Friedrich Nietzsche, der verzweifelt gottlose Philosoph, klagte leidenschaftlich über die träge Biederkeit des "gegenwärtigen Christentums" – und seine überkonfessionell sichtbaren Erscheinungsformen. Wie hätte sich der abtrünnige Pastorensohn über das offensiv demonstrierte Selbstbewusstsein der Aktionsgemeinschaft "Maria 2.0" und den Aufruf zum Kirchenstreik geäußert? Wie hätte er über die Geschmeidigkeit von einigen unbegreiflich verständnisvollen Oberhirten und ihre Solidaritätsbekundungen gedacht? Die Streikenden bezeugen vielleicht ihren wie auch immer subjektiv begründeten Unmut. Gefordert ist aber von uns allen doch das Zeugnis für den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus. Henri de Lubac, der heute viel zu selten gelesene Theologe, hat 1950 über die Tragödie des atheistischen Humanismus nachgedacht (unbedingt empfehlenswert: Henri de Lubac: Über Gott hinaus, erschienen im Johannes Verlag 1984) und auch an Nietzsches Klagen über die Mittelmäßigkeit und Scheinheiligkeit der Christen erinnert: "Bessere Lieder müßten sie mir singen, daß ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müßten mir seine Jünger aussehen!"

De Lubac verweist auf eine bis in die Kirche hineinreichende Verhöhnung Christi, auf ein "klerikales Christentum, formalistisches Christentum, erstarrtes, erloschenes Christentum", das "entnervt, abgestanden, verkalkt" wirke. Er denkt an erbauliche Reden ohne wahren Ernst, an saturierte Biederkeit, narkotische Unterweisungen und kollektives Gejammer, eingebunden in ein "Gemengsel von Politik und frommer Geschäftigkeit". So soll natürlich auch die Feier der Liturgie nicht einem musealen Bühnenweihfestspiel gleichen. Das wissen übrigens sehr viele Freunde der "forma extraordinaria" oft ungleich besser als die Kritiker der "alten Messe". Die Nachkonzilszeit lehrt zudem, dass ein variantenreiches liturgisches Tanztheater mit priesterlich vorgebrachten Gags und allerneuesten Hochgebeten auch nicht die echte Freude am wahren Glauben schenkt. Die "tätige Teilhabe" der Gläubigen wächst nicht, wenn jeder nur noch auf seinen Einsatz in der Liturgie wartet. Das lateinische Ordinarium – ja, ich liebe das würdig gefeierte Choralamt sehr und aufrichtig – hebt die Herzen empor, aber genügt das? Die Kirche erwacht nicht in den Seelen, wenn die Predigt mit salbungsvoll frömmelndem Zierrat angereichert ist und ein dekorativ mild lächelnder Nazarener-Jesus die Kasel schmückt.  Die Gläubigen sehnen sich so sehr nach klar katholischen Homilien - und wie froh und dankbar können wir sein, dass es sie in unseren Zeiten noch gibt (wer sich ein Beispiel anhören möchte, kann es unter diesem Link).

Die Schönheit des Glaubens leuchtet, so glaube ich, von innen her auf – besonders in der würdig gefeierten, darum außerordentlich schönen heiligen Messe. Christus ist gegenwärtig im Sakrament des Altares. De Lubac spricht also auch zu Recht von Veräußerlichungen, von einer "Religion der Zeremonien und frommen Übungen, des geschmacklosen Prunkes und konventionellen Trostes", von einer Erstarrung in "Formalismus und Routine". Routiniert sind auch die postmodernen Kreativen. Wer glaubt eigentlich heute noch an Christus und Seine Kirche? Doch einige möchten so gern ein wichtiges Amt bekleiden. Henri de Lubac spricht nicht von Weltchristen und ihrer Berufung, sondern zeichnet, mit Nietzsche, ein trauriges Bild der "Allerweltschristen". Die wahrhaft Suchenden werden abgeschreckt vom Funktionärschristentum, auch wenn sie doch vielleicht nichts lieber als glauben möchten: "Sie fühlen sich zum Evangelium hingezogen, fühlen sich angezogen von der Kirche, in der sie mehr als eine menschliche Realität ahnen und zugleich die einzige Institution, die uns mit der Heilung aller Übel auch die Lösung des Problems unserer Existenz verbringen vermöchte."

Wir alle, die "Christen von heute", bieten ihnen stattdessen unklare synodale Wege an, Verwaltungsreformen, Steuerabgaben, Gremien, Ausschüsse und Protestgruppen, die einen vermeintlichen Männerbund aufsprengen möchten. Henri de Lubac sagt, dieses Schauspiel stoße ab. Die aufrichtigen Gottlosen wie Nietzsche würden die Christen nicht "verdammen" – "eher nehmen sie uns nicht ernst". So viele Suchende verzehren sich nach dem Brot des Lebens, aber das scheint im Gemischtwarenladen "Kirche light" einer lauen Kulturchristenheit in Vergessenheit geraten zu sein. Oder hat das Gremium noch nicht getagt, um über das wirklich Wichtige in der Kirche einen Beschluss zu fassen? Dafür bieten geschäftige Arbeitskreise vielleicht bald eine erneuerte Sittenlehre an, möglicherweise eine Apologie der Beliebigkeit, lebenswirklich, lebensweltlich zurechtgeschnitten für die postmoralische Gesellschaft von heute und morgen.  

De Lubac sagt klar: Am Christentum gäbe es "nichts zu ändern, nichts zu bessern, nichts hinzuzufügen" – aber Vertiefungen im Glauben seien nötig, nicht "billige Rezepte". Unnötig sei, das Christentum der "Mode des Tages anzupassen": "Wir müssen es sich selbst wiedergeben in unseren Seelen. Wir müssen ihm unsere Seelen wiedergeben." Was bleibt uns zu tun? "Herr, wenn die Welt heute durch so viel Blendwerk verführt wird, wenn sie heute eine solche Wiederkehr der heidnischen Flut erlebt, dann deshalb, weil das Salz Deiner Lehre haben dumm werden lassen. Herr, heute wie gestern und allezeit ist kein Heil als in Dir – und wer sind wir, dass wir es wagen sollten, Deine Weisungen zu bestreiten oder daran zu deuteln? Herr, bewahre uns vor solchem Trug und schenke uns, wo es nottut, nicht nur einen demütigen Glauben, sondern ein feuriges und ergriffenes Eingehen auf Dein Evangelium!" Wovon also sollte heute in der Kirche die Rede sein? Der Regensburger Bischof Michael Buchberger meinte dazu knapp: "Von Gott!"

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