Die Corona-Pandemie veranlaßte besonders die Politiker, alle im Dienst der Gesundheit Stehenden um ihren unermüdlichen Einsatz zu bitten. Die ersten Appelle der geistlichen Hirten setzten gleichfalls ihren Akzent beim Dank an Ärzte und Pflegepersonal und ermahnten zum Einhalten der staatlichen Ordnungsvorschriften. Anspielungen an Glaubenselemente und Gebet waren eher zaghaft. Dann kam die "Heilige Woche", und Prediger wie öffentliche Beter vergaßen nicht, Jesus Christus zu erwähnen – freilich vorwiegend, um dann Leid und Elend in der Welt zu thematisieren. Man besprach und betrachtete Krankheit, Flucht, Krieg, Ausbeutung und Naturzerstörung bei den Menschen. Die Repräsentanten der Kirche blieben im Horizont öffentlicher Meinung und kommentierte überwiegend die Nachrichten aus den Medien.

Zweifelsohne hat das Gleichnis vom "Barmherzigen Samariter" das moderne Denken stärker geprägt als die andern biblischen Weisungen; für  Papst Benedikt ist der Gedanke der Barmherzigkeit sogar ein "Zeichen der Zeit" (Lk 12,54-56), das zu beachten der Herr selbst anmahnt  (Anm. LA STAMPA 16. 3. 2016). Würde freilich die humanitäre Sorge zum Kern christlicher Botschaft gemacht, so wäre sie verfälscht. Die Hinwendung zum Mitmenschen unterschlüge Sünde und Erlösung. Nächstenliebe verkümmerte zur "Philanthropie" – jenem Gutsein, das seit dem römischen Kaiser Julian Apostata das "adäquate Gegenstück zum christlichen Liebesbegriff" ist (Anm. R. Rehn, art. Philanthropie in HWPh VII, 543-552, hier 547). Christlichen Barmherzigkeit beinhaltet mehr als helfende Menschlichkeit – mögen sich auch beide überschneiden. Und wer Jesus Christus als Prototyp des Humanismus in Umlauf bringt, mag zwar heute "en vogue" sein. Doch ist solche Anbiederung nicht von der biblischen Offenbarung gedeckt. Gottes Wort zeigt auf, was bei solchem Manöver alles auf der Strecke bleibt.

Israels Delegation und Untreue  

Für eine der Quellen des Alten Testaments, den Elohisten, wurde Israel aus der damals lebenden Völkervielfalt herausgenommen, um ganz in den Dienst Gottes zu treten. Gott selbst trifft die Wahl: "Jetzt aber, wenn ihr meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein" (Ex 19,5). Der allmächtige Schöpfer hat sich geneigt, Israel als seinen Vertragspartner anzunehmen. "Nur euch habe ich erwählt aus allen Stämmen der Erde" (Am 3,2). Der Schritt, den er tut, gilt aber nicht nur Israel; aus ihm folgt auch Heil und Gericht der Menschheit: "Segnen will ich, die dich segnen, und wer dir flucht, den will ich verfluchen" (Gen 12,3). Israel wird Gottes Delegierter unter den Völkern. Solche Sendung gereicht Israel zu höchstem Ruhm. Dabei bleibt Jahwe selbst der eigentliche Grund, daß dies Volk herausgehoben ist: Seine unvergleichliche Mächtigkeit soll in der Geschichte augenscheinlich werden: "So will ich an Pharao…meine Herrlichkeit erweisen" (Ex 17,14).  Später verkündet Ezechiel, Jahwe enthülle einen Teil seines übernatürlichen Wesens und offenbare seine KABOT, seine Herrlichkeit: Der Prophet schaut sogar den geöffneten Himmel (Ez 1,1ff.). Trotz solch unglaublicher Annäherung bleibt Gottes Volk zu Ehrfrucht und Scheu genötigt. Vor allem aber kann es auf Gottes Schutz und Beistand setzen. So betet der Psalmist: "Um der Ehre deines Namens willen reißt uns heraus und vergibt und unsere Sünden! Warum dürfen die Heiden sagen: ‚Wo ist nun ihr Gott?‘" (Ps 79, 9f.) Oder: "Du wirst dich erheben, dich über Zion erbarmen…Dann fürchten die Völker den Namen des Herrn und alle Könige der Erde seine Herrlichkeit" (Ps 102, 14.16).

Und die Antwort des Volkes auf solch einmalige Gunst? Es verstößt fortlaufend gegen die vertraglichen Abmachungen. Einer der Propheten klagt: "Weh dem sündigen Volk, der schuldbeladenen Generation, der Brut von Verbrechern, den verkommenen Söhnen. Sie haben den Herrn verlassen, den heiligen Israels haben sie verschmäht und ihm den Rücken gekehrt" (Is 1,4). Oder ein anderer: "Weil sie die Weisung des Herrn mißachten und seine Gesetze nicht befolgten, weil sie sich irrführen ließen von ihren Lügengöttern, denen schon ihre Väter gefolgt sind, darum schicke ich Feuer gegen Juda, es frisst Jerusalems Paläste" (Am 2,4). Das Volk ist nicht treu.

Der Heilige selbst heiligt Israel und die Völker

So muß denn Gott selbst sein Volk läutern und die Entlaufenen zu sich zurückführen. Ezechiel verkündet: "Meinen großen, bei den Völkern entweihten Namen, den ihr mitten unter ihnen entweiht habt, werde ich wieder heiligen. Und die Völker – Spruch Gottes des Herrn – werden erkennen, daß ich der Herr bin, wenn ich mich an euch vor ihren Augen als heilig erweise" (Ez 36,23). Oder: "Meinen Namen offenbare ich meinem Volk Israel, ich will meinen heiligen Namen nie mehr entweihen. Dann werden die Völker erkennen, daß ich Herr bin, heilig in Israel" (Ez 39,7). 

Das Motiv Gottes für solche Heiligung Israels ist sehr bedenkenswert. Des Volkes Frevel erzürnen Gott gleichsam nur sekundär. Gravierender ist stattdessen, daß Gottes Name unter den Völkern beschmutzt wird. Er ließ die Ägypter seinen Zorn nicht spüren – nicht um diese zu schonen, sondern um seines eigenen Namens willen: "Ich wollte ihn nicht entweihen vor den Augen der Völker, in deren Mitte Israel lebte" (Ez 20, 9.14.23). Um Gottes willen wirkt er große Taten, durch die das Volk seiner Heiligkeit inne wird: "Wenn das Volk sieht, was meine Hände in seiner Mitte vollbringen, wird es meinen Namen heilighalten. Es wird den Heiligen Jakobs als heilig verehren und erschrecken vor Israels Gott" (Is 29,23). Der Angelpunkt für das Geschickt seines Volkes ist er selbst; es repräsentiert ihn. Er soll als Heiliger erkannt und gesehen werden. Und über Israel hinaus. "Das Volk, das ich mir erschaffen habe, wird meinen Ruhm verkünden" (Jes 43, 21). Das ist Israels Sendung. Verschleudert es aber den wahren Sinn seiner Erwählung, vermindert sich dadurch unter den anderen Völkern Gottes Geltung und Zauber. Für Israel bedroht die eigene Sünde demnach den tiefsten Grund seiner Erwählung, weil die Strahlkraft Gottes selbst unter den Völkern und der Glaube an IHN zerfällt. Sein Name wird vergessen.  

Israel erkannte in seiner Geschichte gegenüber den anderen Stämmen und Ethnien sein spezifisches "Nahverhältnis" zu Gott. Dieser Vorrang gilt zunächst jedoch nur sekundär ihm selbst und ist darum kein Grund, sich über andere Gruppen zu erheben. Dennoch ist es herausgenommen. Es ist ausgezeichnet, ganz im Dienste Gottes zu stehen. An ihm läßt sich somit das Handeln Gottes mit der Menschheit ablesen; es ist Gottes "Paradigmavolk der Weltgeschichte". Jüdische Gelehrte sehen für die Rabbinische Epoche in Israel Gottes Advokat auf Erden. Die Korrelation zwischen Gott und Israel ist gar so eng, daß Kenner urteilen: "Israels Schicksal wurde selbst für das Schicksal Gottes in dieser Welt als entscheidend erachtet. Israel ist der Kooperator Gottes " (Anm. Vgl. auch K. Schubert, Die Religion des Judentums, Leipzig 1992, 57-73).

Gerhard von Rad berührt in seiner großen "Theologie des Alten Testaments" immer wieder diese untrennbare gegenseitige Verwiesenheit Gottes und seines Volkes. Einmal schreibt er:

"Damit, daß Jahwe Israel sammelt und in sein Land zurückbringt, ‚heiligt sich Jahwe vor den Völkern‘ (Ez 20,41) Das ‚Sichheiligen‘ ist also viel mehr als nur etwas Innerliches oder etwas Geistiges; es ist ein Geschehen, das sich in der breitesten politischen Öffentlichkeit ereignen und das von den Völkern dann auch wahrgenommen wird. Jahwe ist es seiner Ehre schuldig…." (Anm. G. von Rad, Theologie des Alten Testaments II, München 1960, 250f.)

Israel ist auserwählt, um Gottes Heiligkeit unter den Völkern sichtbar zu machen. Da es sich oft verfehlt, muß Gott immer wieder korrigierend eingreifen. Er heiligt sich, indem er Israel heiligt. So tritt er in die Geschichte. Die Heiligkeit des auserwählten Volkes soll das Zeichen sein: Gott ist, und er will den Menschen nahe sein. 

Säkularisierung 

Christus, Gottes Sohn, macht im Neuen Bund Gottes Verheißung und die Verpflichtung seines Volkes keineswegs hinfällig. Er bekundet hingegen: Die Geschichte Israels ist nicht ins Leere gestoßen; Jesus von Nazareth ist ihre Erfüllung; sie geht weiter. Gott und seine unvergleichliche Größe haben in Jesus von Nazareth den angemessenen Bundespartner gefunden. Nach Jesu Heilstat kann der Apostel Petrus auf dem Tempelplatz in Jerusalem verkünden, Gottes Bund dauere fort und das Neue Israel sei nun sein Vertragspartner und Repräsentant: "Ihr seid die Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott mit euren Vätern geschlossen hat, als er zu Abraham sagt: Durch deinen Nachkommen sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen" (Apg 3,25). So sind in Christus auch die Seinen künftig Erben von Jahwes Heilsverheißung. Und auch sie haben die vorrangige Pflicht, das Gottes Heiligkeit und das Gedenken an ihn unter den Völkern wach zu halten.

Im 3. Jahrtausend übersteigt das übernommene Gebot offenbar unser aller Kräfte. "Gott-Vergessenheit" kennzeichnet unseren geistigen Horizont. Wohl sichert uns der Apostel Paulus immer noch zu, daß Gottes unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung wahrgenommen werden kann (Röm 1,20). Doch eine neue Weltanschauung verdunkelt solche Zusicherungen heute mehr als je zuvor. Sie prägt die Optik aller, auch die der Christen.  Jeden Menschen verführt sie, sich zu befreien von der "Schaffung der Idee Gottes – dem Produkt der Projektion des Menschengeistes" – so kennzeichnet der Philosoph Augusto Del Noce (+1989) das neue Selbst- und Weltverständnis, das sich "Säkularisierung" nennt (Anm G Marramao, art. Säkularisierung, HWPh VIII, 1133 – 1161, hier 1150).

Dann jedoch hat sich der Christ in unseren Tagen wach und bewußt der alttestamentlichen Offenbarung über Größe und Majestät Gottes zu erinnern, damit sein Gott- und Weltverständnis von der Bibel gedeckt ist. Den ersten Christen, die ja aus dem Judentum kamen, war Gottes Hoheit präsent, eine Binsenweisheit. Aber heute! Gottes alttestamentliches Selbstbild ist wieder zu entdecken. Mit großer Deutlichkeit insistiert ein bedeutender nicht-katholischer Wissenschaftler - erstaunlich, weil es im Protestantismus eine Tradition der ungebührlichen Relativierung des Alten Testaments gibt - wörtlich: "Für uns alle als christliche Lehrer und Verkündiger bedeutet das, dass wir das Alte Testament unaufhörlich durchforschen und kirchlich lebendig machen müssen, um Jesus und das Evangelium selbst zu verstehen und andern verständlich zu machen." Nur in Beachtung des alttestamentlichen Gotteswortes könne der heutige Mensch erkennen, "wir schulden uns Gott ganz und gar, werden dieser Verpflichtung aber in keiner Weise gerecht" (Anm. P. Stuhlmacher, in P. Kuhn ((Hg.)) Gespräch über Jesus, Tübingen 2010, 102f.).    

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Jesus – "ganz" mit Gott

Lassen wir uns vom Alten Testament so das Licht für die Begegnung mit dem Neuen geben, enthüllt auch das Neu Gottes Rang und Größe. Als die Jünger von Jesus beten lernen wollen, lehrt er sie als erstes die Bitte an den Vater, sein Name solle geheiligt werden (cf. Lk 11,2). Er macht wohl eine Anleihe an das jüdische Kaddisch-Gebet; dies war vor allem im Gottesdienst der Synagoge üblich und ihm seit Nazareth vertraut. Jahwes alttestamentliche Majestät wird gegenwärtig, wenn es mit den Worten beginnt: "Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt, die nach seinem Willen erschaffen wurde." Verherrlicht wird Gott, wenn seine "Heiligkeit" sichtbar und bestimmend wird. Jesus möchte des Vaters "Gott-Sein" fördern. Er verbindet die Hoheitsworte mit der vertrauensvollen Anrede ABBA, die neutestamentliche Nähe einbringt.  Dabei beinhaltet die Bitte, daß Gott selbst solche Heiligung bewirke; die grammatikalische Form ist das sog. "passivum divinum" - eine Umschreibung dafür, daß Gott selbst am Werk ist. Wohl mag auch das Geschöpf Gottes durch die Gebotserfüllung zu Gottes Achtung beitragen, doch überragt Gottes Heiligkeit und Ansehen alle menschlich erreichbaren Dimensionen.

Wie ein Echo auf die genannte Vater-unser-Bitte ist der Vaters Ausspruch im Johannesevangelium: "Ich habe ihn (meinen Namen) schon verherrlicht und werde ihn weiter verherrlichen" (Joh 12,28). Der Evangelist weist ihn einer "Stimme vom Himmel" zu. Des Vaters Herrlichkeit, die tiefste Sehnsucht Jesu, wird diesem in einer unmittelbaren Gottesoffenbarung zugesichert. Klarer kann das Ziel aller Offenbarung, Gottes Herrlichkeit, wohl nicht ins Wort gebracht werden als durch solche Gebets-Korrelation. Sie bekundet zugleich den inneren, unlösbaren Nexus zwischen Vater und Sohn. "Das Verhältnis Jesu zum Vater verträgt keine Gottes Transzendenz sichernde Entfernung", so der hoch geachtete Exeget Rudolf Schnackenburg zu dieser Stelle (Anm. R. Schnackenburg, Das Johannes Evangelium II, Freiburg 1971,487).

a) Gesandt im Namen des Vaters

Wenn heute von Religionen die Rede ist, wissen wir große Stifter und Menschheitslehrer zu nennen – etwa Zarathustra, Buddha, Laotse oder Mohammed. Sie verbreiteten Regeln, wie der Weg der Wahrhaftigkeit zu finden sei; hinterließen eher philosophische Grundsätze über die Kraft der Reinheit und der Vollkommenheit menschlichen Geistes. Unter ihnen kennt der Gründer des Islam auch den höchsten Herrscher "Allah", doch der Name "Vater" findet sich nicht unter den ihm zugesprochenen 99 Namen. Bei Christen wird Jesus Christus hingegen im "Credo" bekannt als der "eingeborene Sohn Gottes, aus dem Vater geboren vor aller Zeit". Er ist demnach in genannte Reihe der Religionsstifter nicht integrierbar – jedenfalls nicht, wenn wir uns von den ersten Christen und der katholischen Kirche leiten lassen. Man muß sogar sagen: "Das Verhältnis Jesu zum Vater verträgt keine Gottes Transzendenz sichernde Entfernung"; so der Kenner des Johannes-Evangeliums, Rudolf Schnackenburg.

Was lernen die Christen näherhin aus seiner Sendung (Anm. Vgl. zum folgenden H.U. von Balthasar, Mytserium Pachale, in J. Feier/M. Löhrer, Hg. Mysterium Salutis, III/a, Einsiedeln 1969, 133 – 326, hier 269ff.)? Jesu Heilswerk für uns gründet im Vater. Mochte man im flehendlichen Gebet des Sohnes am Ölberg und in seiner Gottverlassenheit am Kreuz noch eine Spannung zwischen väterlichem und jesuanischem Willen vermuten, so wird sie im Gehorsam des Sohnes zum gemeinsamen Fundament beider für unsere Erlösung. Überhaupt darf der Vater als Träger unserer Rettung nicht übersehen werden. Er ist es, der "seinen eigenen Sohn nicht verschont , sondern ihn für alle dahingegeben hat" (Röm 8,32). Er war es auch, der Jesus "von den Toten erweckt hat" (Apg 3,15 u. ä.) und zwar war es des Vaters "Herrlichkeit", die ihn auferweckte (Röm 6,4). Die alttestamentliche DOXA realisiert sich nun definitiv.  Das Attribut, "der Jesus von den Toten auferweckt hat" (Röm 8,11; 2 Kor 4,14; Gal 1,1) wird gleichsam zu "Gottes Ehrenname" (H.U. von Balthasar). In dieser Weise ist es der Vater, der den Sohn vor der Welt verherrlicht; er bestätigt ihn und inthronisiert ihn zum Pantokrator. Der Vater selbst tut in solchem Handeln die letzte Rechtfertigung für die Wahrheit seiner Offenbarung und für die Wahrheit von Jesu Leben kund. Er führt den Prozess fort, den die Welt nur scheinbar gegen sein Wort gewonnen hat, den sie dann jedoch in Christi Sieg endgültig verliert. "Da der Sohn das Wort des Vaters ist, zeigt der Vater, indem er den Sohn als den gerechtfertigten, verherrlichten erscheinen läßt, sich selbst. Die Erscheinungen des Auferstandenen sind Selbstdarbietungen Gottes durch ihn" (ebd. 273). 

Und der Sohn: Er hat in göttlicher Souveränität das "Leben in sich selbst" (Joh 5,26), weil er Vater es ihm gegeben hat. Das Trinitätsgeheimnis offenbart sich, da die Person des Sohnes die in ihm erscheinende Person des Vaters kundtut. Sein Verzicht auf die "Gottesgestalt" und die Annahme der "Knechtsgestalt" (Phil 2,6ff.) bringen keine Selbstentfremdung in das dreieinige Leben Gottes; er offenbart sich darin paradoxer Weise als Gott. Der Evangelist Johannes vermag beides – "Kreuzigung" und "Verherrlichung" (Joh 12,28.32) – zusammenzudenken, ohne Raum für den Widerspruch unseres natürlichen Denkens zu lassen. "Auf die Macht des Vaters hin, die eins ist mit dessen Sendung, läßt sich der Sohn in die äußerste Schwäche herab; dieser Gehorsam ist aber so sehr Liebe zum Vater und darin so sehr eins mit der Liebe des Vaters, daß der Sendende und der Gehorchende aus der gleichen göttlichen Liebefreiheit heraus handeln" (ebd. 274).

Wer unsere Erlösung nimmt, wie sie die Hl. Schrift überliefert, kann nicht vom Vater absehen. Jesus ist ohne den Vater nicht zu haben. Wer den Vater nicht mitdenkt und nicht mitbenennt, verzweckt den Jesus von Nazareth für die eigenen Interessen. Noch im honorigsten Fall wird Gottes Sohn zum "Boten der Nächstenliebe", zu einem der großen Menschenfreunde der Geschichte. Doch würde ein solcher Philanthrop das Gebot der Gottesliebe durch das der Nächstenliebe ersetzen; er machte aus dem "Zweiten" der "Erste" (Lk 10, 25-28).  

b) Im Vater gründend

Nach den neutestamentlichen Schriften ist Jesus Christus nicht nur der Gesandte des himmlischen Vaters. Er weiß in ihm auch seinen Ursprung und den bleibenden Halt. Schon die Wortstatistik ist überwältigend. Joachim Jeremias hat sie untersucht und gewertet: in den Evangelien benennt Jesus selbst ca. 140 Mal Gott den "Vater" (Anm. J. Jeremias, ABBA. Studien zur neutestamentlichen Theologie, Göttingen 1966,46).   Die früheste und die letzte Äußerung aus seinem Mund betreffen den Vater: "Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört" (Lk 2,49)? Und: "Vater, in deine Hänge lege ich meinen Geist" (Lk 23,46).  Ebenso sprechen die wenigen Hinweise, die der Vater in diesen heiligen Büchern gibt, vom Sohn: bei Jesu Taufe (Mk 1,11), bei der Verklärung (Mt 17,4) und in seiner letzten öffentlichen Rede (Joh 12,28). In der Bergpredigt ist der Bezugspunkt seiner Lehre immer wieder der Vater: zur Nächstenliebe, zum Almosen, dem Fasten und der Zuversicht. Die Wunder-Taten, mit denen er den Glauben an seine Sendung stiften will, lassen seine fortdauernde Nähe zum Vater erkennen:  sein Seufzen (Mk 7,35) und sein Aufblicken zum Himmel (Mk 6,41) oder wenn er sich ausdrücklich auf den "Finger Gottes" beruft (Lk 11,20). Nicht zusetzt: die Nächte im Gebet zum Vater (Lk 6,12 und zahlreiche andere).

Das vierte Evangelium zeigt, daß Jesu trinitarische Herkunft zugleich seine messianische Sendung ausmacht: Johannes legt einen bei ihn einzigartigen Begriff Jesus in den Mund: HORA, die "Stunde". Sie ist die von Vater gesetzte Zeit ihres total synchronischen Handelns, in die Jesus mit der Bitte eintritt: "Vater, verherrliche deinen Namen" (Joh 12,28).  Auch an vielen andern Stellen kreist dies Evangelium um Jahwes alttestamentliche Würde und Glanz, die KABOT, Gottes DOXA.  Und es ist Jesus, der diese endgültige Herrlichkeit Gottes offenbart (Joh 11,40). Darum können die Glaubenden die "Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater" in Jesu Wirken sehen (Joh 1,14). Beim Streitgespräch will der Sohn die Juden überzeugen, daß er ganz der Ehre des Vaters lebt: "Er hat mich nicht allein gelassen, weil ich immer das tue, was ihm gefällt" (Joh 8,29); er steht für diesen Auftrag ein, obgleich er für ihn lebensbedrohlich ist: "Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werden. Er aber verbarg sich und verließ den Tempel" (Joh 8,59). Sein Sein und Wirken richtet sich mit allen Kräften auf Gottes Verherrlichung, in die er selbst eingebunden ist: "Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht" (Joh 13,31).  Ja, er darf selbst seine eigene Verherrlichung durch den Vater erwarten: "Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen, und er wird ihn bald verherrlichen" (Joh 13,32). Im Rückblick galt das ganze Werk des Sohnes eben dieser Verherrlichung des Vaters: "Ich habe dich auf der Erde verherrlicht" (Joh 17,4). Er nimm sie auch für sich in Anspruch: "Verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war" (Joh 17,5). Als der Promotor der Ehre, die Gott zukommt, gedenkt er jedoch auch der Seinen: "Alles, um was ihr in meinen Namen bittet, werde ich euch tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird" (Joh 14,13). Denn auch die Jünger sind einbezogen: "Mein Vater wird dadurch verherrlicht, daß ihr reiche Frucht bringt" (Joh 15,8). Das Hohepriesterliche Gebet (Joh 17,1ff.) läßt später die Dimension dieser Wahrheit erahnen: daß wir die Verherrlichung, die gewiß der Person Jesu Christi gilt, auch unseretwegen nicht vergessen dürfen. 

Die Werte auf dem Rücken

Max Scheler (+ 1928) war ein wichtiger Philosoph, dem auch der Priester Karol Wojtyla intensive Studien widmete. In seiner Auseinandersetzung mit Kants Wertevorstellung sprach der Deutsche von den "Werten auf dem Rücken", d. h. von solchen Werten, die der Mensch bei seinem Handeln nicht intendiert, die sich aber sekundär bei der guten Tat realisieren. Diese seine Überlegungen zur Ethik enthalten auch einen pastoralen Fingerzeig, der gerade in unsern Tagen Beachtung erheischt: Sein und Handeln des Gottessohnes haben ihren primären und vollen Sinn in des Vaters und in Jesu Verherrlichung. Jesus und wir Christen stehen unter dem alttestamentlichen Grundauftrag: die Advokaten für Gottes Glorie in der Gesellschaft zu sein. Niemand wird selbstredend Eigengewicht und Eigenwert von Schöpfung und Geschöpfen bestreiten. Auch gilt es, wie das "Herrengebet" zeigt, Gott unsere menschlich-irdischen Sorgen und Nöte vorzutragen und in Angriff zu nehmen. Doch darf bei allen irdischen Interessen der erörterte, fundamentale Auftrag der Heilsgeschichte nicht in den Wind geschlagen werden. Gerade die Kirche muß sich ihn in ihrem Drang irdischen Bodengewinns vor Augen halten: Dadurch daß Gottes Ruhm und Anerkennung vorrangig und ungeschmälert angestrebt wird, wirkt unser Dienst das Heil der Menschheit. Setzten wir bei unserer Sendung jedoch zuerst auf "Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung", so wird Gottes Offenbarung entstellt und die moderne "Gott-Vergessenheit" gefördert.                             

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