18. Juni 2018
Die Mittlere hat einen hartnäckigen Husten, weswegen ich sie knapp eine Woche nicht in den Kindergarten schicke, sondern zu Hause in Ruhe gesund werden lasse. Nun verbringen wir also viel Zeit miteinander, unterhalten uns, spielen zusammen, lesen Bücher, tanzen und hören Musik.
Puzzlen gehört zu ihren Leidenschaften und sie schafft mit viel Ausdauer, was ihr agiles Wesen nicht vermuten lässt, sogar schon 100 Teile Puzzle.
Während ich mit der Kleinsten beschäftigt war, hörte ich irgendwann nichts mehr von ihr und rief die Treppe hinunter, ob alles gut sei bei ihr.
Erst mal keine Antwort. Als ich dann nachsehen ging, war sie raus gegangen auf die Terrasse und kniete unter dem Vordach auf einer Bank mit Blick in den großen Garten. Sie hatte mich gehört, wollte aber wohl nicht schreien, weil sie gerade zwei Buntspechte beobachtete und diese nicht vertreiben wollte. Also bekam ich eine kurze, leise Antwort: "Alles gut Mama, ich schaue mir nur ein bisschen die Welt an."
Ich schaue mir nur ein bisschen die Welt an! Sie hätte "die Vögel" sagen können, "den Garten" oder "die Wiese", aber sie entschied sich für "die Welt".
Ist das nicht großartig, fast schon philosophisch! Ich will nicht zu viel hinein interpretieren, das machen Eltern ja gerne mal, wenn ihre Kinder schöne Dinge sagen, aber mich berührte dieser Satz ganz tief im Innern. Er verkörpert Ruhe, Entspannung, Heimat, Wohlfühlen und Neugier in einem. Von ihrem sicheren Posten aus, die Welt betrachten-wer hat sonst Zeit dazu?
Können wir Erwachsene nicht so viel von den Kindern lernen. Einfach mal die Welt anschauen. Wie die Natur sich entfaltet, die Sonne ihr Licht im Laufe des Tages verändert, Stimmungen zaubert, wie die Vögel emsig nach Futter suchen und die Menschen um uns herum ihrem Alltag nachgehen.
Das Schöne ist, dass Kinder auch noch wirklich Dinge entdecken. Überall gibt es Neues zu sehen, Dinge zu hinterfragen und Beobachtungen zu machen. Sie stellen Fragen, hinterfragen, nehmen schnelle Antworten nicht hin und wollen die Welt tatsächlich im Kern begreifen.
Was mache ich eigentlich den ganzen Tag, frage ich mich, als ich noch länger über den Satz nachdenke.
Ich stehe um 7:00 Uhr auf und gehe um 23:00 Uhr ins Bett, das sind 16 Stunden Zeit, die ich ja mit irgendwas fülle. Natürlich weiß ich, dass ich einkaufen gehe, putze, Kindergartenbrote schmiere, viel Zeit vor dem Kleiderschrank verbringe und diskutiere, was wetterangemessene Kleidung ist, Kinder zur Geige und zum Tanzen bringe…aber wann nehme ich mir Zeit, einfach mal die Welt anzuschauen?
Einfach mal da sitzen und vielleicht den Kindern beim Malen und Spielen zu schauen, der Kleinsten beim Brabbeln, beim Glucksen und einfach mal nichts tun, außer betrachten…geht das?
Ich kann für mich sagen, dass ich mir zu wenig die Welt anschaue und möchte mir dafür in Zukunft viel mehr Zeit nehmen. Es gibt doch zu allem lustige Postkartensprüche: "Ich kann heut nicht putzen, ich schaue mir die Welt an" oder "Komm vorbei, wir schauen uns heute die Welt an" wären welche, die ich mir ganz oben an die Pinnwand heften würde, nur um mich an die tägliche Dosis "Welt betrachten" zu erinnern.
Das Blog "Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter" mit Elisabeth Illig erscheint jeden Montag bei CNA Deutsch. Alle bisherigen Blogposts finden Sie hier im Überblick.
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