5. Juli 2025
Inmitten eskalierender Gewalt im Nahen Osten und zunehmender Missachtung des Völkerrechts sprach Christian Peschken (EWTN) mit Alistair Dutton, dem Generalsekretär von Caritas Internationalis, über die moralische Verantwortung der katholischen Kirche in dieser globalen Krise. Dutton betonte die Verpflichtung der Kirche, die Menschenwürde zu verteidigen, das Leid der Zivilbevölkerung sichtbar zu machen und humanitäre Prinzipien entschlossen zu vertreten – auch wenn Diplomatie versagt und Hilfe blockiert wird.
Sollten wir als Katholiken, die zur Verteidigung der Menschenwürde berufen sind, nicht mehr tun, um Regierungen herauszufordern, die internationales Recht ignorieren und das Leiden von Zivilisten zulassen – insbesondere dann, wenn die Diplomatie zu scheitern scheint?
Der internationale Frieden und die Sicherheit wurden in den letzten Jahren durch mehrere Konflikte und Kriege, darunter auch der in Gaza, schwer erschüttert – häufig unter Verletzung der UN-Charta sowie unter Missachtung des Völkerrechts und des humanitären Völkerrechts. Dies stellt eine allgemeine Bedrohung für die Menschenwürde dar.
Regierungen, die das Völkerrecht und das humanitäre Völkerrecht (IHL) ignorieren, tragen zur Erosion internationaler Rechtsordnungen bei und befeuern Zyklen von Gewalt und Ungerechtigkeit. Wenn die Diplomatie versagt, ist es umso wichtiger, auf das Leid der Zivilbevölkerung in Konfliktgebieten aufmerksam zu machen. Katholiken haben die moralische Verpflichtung, sich für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen – besonders wenn die Schwächsten betroffen sind.
Als Katholiken sind wir aufgerufen, eine Stimme für die Stimmlosen zu sein, für die einzustehen, die unterdrückt werden und deren grundlegende Rechte und Würde verletzt werden. Es ist unsere gemeinsame Pflicht, Regierungen an ihre moralischen und rechtlichen Verpflichtungen zu erinnern. Wir müssen sie zur Rechenschaft ziehen.
Die Caritas fördert Dialog und Frieden. Gibt es angesichts eskalierender Gewalt und blockierter Hilfe einen Punkt, an dem Schweigen oder Neutralität zur Komplizenschaft wird?
Schweigen kann definitiv zur Komplizenschaft werden – mehr noch: man könnte sagen, dass es sich um eine schwere Sünde der Unterlassung handelt.
Als humanitäre Organisation, die tief in der katholischen Kirche verwurzelt ist, bekennen wir uns zu den Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit, die auch mit dem Auftrag und den Grundwerten der katholischen Soziallehre übereinstimmen. Wenn die Gewalt eskaliert und humanitäre Hilfe blockiert oder militarisiert/privatisiert wird, geraten das Leben und die Würde derjenigen, denen wir dienen, in ernsthafte Gefahr. Genau das geschieht derzeit in Gaza, wo Zivilisten vor der unmenschlichen Wahl stehen, zu verhungern oder getötet zu werden, wenn sie versuchen, Nahrung zu bekommen.
Der gesamte humanitäre Sektor, einschließlich der Caritas, hat sich klar gegen den systematischen und vorsätzlichen Abbau einer prinzipiengeleiteten humanitären Hilfe in Gaza ausgesprochen. Eine prinzipientreue humanitäre Antwort erfordert professionelle und qualifizierte humanitäre Helfer/Organisationen, die nach hohen ethischen Standards arbeiten.
Neutralität darf kein Hindernis für den Schutz der Bedürftigen werden. Wir müssen uns für das humanitäre Völkerrecht und eine prinzipienbasierte Hilfe einsetzen – vor allem aber für den Schutz menschlichen Lebens, das auf diese kritische Hilfe angewiesen ist. Dabei müssen wir auch die Sicherheit unserer Mitarbeitenden vor Ort mitbedenken. Deshalb versuchen wir stets, eine Balance zu finden zwischen der Lage der Betroffenen, der Situation unserer Helfer und unserer Aufgabe, Verstöße gegen das Völkerrecht, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte anzuprangern.
Wie können wir, da humanitäre Hilfe zunehmend politisiert und militarisiert wird, als katholische Gläubige die Caritas darin unterstützen, dass Christi Ruf, die Hungrigen zu speisen und die Schwachen zu schützen, nicht von politischen Agenden vereinnahmt wird?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Katholiken die Caritas unterstützen können. Erstens, indem sie Druck auf ihre eigenen Regierungen ausüben, damit diese Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht ergreifen. Zweitens können Katholiken intensiv für mehr Frieden, Großherzigkeit und Verständnis beten und die Initiativen unserer nationalen Caritas-Organisationen vor Ort finanziell unterstützen.
Papst Leo XIV. warnt vor einer Welt am Rande des Krieges. Welche konkreten Schritte kann die Weltkirche unternehmen, um das zu verhindern – über Stellungnahmen und Gebete hinaus?
Wir treten in ein Zeitalter ein, in dem „Macht vor Recht“ gilt und militärische Stärke als einzige Möglichkeit erscheint, in einer zunehmend instabilen und unvorhersehbaren Welt „sicher“ zu sein. Daher müssen wir unsere Advocacy-Arbeit nicht nur bei den Vereinten Nationen und in internationalen Foren fortsetzen, sondern vor allem auf nationaler Ebene: Regierungen müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihr Handeln oder Nichthandeln weitreichende Folgen für die internationale Ordnung und das globale Regierungssystem haben wird.
Wir appellieren an Regierungen, die immer stärker auf Verteidigung setzen, dass Entwicklung die billigste Form der Verteidigung ist. Und schließlich sollten wir versuchen, Brücken zwischen allen Hauptakteuren zu bauen, um auf den enormen Preis hinzuweisen, den wir alle zahlen könnten: Auf dem Weg, den wir derzeit beschreiten, wird es keine Gewinner und nur Verlierer geben.
Wie können katholische Gemeinden weltweit ihre eigenen Führungspersonen zur Rechenschaft ziehen, wenn diese Politiken unterstützen oder dulden, die den Frieden und die Menschenwürde im Nahen Osten untergraben?
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Es ist unsere gemeinsame Pflicht als Katholiken, unsere Regierungsvertreter – einschließlich katholischer Führungspersönlichkeiten – daran zu erinnern, dass sie die Verantwortung tragen, ihre Verpflichtungen gegenüber dem internationalen Recht einzuhalten und das Gemeinwohl zu fördern.
Auch die öffentliche Mobilisierung darf nicht nachlassen. Einschränkungen und Verstöße gegen die Rechte auf Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung müssen dokumentiert und als grundlegende Verletzungen der Menschenwürde, des Gewissens und – in den meisten Fällen – als verfassungswidrig angeprangert werden.
Schließlich sind Allianzen mit dem Privatsektor von Bedeutung – gerade wegen der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen von Konflikten und Kriegen. Es gibt zahlreiche Unternehmen und Investoren, die vom Waffenhandel stark profitieren. Wir brauchen Mechanismen, um sie in irgendeiner Form zur Verantwortung zu ziehen. Ebenso gibt es viele andere Akteure, die durch die wirtschaftlichen Turbulenzen erheblich verlieren werden – mit ihnen sollten wir zusammenarbeiten, da sie über großen Einfluss auf Regierungen verfügen.
Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.