7. Dezember 2025
Das Jahr des Nizäa-Jubiläums lenkt den Blick zurück auf jene Konzilsentscheidungen, die das christliche Gottes- und Christusverständnis bis heute tragen. Der Augsburger Dogmatiker Thomas Marschler erforscht seit Jahrzehnten die Linien, die von der mittelalterlichen Scholastik bis in die aktuellen theologischen Debatten reichen. Im Gespräch mit CNA Deutsch erklärt er, warum das Bekenntnis von Nizäa – insbesondere das homoousios und das trinitarische Glaubensbekenntnis – nicht nur historische Formeln sind, sondern Schlüssel zur Identität des christlichen Glaubens in einer Zeit vielfältiger theologischer Herausforderungen.
Welche dogmatischen Einsichten des Konzils von Nizäa – insbesondere im Blick auf das homoousios und das trinitarische Bekenntnis – sind aus Ihrer Sicht heute für Glaubensverkündigung und Theologie besonders unverzichtbar?
Das bleibende Resultat des Konzils von Nizäa besteht in der Antwort auf die Frage, „wer“ Jesus Christus ist: Er ist der ewige Sohn des Vaters, der „um unseres Heiles willen“ als Mensch in diese Welt gekommen ist. Das bleibt für den christlichen Glauben aller Zeiten zentral. In Christus bekommen wir es mit Gott selbst zu tun, nicht nur mit einem weiteren Propheten oder Beauftragten Gottes. Darum wird der Sohn „wesensgleich dem Vater“ genannt: Alle göttlichen Eigenschaften, die wir dem Vater zuschreiben, gelten auch für ihn. Sein Hervorgang aus Gott ist ein ewiges, innergöttliches Geschehen, nicht eine Erschaffung oder Verursachung in der Zeit.
Damit verbindet sich eine zentrale Aussage über Gott. Jene Beziehung zwischen Vater und Sohn, die sich uns in der irdischen Geschichte Jesu zeigt, prägt Gott selbst von Ewigkeit. Der Vater ist immer schon Vater, der Sohn ist Sohn vor der Gründung der Welt. Zugleich erkennen wir in Christus die Einheit des heilsgeschichtlichen Handelns Gottes. Die Erlösung, die wir durch das Kommen des Sohnes in die Welt empfangen, ist innerlich verbunden mit der Erschaffung der Welt, die „durch“ den Sohn verwirklicht wurde, und mit ihrer Vollendung, die mit der Wiederkunft Christi am Ende der Tage beginnen wird. Der Heilige Geist wird im Symbolum von Nizäa zwar ebenfalls genannt, aber nur sehr knapp ohne jede Erläuterung. Erst das Konzil von Konstantinopel (381) wird den nizänischen Text mit Aussagen über den Geist ergänzen und so zum vollen trinitarischen Bekenntnis erweitern.
Im Symbolum von Nizäa ist schließlich eine wichtige Aussage über den Menschen impliziert: Indem der Sohn menschliches Fleisch annimmt, offenbart er eine Würde des Menschseins, die über alles hinausweist, was man aus philosophischer oder schöpfungstheologischer Perspektive formulieren kann. Daran hat auch Papst Leo XIV. kürzlich in seinem Schreiben In unitate fidei zum Jubiläum des Konzils von Nizäa erinnert.
Vor dem Hintergrund moderner Christologien, die Jesus eher als Propheten oder moralisches Vorbild deuten, stellt sich die Frage, wie das nizänische Verständnis von der wahren Gottheit Christi heute plausibel erschlossen werden kann. Wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen und Chancen?
Man kann die theologische Diskussionslage des 4. Jahrhunderts nicht ohne Differenzierungen mit der Situation in unserer Gegenwart vergleichen. So gibt es in der modernen Christologie kaum Positionen, die mit dem Arianismus völlig identisch wären, gegen den sich die Väter von Nizäa gewandt haben. Arius sah Christus zwar als Geschöpf an, aber lehrte trotzdem seine reale Präexistenz (die Existenz vor dem Beginn seines Lebens als Mensch) und seinen Vorrang vor allen übrigen Geschöpfen. Insofern dachte Arius höher über Christus, als dies in manchen christologischen Konzepten seit der Aufklärung geschieht.
In der jüngeren Moderne sind die christologischen Gegenpositionen zum Glauben von Nizäa eher Ansätze in der Tradition des altkirchlichen Adoptianismus. Es sind Konzepte, die in Christus einen Menschen sehen, der Geschöpf ist wie alle anderen Menschen auch und der vor seiner Entstehung nicht real, sondern bestenfalls ideal (in Gottes Vorsehung) präexistierte. Wenn er „Sohn Gottes“ genannt wird, dann deswegen, weil Gott ihn in besonderer Weise mit seinem Geist und seiner Kraft erfüllt und mit einer besonderen Sendung ausgestattet hat. Wenn sich dieser Christus von den übrigen Menschen unterscheidet, dann nicht im Gott-Sein, sondern in einer besonderen Art der Gottbezogenheit.
Die entscheidende Frage bleibt: Reicht das aus, um die biblisch bezeugte Einzigartigkeit Jesu zu erfassen? Wenn Jesus nicht wahrer Gott ist, gibt es keine echte Selbstmitteilung Gottes in der Geschichte. Dann ist Christus nicht der Erlöser, von dem wir Gnade und übernatürliche Gottähnlichkeit empfangen können, denn als Geschöpf kann er all das nicht gewähren. Dann bleibt es möglich, dass er als Mittler zwischen Gott und den Menschen nicht einzigartig ist, sondern dass andere religiöse Gestalten dieselbe Funktion erfüllen wie er. Erst das Bekenntnis zur Gottheit Christi macht das Christentum im Vergleich der Religionen wirklich einzigartig und unüberbietbar. Am leichtesten wird dies verstehen, wer Christus ganz persönlich als Heiland und Herrn seines Lebens angenommen hat. Ein solcher Mensch wird in der Regel mit dem Christusbekenntnis des Konzils von Nicäa keine Probleme haben.
Der leichteste Weg, Christus in seiner göttlichen Würde zu begegnen, besteht im gläubigen Beten mit der Kirche und in der bewussten Teilnahme an ihrem Gottesdienst, der zutiefst vom Geist des nizänischen Glaubens durchdrungen ist. Wenn Christus nicht wahrer Gott ist, wäre die Liturgie der Kirche ebenso wie die kirchliche Dogmatik auf einem fundamentalen Irrtum erbaut, und die Kirche hätte als Zeugin der Offenbarungswahrheit jede Glaubwürdigkeit verloren. Am Bekenntnis von Nizäa hängt also nicht weniger als die gesamte kirchliche Identität.
Es sei aber hinzugefügt, dass man bestimmte Tendenzen der modernen Christologien problemlos auch in einem rechtgläubigen Sinn verstehen kann. So lässt sich der Versuch würdigen, von den abstrakten, durch Begriffe der griechischen Philosophie geprägten Bekenntnisformeln der alten Zeit wieder stärker die Brücke zu den Sprachformen der Heiligen Schrift zu schlagen und die konkrete Geschichte Jesu in der Beziehung zum Vater christologisch neu einzubeziehen. Diesen Weg schlagen schon die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils ein.
Nizäa war zugleich ein synodales Ereignis mit klaren dogmatischen Entscheidungen. Welche Lehren lassen sich daraus für gegenwärtige Debatten über Synodalität ziehen – insbesondere im Vergleich zwischen dem deutschen Synodalen Weg und traditionellen Formen von Konziliarität, wie sie etwa in den orthodoxen Kirchen bestehen?
Grundsätzlich ist es bemerkenswert, dass die erste große dogmatische Klärung in der Geschichte der Kirche synodal vorgenommen wurde, konkret: auf einer Bischofssynode. Sie war zwar ihrer Zusammensetzung nach durch das starke Übergewicht von Bischöfen aus dem Osten keine Repräsentation der ganzen damaligen Kirche, hat aber durch die breite Akzeptanz ihres christologischen Bekenntnisses im Nachhinein den Rang eines „ökumenischen Konzils“ gewonnen. Bis heute bleibt das universale Konzil, auf dem Bischöfe die mit Entscheidungsautorität ausgestatteten Hauptakteure sind, der, zuständig für die Klärung dogmatisch zentraler Fragen. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Das schließt nicht aus, dass in unserer Zeit Synodalität als umfassendes Lebens- und Arbeitsprinzip auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens in einer intensiveren Weise als zuvor entdeckt und umgesetzt werden kann. Dies war ein großes Anliegen des verstorbenen Papstes Franziskus, das sein Nachfolger fortzusetzen scheint. Dazu gehört, dass alle Getauften im Sinn des Zweiten Vatikanischen Konzils begreifen, dass sie das Recht und die Pflicht zur mitverantwortlichen Teilhabe an der kirchlichen Sendung besitzen und auf dieser Basis je nach ihrer Berufung Anteil nehmen an kirchlichen Beratungs- und Entscheidungsprozessen. Allerdings können an diesem Punkt auch Konflikte aufbrechen, wie man im Vergleich der römischen Weltsynode mit dem deutschen Synodalen Weg gut erkennen kann.
Die große Mehrheit des deutschen Synodalen Weges möchte Laien direkt an der Leitungs- und Entscheidungsvollmacht geweihter Amtsträger Anteil nehmen lassen und im Licht der Missbrauchskrise klerikale Vollmachten zukünftig stärker kontrollieren oder eingrenzen. Dagegen wird in Rom klarer zwischen dem Prozess des Erarbeitens einer Entscheidung und der Entscheidung selbst unterschieden und die Beteiligung der Laien vorwiegend im ersten Schritt gesehen. Auch die globalen Ziele der synodalen Prozesse differieren, sofern im römischen Format ein missionarischer Aufbruch der Kirche und geistliche Wertschätzung unterschiedlicher Charismen, in Deutschland primär praktische Reformforderungen und sehr konkrete Wünsche nach Veränderung der kirchlichen Lehre im Vordergrund stehen.
Angesichts der spezifisch modernen Fragestellungen heutiger synodaler Prozesse wird man von einem 1700 Jahre zurückliegenden Konzil keine unmittelbaren Antworten erwarten dürfen. Dies gilt auch deswegen, weil sich auf der Ebene der Akteure manches verändert hat. Für die Durchführung des Konzils von Nicäa und seine Entscheidungen war der byzantinische Kaiser (Konstantin) die entscheidende Autorität, während der römische Papst noch keine Rolle spielte. Einige Erfahrungen lassen sich aber auch über den weiten Abstand der Zeit hinweg übertragen: Schon in Nizäa waren theologische und nicht-theologische (politische) Interessen eng miteinander verwoben, was bis heute eine Herausforderung für Kirchenversammlungen sein kann.
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Nizäa lehrt außerdem, dass mit einer konziliaren Entscheidung nicht alle Probleme automatisch gelöst sind. Ein Konzil ist erst dann erfolgreich, wenn seine Beschlüsse rezipiert und umgesetzt werden – was nach dem Nizänum ein halbes Jahrhundert lang auf der Kippe stand. Schließlich lässt das Symbolum von Nizäa erkennen, dass Kirchenversammlungen in der Regel mit begrenzten Fragen ringen und keine umfassenden theologischen Klärungen eines ganzen Themenfeldes leisten können. Insofern stoßen ihre Ergebnisse oft neue theologische Debatten an und können sich als ergänzungsbedürftig erweisen.
Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.



