25. Dezember 2024
Am Heiligen Abend versammeln sich Familien auf der ganzen Welt – in festlich geschmückten, prächtigen Häusern, in liebevoll dekorierten Wohnungen, in den Armutsvierteln und in den vielen Kriegsgebieten, in Obdachlosenunterkünften, Waisen- und Krankenhäusern, in Pflegeheimen und Hospizen.
Menschen tun einander Gutes, schenken sich Kleinigkeiten und singen altvertraute Lieder. Wir stimmen „O du fröhliche“ an, auch wenn uns vielleicht gar nicht fröhlich zumute ist, doch wir hoffen auf den Segen der Weihnachtsfreude, auf die liebende Nähe Gottes, der Obdach unter uns Menschen sucht und finden möchte. In den Sinn kommen uns vielleicht auch in Trennung lebende oder voneinander entfremdete Paare, zerrissene Familien, Kinder, die die Scheidung ihrer Eltern aushalten müssen. Wie erleben sie Weihnachten? Wie geborsten scheint zuweilen der Kosmos der einst glücklichen Familie zu sein. Auf wechselvollen Pfaden nähern wir uns alle der Krippe an, schauen auf die Heilige Familie, auf die Hirten, auf die Schafe, auf Ochs und Esel und richten dankbar den Blick nach droben, weil wir doch keinem anderen Stern folgen wollen als dem Stern von Bethlehem.
Bethlehem – auf Hebräisch heißt das „Haus des Brotes“, nicht theologisch interpretiert, sondern schlicht übersetzt. Gläubige Katholiken verbinden dies sogleich mit der Feier der Eucharistie, doch Christenmenschen aller Konfessionen sehnen sich in dieser Heiligen Nacht und nicht nur am Weihnachtsfest nach Brot.
Arme Mitmenschen bedürfen ganz konkret dieses Brotes, um sich zu nähren, um die darbende Familie durch den Winter zu bringen, um ihre karge Existenz zu fristen. Vereinsamte sehnen sich nach dem Brot der Freundschaft und Gemeinschaft, vielleicht nach einer Partnerschaft, ja nach einem Bund fürs Leben, der sich am tristen Horizont nicht abzeichnet. Auch sie folgen dem Stern nach Bethlehem. Menschen in Kriegsgebieten, ob im Heiligen Land, in der Ukraine oder anderswo, sehnen sich nach dem Brot des Friedens, nach einem Schweigen der Waffen, nach der Freilassung ihrer Angehörigen, nach der Heimkehr der Verwandten und Freunde von den Fronten. Kranke Mitmenschen sehnen sich nach dem Brot des Mitgefühls und der liebevollen Zuwendung. Sie verbringen ihre Tage zu Bett oder in Spitälern, leiden Schmerzen und hoffen auf Besserung ihrer Beschwerden, zumindest auf eine Linderung ihrer Leiden. Sehnsüchtig hoffen sie auf Besuch, auf liebe Mitmenschen, die mit ihnen Zeit verbringen, auch wenn niemand ihnen nehmen kann, woran sie leiden. Wir alle sehnen uns nach dem Brot der Güte, befremdet von Zwist, Streitigkeiten und Entzweiung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, verstimmt über den kalten Zynismus und den rabiaten Tonfall, der Einzug gehalten hat in die Parlamente, in die Medien, in Firmen und Betriebe, in den Alltag, ja selbst in die Kirche.
Die vergiftete Ironie und kalte Gehässigkeit, die uns überall begegnen, machen nur traurig. Wohin sollen wir gehen? Wir folgen einfach dem Stern, der uns zur Krippe führt, alle Jahre wieder, wenn wir das Hochfest der Geburt unseres Herrn und Erlösers feiern. Darum gehen wir nach Bethlehem, in der Hoffnung auf den Erlöser, der, wie der heilige Johannes Paul II. in der Homilie der letzten Christmette seines Lebens – vor genau zwanzig Jahren – sagte, „auf die Erde gekommen ist, um der Welt das Leben zu geben“. Der schwerkranke Papst hielt damals eine sehr kurze Ansprache und sprach liebevoll über das „zarte, wehrlose Kind in der Krippe“, das wir bekennen „als unseren einzigen Gott“: „In dieser Nacht wurdest du, unser Göttlicher Erlöser, geboren, und für uns Wanderer auf den Pfaden der Zeit hast du dich zur Speise des ewigen Lebens gemacht. Denk an uns, ewiger Sohn Gottes, der du im jungfräulichen Schoß Marias Fleisch geworden bist. Deiner bedarf die ganze Menschheit, die von so vielen Prüfungen und Schwierigkeiten gezeichnet ist.“
Ja, die ganze Welt, die Kirche Gottes, unsere Familien, wir alle bedürfen des Kindes in der Krippe so sehr. Wir bedürfen der Liebe Gottes, um einander auf rechte Weise lieben zu können. Wir bedürfen der Vergebung Gottes, so dass auch wir uns untereinander und mit ihm versöhnen. Wir bedürfen der Einsicht in den Willen Gottes, die am Hochfest wahrhaft kinderleicht ist: Der Schöpfer der Welt liegt in einer Krippe und wirbt, ja bettelt um unsere Liebe. Warum tun wir uns so schwer damit?
„Ach könnte nur dein Herz zu einer Krippe werden“, so dichtete der Mystiker Angelus Silesius, „Gott würde noch einmal ein Kind auf dieser Erde“. Mit „Herz“ ist, ganz biblisch, die menschliche Person gemeint, also das geliebte Geschöpf Gottes, ganz und gar, mit Verstand und Gefühl. Wir sollen zu dieser Krippe werden, damit Gott Mensch werden kann in uns. Er möchte unter uns, in uns wohnen, ganz mit uns verbunden sein. So gehen wir zu den Krippen in unseren Kirchen und Familien, schauen das Jesuskind an und lernen hoffentlich neu mit Kinderaugen einander und die Welt zu sehen. Wir gehen nach Bethlehem, zum „Haus des Brotes“, pilgern zur Krippe und beten mit Johannes Paul II.: „Bleibe bei uns, du lebendiges Brot, das zu unserem Heil vom Himmel herabgekommen ist! Bleib immer bei uns. Amen!“
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