20. Oktober 2024
[Lesungen HIER]
Was war nun eigentlich Jesus für ein Mensch? Kann man ihn überhaupt verstehen, also ihn in unsere menschlichen Kategorien einteilen?
In der heutigen Lesung aus dem Brief an die Hebräer wird er einerseits „Hoherpriester“ genannt. Andererseits wird gesagt, er sei versucht worden, wie wir versucht werden. Vermutlich waren die Versuchungen Jesu für ihn dramatischer als die Versuchungen, denen wir ausgesetzt werden. Ich erinnere an die 40 Tage, in denen er vom Teufel in drei verschiedenen Weisen versucht wurde. Erstens eine Show abzuziehen, zweitens einfach materielle Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, damit die Menschen ihm nachlaufen, und drittens, indem er einfach Macht ausübt.
Ich glaube aber persönlich, dass Jesus die schlimmste Versuchung am Abend vor seinem Leiden durchlitt. Er hat gerungen mit der Versuchung, einfach in der anbrechenden Nacht davonzulaufen vor dem Leiden. Er hätte ja vielleicht noch nach Galiläa fliehen können und sich verstecken können. Er konnte sich ja auch sehr gut vorstellen, was ihm an Leiden am nächsten Tag drohen würde. Zudem hatte er erlebt, wie seine zwölf Apostel ihn nicht verstanden hatten. Wir haben davon im Evangelium gehört. Sie stritten um die besten Plätze. Sie hatten offenbar überhört, was ihnen Jesus schon mehrfach gesagt hatte.
Wer also war Jesus? Einerseits ein Mensch, der mit der Dummheit der Menschen, mit der Dummheit und Feigheit seiner Jünger gerungen hat, und der selbst versucht wurde wie eben Menschen versucht werden. Andererseits nennt er sich selbst Menschensohn. Und das bedeutet einen riesigen Anspruch. Das bedeutet, dass er sich von Gott in besonderer Weise gesandt sieht, dass er den großen Gesetzgeber Moses übertrifft. Moses hatte gesagt: Liebe deinen Nächsten, hasse deinen Feind. Jesus widerspricht und sagt: Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde.
Jesus stellt sich über den großen Gesetzgeber Moses. Jesus ist ungeheuer anspruchsvoll. Wiederholt sagt er: Ich aber sage euch. Beim Evangelisten Johannes heißt es dann: Wer mich sieht, sieht den Vater. Ich und der Vater sind eins. Wegen dieses Anspruchs wird er von den Hohenpriestern zum Tod verurteilt. Sie haben seinen Anspruch genau erkannt. Jesus ist also einerseits äußerst selbstsicher und selbstbewusst. Andererseits wird er vom Teufel verführt. In der Lesung hatte es geheißen: Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwächen, sondern einen, der in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat.
Wenn wir Jesus ernst nehmen, stehen wir immer wieder vor der Frage: Wer ist er nun? Die Antwort kann nur lauten: Er ist ein Geheimnis. Kein Wunder also, dass die Urkirche rund 300 Jahre brauchte, bis sie klar erkannte und definierte: Er ist Mensch und Gott. Er ist nicht nur versuchbarer Mensch und nicht nur sichtbar gewordener Gott, sondern eben beides.
Das ist der Glaube der Kirche. Und wenn wir moderne Christen sein wollen, müssen wir uns wohl mit diesem Geheimnis auch ein Leben lang auseinandersetzen. Unsere Vorfahren haben es vielleicht leichter gehabt. Sie haben einfach geglaubt, was ihnen von der Autorität der Kirche gelehrt wurde. Gesegnet sind wir, wenn wir das auch einfach so übernehmen können. Aber vermutlich müssen wir manchmal um diesen Glauben ringen. Die heutigen Texte laden uns dazu ein.
Denken wir an Jesus selbst. Auch er musste ringen. Nämlich vor allem mit dem Unverständnis oder der Dummheit seiner Apostel. Während er um sein Volk rang, stritten sie um die ersten Plätze. Und Jesus sagt ihnen: Wer bei euch der Erste sein will, soll Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. Er sieht sich als Hohenpriester, der sich selbst darbringt für die Seinen.
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