwohlsein in der Polarisierung zwischen „Weiberaufstand“ einerseits und „Weiterso“ anderseits zum Ausdruck brachte. Bischof Bätzing: „Die Normalos bilden die gewaltige Mehrheit. Ich bezeichne mich auch als Normalo.“

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.