10. Mai 2025
Über den „inneren Menschen“ denkt Johannes Paul II. in der Katechese vom 3. Dezember 1980 (veröffentlicht in L’Osservatore Romano 80/50) nach. Die Dimension des Inneren ist in einer auf Äußerlichkeiten fixierten Welt verloren gegangen. Christus richtet sich stets an das Herz, also an den „inneren Menschen“: „Der innere Mensch ist das eigentliche Subjekt für das Ethos des Leibes, und mit dieser Wahrheit will Christus das Bewusstsein und den Willen seiner Zuhörer und Jünger prägen. Es geht zweifellos um ein neues Ethos.“
Dieses Ethos tritt somit aus der Spannweite der verengten Sicht auf Triebbestimmtheit, Begierde und Lüsternheit heraus. Johannes Paul II. bezeichnet es als „‚Ethos der Erlösung‘ oder genauer ‚Ethos der Erlösung des Leibes‘“. Wir sehen auch hier deutlich, dass der christliche Glaube nichts gemein hat mit einer Seelenlehre, die die Unsterblichkeit geistiger Wesenheiten annimmt, sondern dass das Bekenntnis zur Auferstehung des Leibes abgelegt wird, „das Streben nach der ‚Erlösung des Leibes‘, die sich als Ziel, als eschatologische und reife Frucht des Mysteriums der von Christus vollbrachten Erlösung des Menschen und der Welt darbietet“. Das Evangelium, die Lehre und Sendung Christi spreche von der „Erlösung des Leibes“ – und von dort her sei auch die „Gesamtheit der Lehre Christi über Fragen der Ehe, des Mannes und der Frau und ihrer Beziehung zueinander“ zu verstehen.
Christus rufe den Menschen dazu auf, aufgrund der ewigen, „unzerstörbaren Werte alles dessen, was menschlich ist“, die „lebendigen Formen des ‚neuen Menschen‘“, Gottes gute Schöpfung wiederzufinden: „Auf diese Weise entsteht eine Verbindung, ja eine Kontinuität zwischen dem ‚Anfang‘ und der Sicht der Erlösung. Im Ethos der Erlösung des Leibes soll das ursprüngliche Ethos der Schöpfung neu verwirklicht werden. Christus ändert das Gesetz nicht, er bekräftigt vielmehr das Gebot: ‚Du sollst nicht die Ehe brechen‘; gleichzeitig aber lenkt er Verstand und Herz der Zuhörer auf jene von Gott, dem Schöpfer und Gesetzgeber, gewollte ‚Fülle der Gerechtigkeit‘, die dieses Gebot in sich schließt.“
Durch die „innere Schau des Herzens“ und ein entsprechendes Leben und Verhalten werde diese Fülle zurückgewonnen: „Der ‚neue Mensch‘ kann aus diesem Sein und Handeln in dem Maß entstehen, wie das Ethos des erlösten Leibes die Begierde des Fleisches und den ganzen Menschen in seiner Begehrlichkeit beherrscht.“
Weder die stoische Entsagung noch andere Philosophien, sondern eine bewusste Annahme des Leibes wird gewünscht, die getragen ist vom liebenden Blick, der inwendigen Verbindung von Mann und Frau, die aus dem Inneren erwächst: „Im Ethos der Erlösung wird die Gebundenheit an jenen Wert durch einen Akt der Beherrschung mit einer noch tieferen Kraft und Festigkeit bestärkt bzw. wiederhergestellt. Es geht hier um den Wert der bräutlichen Bedeutung des Leibes, um ein erhellendes Zeichen. Durch dieses hat der Schöpfer – zusammen mit der ewigen gegenseitigen Anziehung von Mann und Frau kraft ihres Mann- bzw. Frauseins – in das Herz beider das Geschenk der Gemeinschaft geschrieben, also die geheimnisvolle Wirklichkeit ihrer Ebenbildlichkeit und Ähnlichkeit mit Gott.“
Der Mensch zeige, dass er das „wesenhaft Personale vollziehen“ könne und wachse hinein in die „Freiheit der Hingabe“: „So verwirklicht sich also das Ethos der Erlösung des Leibes durch die Selbstbeherrschung, durch die Zügelung der Begierden, wenn das menschliche Herz dieses Ethos bejaht oder es vielmehr durch sein unverkürztes Personsein bestätigt: wenn sich die tiefsten und trotzdem realsten Möglichkeiten und Anlagen der Person offenbaren, wenn ihre tiefsten Schichten nach oben kommen, denen die Begehrlichkeit des Fleisches dies sozusagen nicht gestatten möchte. […] Das Ethos der Erlösung hingegen gründet sich auf die Bejahung jener Schichten.“
Das „Herz“ des Menschen sei „identisch mit dem Personsein des Menschen“: „Der Hinweis auf die Reinheit des Herzens, wie er in der Bergpredigt Ausdruck findet, ist jedenfalls eine Erinnerung an die ursprüngliche Einsamkeit, aus der der Mann durch sein Offenwerden für das andere menschliche Wesen, die Frau, befreit wurde. Die Reinheit des Herzens erklärt sich letzten Endes durch den Bezug zum anderen Subjekt, das ursprünglich und ewig mitberufen wurde.“
Johannes Paul II. nennt Reinheit eine „Forderung der Liebe“, die unauflöslich mit dem Sakrament der Ehe verbunden ist – und wer für diese Ehe reif ist, wird die Verbindung der Liebenden, von Mann und Frau, sich sehnlich wünschen, in der Reinheit, die „Ausdruck der inneren Wahrhaftigkeit im Herzen des Menschen“ ist. Wer dies weiß, weiß zugleich, dass an Gottes Segen alles gelegen ist.
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