1. Oktober 2024
Papst Franziskus hat in einer eindringlichen Botschaft die Behandlung von Migranten, die das Mittelmeer überqueren, scharf kritisiert. Er verurteilte die Untätigkeit gegenüber Migrantenschiffen und betonte die moralische Verpflichtung, diesen Menschen in Not zu helfen.
Anlässlich einer Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz in Genf, an welcher der Heilige Stuhl teilnahm, geht Christian Peschken im Gespräch mit Erzbischof Ettore Balestrero, dem Ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf, auch der Frage nach, warum so viele Menschen in verschiedenen Ländern Migranten ablehnen.
Liegen die Vorurteile und die Ablehnung, die wir vielerorts erleben, möglicherweise darin begründet, dass viele Migranten nicht über die notwendigen Qualifikationen verfügen oder die Landessprache nicht sprechen und deshalb keine Arbeit finden? Haben Unternehmen, aufgrund hoher Steuern, die z. B. in militärische Investitionen fließen, keine Kapazitäten, um Arbeitsplätze anzubieten? Sind Migranten deshalb oft auf staatliche Unterstützung angewiesen, was wiederum die Bürger verärgert? Wie kann man dieses komplexe Problem lösen?
Das Thema Migration ist komplex, und die Gründe für die Ablehnung von Migranten variieren stark je nach Land und Region. Oft spielen Emotionen eine große Rolle, doch in anderen Fällen liegt das Problem tiefer, etwa in einer Identitätskrise des Landes, die es erschwert, Migranten aufzunehmen.
Besonders hervorheben möchte ich den Aspekt der nationalen Identität. Wenn ein Land seine kulturelle Basis oder seine gemeinsamen Grundwerte verliert, wird es schwierig, sich auf eine konstruktive Auseinandersetzung mit fremden Kulturen einzulassen. In Europa sollten sich die Länder verstärkt ihrer christlichen Wurzeln bewusst werden, um den Herausforderungen der Migration besser begegnen zu können. Diese Werte könnten eine Grundlage für verantwortungsbewusstes, solidarisches und kohärentes Handeln bieten.
Zudem braucht Europa dringend eine Verjüngung seiner Gesellschaft. Dies erfordert, dass wir eine positive Vision für die gemeinsame Zukunft entwickeln, anstatt uns in kurzfristige, egoistische Interessen zurückzuziehen. Nur so können wir den Herausforderungen der Migration langfristig begegnen und eine nachhaltige, solidarische Gesellschaft aufbauen. Dies ist ein zentrales Thema, das in der Diskussion über Migration oft übersehen wird.
Welche biblischen Prinzipien prägen die Haltung des Vatikans zu Arbeit und wirtschaftlicher Gerechtigkeit? Wie beeinflussen diese göttlichen Leitlinien die globale Debatte über faire Arbeitsbedingungen und Migration?
Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass Arbeit weit mehr ist als eine rein wirtschaftliche Tätigkeit, die durch soziale und technologische Bedingungen ihrer Zeit geformt wird. Arbeit darf nicht nur als produktive Handlung verstanden werden, denn in ihrem tieferen, subjektiven Sinn trägt sie entscheidend zur persönlichen und sozialen Entfaltung bei. Sie ist ein Ausdruck der Würde des arbeitenden Menschen und verleiht dem Leben einen tieferen Wert.
Arbeit ist somit eine grundlegende menschliche Aktivität, die uns die Möglichkeit gibt, unsere Umwelt zu gestalten und zu verändern. Bereits in der biblischen Schöpfungsgeschichte wird dem Menschen die Aufgabe übertragen, den Garten Eden zu pflegen – ein Symbol für die Verantwortung, die uns durch Arbeit anvertraut wurde. Durch sie können wir unsere Kreativität und Talente einbringen, und jeder Mensch ist in diesem Sinne reich ausgestattet.
In der Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit sollte stets die menschliche Dimension im Vordergrund stehen. Da jeder Mensch, wie es in der Heiligen Schrift heißt, nach dem Bilde und Gleichnis Gottes geschaffen ist, ist es von zentraler Bedeutung, dass alle Menschen die Möglichkeit erhalten, in Würde zu arbeiten. Dies bedeutet, dass die Wirtschaftspolitik nicht nur ein hohes Beschäftigungsniveau anstreben sollte, sondern auch faire Löhne, gerechte Verteilung von Ressourcen und Chancengleichheit gewährleisten muss. Ebenso ist es entscheidend, persönliche Sicherheit für die Arbeitnehmer und ihre Familien zu gewährleisten und gegen Formen der Ausbeutung und Entmenschlichung vorzugehen. Themen wie Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit dürfen dabei ebenfalls nicht vernachlässigt werden.
Vor dem Hintergrund der fortschreitenden technologischen Revolution wird der Aufbau von sozialen Schutzmechanismen für Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze durch Automatisierung und technologische Innovation gefährdet sind, immer dringlicher. Ein oft übersehenes Thema in dieser Diskussion ist die unbezahlte Pflegearbeit, die nicht die Wertschätzung erhält, die sie verdient. Diese Art von Arbeit ist von unschätzbarem Wert, sowohl für die wirtschaftliche Entwicklung als auch für die soziale und emotionale Entwicklung von Familienmitgliedern. Unbezahlte Pflegearbeit wird fälschlicherweise oft als Belastung dargestellt, die durch bezahlte Arbeit ersetzt werden sollte, was auf der irrigen Annahme beruht, dass bezahlte Arbeit per se wertvoller ist als unbezahlte häusliche Arbeit.
Dabei ist unbezahlte Pflegearbeit ein wahrer Ausdruck von Fürsorge und Hingabe gegenüber Familienangehörigen. Zwar kann sie Zeit von bezahlter Arbeit in Anspruch nehmen, doch sollte sie nicht als minderwertig oder als Last betrachtet werden. Vielmehr spiegelt sie die Priorisierung der Bedürfnisse der Familie wider. Letztlich sollte jede Arbeit, ob bezahlt oder unbezahlt, als ein menschlicher Ausdruck verstanden werden und nicht auf ihren rein ökonomischen Wert reduziert werden.
Exzellenz, wir haben das Thema Künstliche Intelligenz in der Vergangenheit bereits angesprochen, aber in diesem Zusammenhang möchten wir es noch einmal aufgreifen. Wie positioniert sich der Heilige Stuhl zu den ethischen Herausforderungen durch Automatisierung und KI auf den Arbeitsmarkt? Welche moralischen Prinzipien leitet die Kirche dabei? Wie kann eine gerechte Zukunft für alle Arbeitnehmer in einer technologisch geprägten Welt aussehen?
Die Heilige Schrift bezeugt, dass Gott den Menschen seinen Geist verliehen hat, der ihnen die Fähigkeit schenkt, Großes in jedem Handwerk zu leisten. Dieses göttlich inspirierte kreative Potenzial zeigt sich sowohl in der Wissenschaft als auch in der Theologie. Automatisierung und künstliche Intelligenz (KI) sind moderne Ausdrucksformen dieser schöpferischen Gabe und markieren den Beginn einer bedeutenden technologischen Revolution, die tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben wird. Der Aufstieg der KI hat das Potenzial, eine neue gesellschaftliche Ordnung zu formen, begleitet von zahlreichen Chancen und Herausforderungen.
KI könnte, wie viele Experten betonen, den Zugang zu Wissen revolutionieren, wissenschaftliche Fortschritte enorm beschleunigen und Menschen von schweren oder eintönigen Arbeiten entlasten. Doch gleichzeitig birgt sie die Gefahr, bestehende Ungleichheiten zwischen reichen und armen Ländern sowie zwischen privilegierten und benachteiligten Gruppen weiter zu verschärfen. Diese Entwicklung könnte das Phänomen der „Wegwerfkultur“, wie es Papst Franziskus bezeichnet, verstärken und einer „Kultur der Begegnung“ entgegenwirken.
Papst Franziskus hat daher mahnend auf die Risiken von KI hingewiesen und betont, dass diese Technologien immer nur Werkzeuge bleiben dürfen, die unter menschlicher Kontrolle stehen müssen. Besonders kritisch sieht er die Gefahr, dass KI die sozialen Ungleichheiten zwischen den Nationen vertiefen und Maschinen Entscheidungen treffen könnten, die tief in das menschliche Leben eingreifen. In Hinblick auf den Arbeitsmarkt hat der Papst katholische Institutionen dazu aufgerufen, Umschulungen und Weiterbildungen zu fördern, um Menschen, die durch Automatisierung und KI ihre Arbeit verlieren, neue Perspektiven zu bieten. Dabei steht die Wahrung der Menschenwürde im Zentrum dieser Bemühungen, um sicherzustellen, dass der technologische Fortschritt den Menschen dient und nicht umgekehrt.
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Original-Interview aufgenommen in Genf von Laetitia Rodrigues und Alex Mur | Textbearbeitung, Redaktion, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN, EWTN News und CNA Deutsch.
Hinweis: Dieser Beitrag – sein Inhalt sowie die darin geäußerten Ansichten – ist kein Beitrag der Redaktion von CNA Deutsch. Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln zudem nur die Ansichten der jeweiligen Autoren wider. Die Redaktion von CNA Deutsch macht sich diese nicht zu eigen.