13. April 2020
Können Sie sich noch an den Aschermittwoch 2020 erinnern? Der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Voderholzer hat in seiner Predigt am Ostersonntag ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts angesprochen, das Christen konfessionsübergreifend sprachlos machte. Es war der Tag, an dem "das Verbot organisierter Beihilfe zum Suizid gekippt" wurde, mit dem "Hinweis auf die überragende Bedeutung der Autonomie des Menschen". Am Karfreitag – ein denkwürdiges Datum – erging der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts über das gegenwärtig bestehende Verbot öffentlicher Gottesdienste. Die Richter deuteten zumindest eine öffnende Perspektive an: "Bei jeder Fortschreibung der Verordnung muss mit Blick auf den mit einem Gottesdienstverbot verbundenen überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgen und untersucht werden, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Corona-Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden kann, das Verbot von Gottesdiensten unter – gegebenenfalls strengen – Auflagen und möglicherweise auch regional begrenzt zu lockern."
Christen aller Konfessionen und Andersgläubige werden diese anstehende "strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit" aufmerksam beobachten. Zu diesem Beschluss stellte der Regensburger Bischof fest: "Ich trage diese Entscheidungen mit, weil wir uns gerade auch als Kirche nicht mitverantwortlich machen dürfen für eine Situation, in der unser Gesundheitswesen zusammenbrechen würde. Lässt sich das Bundesverfassungsgericht nicht plötzlich doch auch noch von anderen Gesichtspunkten leiten als nur der Wahrung der grenzenlosen Autonomie des Einzelnen? Und bringt die gegenwärtige Krise die Rechts-Philosophie der grenzenlosen Autonomie nicht doch an ihre Grenzen?"
Woran nehmen wir Christen, wir Katholiken heute Maß? An unseren Wünschen und Vorstellungen? An der scheinbar freien Selbstentfaltung unserer Möglichkeiten? Vieles von dem, was heute auch von Christen als Selbstverwirklichung verstanden, praktiziert und verherrlicht wird, steht im Gegensatz zum Evangelium und zur Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte. Nicht die Strukturen der Kirche sind sündhaft, sondern mitten in der Kirche – Kleriker und Weltchristen – leben wir, also sündige Menschen, die sich von der Botschaft, die zu leben und zu verkündigen sie bestellt sind, inwendig oft längst verabschiedet haben. Manches nehmen wir ernst und genau, anderes nicht – und einiges manchmal, so wie es uns gefällt. Kommen wir in dieser Krise zur Besinnung? Worauf besinnen wir uns? An wem richten wir uns aus? Bischof Voderholzer fragt völlig zu Recht: "Wo haben wir gerade auch als Kirche in einem ekklesiologischen Atheismus allzu sehr Gottes Wort und seine Weisung geringgeachtet?"
Er lädt ein zu einer Erneuerung der Naturrechtslehre. Es gelte, "Schöpfung neu zu denken, die eben nicht weitgehend ein Konstrukt des Menschen, sondern Gabe des Schöpfers ist". Wir sind dazu bestellt, die Schöpfung zu achten, die Familie wertzuschätzen, die Geschlechterdifferenz anzuerkennen und als wertvoll anzunehmen – und nicht künstlich medizinisch in die Fortpflanzung einzugreifen. Voderholzer wirbt für eine "Kultur des Lebens", in der Christen als Schwestern und Brüder im Glauben als "Lobbyisten des Lebens" präsent und sichtbar sind.
Wir sehen so viele Bilder, die uns nur traurig machen. Wir wissen in dieser Stunde um den Einsatz so vieler Menschen für den Nächsten, überall auf der Welt, und wir wissen auch, wie sehr viele Menschen leiden, dass sie ihre geliebten Angehörigen und Nächsten in den Altenheimen und Krankenhäusern nicht besuchen können. Wir halten zurzeit Distanz, in Gehorsam und auch sehr oft mit Verständnis gegenüber den Anordnungen von Staat und Kirche – aus Liebe zum Nächsten. Wir tragen und ertragen das, als Zeugen des Herrn und Boten der Hoffnung. Verstehen Sie das Urteil vom Aschermittwoch? Heute nehmen wir den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Karfreitag sehr ernst und respektieren die Verfügungen – und wir hoffen als ganz normale Katholiken, als einfach gläubige Christen auf eine Rückkehr der katholischen Normalität. Wir glauben nicht an die absolute Autonomie des Menschen, nicht an die postmoderne Beliebigkeit und nicht an die freie Verfügbarkeit über das Geschenk des Lebens, sondern wir glauben an unseren Herrn Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten und gegenwärtig ist im Allerheiligsten Sakrament des Altares. Was können wir heute tun, in Zeiten der Corona-Pandemie? Von Ostern erzählen, beispielsweise, und von Gott.
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