12. März 2020
Mit festem Willen, trotz vereinzelter theologischer Bedenken und Widerstände innerhalb der Kurie, beharrte Johannes Paul II. auf einem Schuldbekenntnis der Kirche, das im Heiligen Jahr am 12. März 2000 im Petersdom gesprochen wurde.
In der Bulle "Incarnationis mysterium" hat der Papst bereits am 29. November 1998 Ausführungen über Schuld und Sünde dargelegt. Über die Heiligkeit der Kirche ist auch in den vergangenen Jahren in Theologie, Kirche und Gesellschaft kontrovers nachgedacht worden. Insbesondere der Missbrauchsskandal und die verstörenden Praktiken innerhalb der Kirche zur Vertuschung der skandalösen Vorfälle haben berechtigterweise Unverständnis, Zorn, Empörung und Trauer ausgelöst. Über unheilvolle Strukturen wurde nachgedacht. Niemand vergisst dabei, dass nicht Strukturen der Macht für diese schändlichen Verbrechen verantwortlich sind, sondern dass Einzelne, von wem und wodurch immer getrieben, sich schuldig machen. Jeder weiß, dass Macht missbraucht werden kann. Jeder weiß, dass alles getan werden muss, um Machtmissbrauch aufzudecken und zu unterbinden. Ein unheimlicher Korpsgeist und eine säkular vielfach eingeübte Praxis des Verheimlichens sind eine schmerzhafte Realität – solches gibt es in vielen Bereichen, so auch in Institutionen, Vereinen und selbst in Familien. Die Kirche in ihrer säkularen, institutionellen Gestalt war in vielem nicht besser als die Welt, in die sie gesandt war. Man könnte nun sagen: Nein, nicht die Kirche, es waren Einzeltäter in kirchlichem Dienst oder mit kirchlichem Auftrag. Das stimmt. Die Kirche ist doch heilig! Oder etwa nicht?
Trotzdem sollten wir uns daran erinnern, was der heilige Johannes Paul II. 1998 geschrieben hat. Zunächst spricht er von der Heiligkeit in der Kirche: "Die Geschichte der Kirche ist eine Geschichte der Heiligkeit. Das Neue Testament bestätigt nachdrücklich folgende charakteristische Eigenschaft der Getauften: Sie sind in dem Maße »heilig«, wie sie sich von der dem Bösen unterworfenen Welt trennen und der Verehrung des einzigen und wahren Gottes hingeben. Tatsächlich tritt diese Heiligkeit in den wechselvollen Lebensgeschichten vieler von der Kirche anerkannter Heiliger und Seliger ebenso in Erscheinung wie im Leben einer unendlichen Schar unbekannter Männer und Frauen, deren Zahl sich unmöglich errechnen läßt (vgl. Offb 7, 9). Ihr Leben gibt Zeugnis von der Wahrheit des Evangeliums und bietet der Welt das sichtbare Zeichen für die Möglichkeit der Vollkommenheit." Dann aber spricht er von der Sünde, von der Spur des Bösen oder Dämonischen in der Kirche: "Man muß jedoch eingestehen, daß die Geschichte auch viele Ereignisse verzeichnet, die ein Antizeugnis gegenüber dem Christentum darstellen. Wegen jenes Bandes, das uns im mystischen Leib miteinander vereint, tragen wir alle die Last der Irrtümer und der Schuld derer, die uns vorausgegangen sind, auch wenn wir keine persönliche Verantwortung dafür haben und nicht den Richterspruch Gottes, der allein die Herzen kennt, ersetzen wollen. Aber auch wir haben als Söhne und Töchter der Kirche gesündigt, und es wurde der Braut Christi verwehrt, in ihrer ganzen Schönheit zu erstrahlen. Unsere Sünde hat das Wirken des Geistes im Herzen vieler Menschen behindert. Unser schwacher Glaube hat viele der Gleichgültigkeit verfallen lassen und sie von einer echten Begegnung mit Christus abgehalten." Der Papst spricht hier noch abstrakt von einem "Antizeugnis", aber zugleich auch von der Kirche als dem Leib Christi, von der Gemeinschaft der Gläubigen, die die Last der Schuld auch dann trägt, wenn die Einzelnen nicht unmittelbar darin verstrickt sind. Dieses "Antizeugnis" darf weder ignoriert noch verkleinert werden. Es gehört, modern gesprochen, zur Lebenswirklichkeit. Wer glaubt, ist nicht allein. Was das bedeutet, daran hat uns der heilige Johannes Paul II. 1998 erinnert: "Alles kommt von Christus, aber da wir sein Eigentum sind, wird auch das, was uns gehört, zu seinem Eigentum und gewinnt eine heilbringende Kraft. Das ist gemeint, wenn man vom »Schatz der Kirche« spricht, der aus den guten Werken der Heiligen besteht. Für die Erlangung des Ablasses beten heißt, in diese geistliche Gemeinschaft eintreten und sich damit ganz den anderen öffnen. Denn auch im geistlichen Bereich lebt keiner nur für sich allein. Und die heilsame Sorge um das eigene Seelenheil wird erst dann von Furcht und Egoismus befreit, wenn sie zur Sorge auch um das Heil des anderen wird. Das ist die Wirklichkeit der Gemeinschaft der Heiligen, das Geheimnis der »stellvertretenden Wirklichkeit« und des Gebetes als Weg zur Vereinigung mit Christus und mit seinen Heiligen. Er nimmt uns zu sich, damit wir zusammen mit ihm das makellose Gewand des neuen Menschengeschlechtes weben, das Gewand der Braut Christi aus blendend weißem Leinen."
Doch ist das Gewand der Braut Christi nicht beschmutzt durch Sünde und Schuld? Im Heiligen Jahr betont der Papst den Wert des wegweisenden Dokuments der Internationalen Theologenkommission "Erinnern und Versöhnen" . Dort heißt es: "Wenn so die Heiligkeit des einen die anderen in ihrem Wachstum in der Gnade beeinflusst und umgekehrt, dann darf die Kehrseite nicht aus dem Blick geraten. Die Sünde hat nie eine nur individuelle Seite. Wenn in dieser Gemeinschaft durch die Sünde einzelner der Heilsweg aller behindert und verstellt wird, dann ist die Kirche in der Einheit ihres geschichtlichen Weges auch von jeder Sünde, zu welcher Zeit auch immer sie begangen wurde, zutiefst betroffen. … Wenn so die Heiligkeit des einen die anderen in ihrem Wachstum in der Gnade beeinflusst und umgekehrt, dann darf die Kehrseite nicht aus dem Blick geraten. Die Sünde hat nie eine nur individuelle Seite. Wenn in dieser Gemeinschaft durch die Sünde einzelner der Heilsweg aller behindert und verstellt wird, dann ist die Kirche in der Einheit ihres geschichtlichen Weges auch von jeder Sünde, zu welcher Zeit auch immer sie begangen wurde, zutiefst betroffen."
In seiner Predigt am 12. März 2000 spricht der Papst am "Tag der Vergebung" von der "objektiven Verantwortung, die die Christen als Glieder des mystischen Leibes miteinander tragen und die die Gläubigen von heute dazu drängt, zusammen mit den eigenen Verfehlungen die der Christen von gestern im Licht einer sorgfältigen historischen und theologischen Klärung anzuerkennen": "Denn »wegen jenes Bandes, das uns im mystischen Leib miteinander vereint, tragen wir alle die Last der Irrtümer und der Schuld derer, die uns vorausgegangen sind, auch wenn wir keine persönliche Verantwortung dafür haben, und nicht den Richterspruch Gottes, der allein die Herzen kennt, ersetzen wollen« (IM, 11). Die Verirrungen der Vergangenheit anzuerkennen dient dazu, unser Gewissen wachzurütteln angesichts der Kompromisse der Gegenwart und jedem den Weg der Versöhnung zu erschließen. Wir vergeben und bitten um Vergebung! … Für den Anteil, den jeder von uns mit seinem Verhalten an diesen Bösartigkeiten hat und damit beiträgt, das Antlitz der Kirche zu entstellen, bitten wir demütig um Vergebung."
Was lehrt uns dies, zwanzig Jahre später – am Beginn des "Synodalen Weges"? Wir bekennen uns im Credo zur Heiligkeit der Kirche, die unauflöslich mit Christus als dem Stifter verbunden ist. Konfrontiert sind wir zugleich mit vielen Formen der Unheiligkeit, mit der Wirklichkeit der Bösen. Wir sehen oder ahnen das erschreckende Ausmaß der Sünden, die das Zeugnis der Kirche verdunkeln. Was sollen wir tun? Johannes Paul II. hat nahezu prophetisch gesprochen. Die christozentrische Erneuerung der Kirche – und somit von uns allen – ist notwendig, wahrscheinlich notwendiger, als selbst die Frömmsten unter uns ahnen.
Was Johannes Paul II. sagte, wird auch bestätigt durch eine Meditation von Kardinal Joseph Ratzinger, die er für die Kreuzweg am Kolosseum im Jahr 2005 verfasst hat. Er spricht über den "Schmutz in der Kirche": "Wie oft wird das heilige Sakrament seiner Gegenwart mißbraucht, in welche Leere und Bosheit des Herzens tritt er da oft hinein? Wie oft feiern wir nur uns selbst und nehmen ihn gar nicht wahr? Wie oft wird sein Wort verdreht und mißbraucht? Wie wenig Glaube ist in so vielen Theorien, wie viel leeres Gerede gibt es? Wie viel Schmutz gibt es in der Kirche und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihm ganz zugehören sollten? Wie viel Hochmut und Selbstherrlichkeit? Wie wenig achten wir das Sakrament der Versöhnung, in dem er uns erwartet, um uns von unserem Fall aufzurichten?" Anschließend formulierte Kardinal Ratzinger ein Gebet, das wir heute – gerade in Deutschland – bedenken und sprechcen dürfen: "Herr, oft erscheint uns deine Kirche wie ein sinkendes Boot, das schon voll Wasser gelaufen und ganz und gar leck ist. Und auf deinem Ackerfeld sehen wir mehr Unkraut als Weizen. Das verschmutzte Gewand und Gesicht deiner Kirche erschüttern uns. Aber wir selber sind es doch, die sie verschmutzen. Wir selber verraten dich immer wieder nach allen großen Worten und Gebärden. Erbarme dich deiner Kirche: Auch mitten in ihr fällt Adam immer wieder. Wir ziehen dich mit unserem Fall zu Boden, und Satan lacht, weil er hofft, daß du von diesem Fall nicht wieder aufstehen kannst, daß du in den Fall deiner Kirche hineingezogen selber als Besiegter am Boden bleibst. Und doch wirst du aufstehen. Du bist aufgestanden – auferstanden und du kannst auch uns wieder aufrichten." Kardinal Ratzinger schließt mit einem schönen, ganz kurzen Gebet: "Heile und heilige deine Kirche. Heile und heilige uns." So könnten wir alle heute beten – nicht nur in der Fastenzeit. Beten Sie mit? Ich tue das, auch weil ich an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche glaube und bis ans Ende meiner Tage glauben möchte.
Das könnte Sie auch interessieren:
Das Jahr Johannes Pauls II.: Ein Lehramt, aufmerksam auf die Frauen. https://t.co/BCYi5hGlAt przez @CNAdeutsch
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Autoren wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.