17. September 2018
Die letzte Nacht war eine absolute Horrornacht. Die Kleine hat nur geschrien und wollte sich kaum beruhigen lassen. Fieber, Zähnchen und Ohrenreiben zeigten uns, dass es ihr wirklich nicht gut geht, sodass wir ihr ein Schmerzzäpfchen gegeben haben. Heute Morgen bin ich dann direkt mit ihr zum Kinderarzt gegangen, der eine Mittelohrentzündung sowie eine Halsentzündung diagnostiziert hat. Alles viral, daher helfen leider keine Antibiotika, aber wir haben gute Schmerzmittel verschrieben bekommen.
Ich würde mich nicht als zimperlich beschreiben, aber das Schreien meiner Tochter heute Nacht hat mir wirklich zugesetzt und im Herzen weh getan. Besonders weil man mit Babys noch nicht sprechen kann, keine Fernsehserien oder Schokobrötchen als Seelentröster anbieten kann, sondern rudimentär auf die Schmerzbeseitigung angewiesen ist. Und wenn selbst Kuscheln nicht hilft, ist man als Eltern auch irgendwann wirklich ratlos.
Im Wartezimmer saßen außer mir noch weitere Mütter mit ihren Kindern, die zum Teil einen recht rauen Umgangston mit den Arzthelferinnen pflegten, da es ihnen nicht schnell genug ging. Mütter von spielenden Kindern, denen es offenkundig nicht so schlecht gehen konnte, dass es etwas ausmachte, zu warten. Das bekamen sie auch von den Helferinnen zu hören und sie setzten sich wieder schimpfend auf ihre Plätze.
Nach dem Arztbesuch bin ich mit ihr noch im Kinderwagen durch den Ort geschlendert. Ich konnte übermüdet frische Luft gebrauchen, besonders nach der aufgeheizten Stimmung im Wartezimmer und sie konnte den fehlenden Schlaf der Nacht nachholen. "Welch ein Luxus!", überlegte ich mir derweil. Ich konnte ihr bereits in der Nacht ein Zäpfchen geben und heute Früh sofort zum Arzt. Wie viele Eltern gibt es auf der Welt, die all das nicht tun können. Die hilflos zusehen müssen, wie ihre Kinder leiden, vielleicht sogar noch viel Schlimmeres haben als eine Mittelohrentzündung, die wenig bedrohlich, sondern hauptsächlich schmerzhaft ist. Eltern, die keinen Kinderarzt und keine Medikamente bezahlen können. Im krassen Kontrast zu diesen Gedanken, standen nun die Beschwerden der Mütter im Wartezimmer.
Da ich übernächtigt eh schon zart besaitet bin, geben mir diese Gedanken nun den Rest. Gerade jetzt zu Erntedank, rückt das Bewusstsein für unseren Wohlstand in Deutschland wieder in die Köpfe der Menschen, aber was dieser Wohlstand allumfassend eigentlich bedeutet, wird mir nach solchen Nächten wie unsere Letzte erst richtig deutlich. Auch in Deutschland gibt es Armut, Missstände und Perspektivlosigkeit, aber existentiell bedroht ist hier niemand. Wir haben außerdem freien Zugang zur medizinischen Versorgung. Das ist eine deutsche Besonderheit. Schaut man in die USA oder andere Europäische Staaten, kann ich nicht einfach so mit meinem Versichertenkärtchen mit meiner Tochter zum Kinderarzt. Da bekommt derjenige medizinische Versorgung, der das Geld auf den Tisch legt und dann überlegt man sich vielleicht zwei Mal, ob es wirklich so schlimm ist, dass man einen Arzt aufsuchen muss.
In einigen Fällen mag es vernünftig sein, noch einmal zu überdenken, ob man wirklich ein Notfall ist oder ob man sich nicht erst einmal aus der Hausapotheke bedienen kann. Wer aber einmal ein fieberndes Baby hat schreien hören, der wird verstehen, dass sich viele Eltern wünschen würden, dass ein Arzt sie beruhigt oder eben Medikamente verschreibt.
Medizinische Versorgung, besonders von Kindern, sollte überall selbstverständlich sein. Vor allem aber sollten wir hier in Deutschland dankbar sein und Demut zeigen vor dem Luxus, den wir hier erleben dürfen. Ein Arzt, der uns immer und zu jeder Zeit zur Verfügung steht, ist keine Selbstverständlichkeit.
Das Blog "Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter" mit Elisabeth Illig erscheint jeden Montag bei CNA Deutsch. Alle bisherigen Blogposts finden Sie hier im Überblick.
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— CNA Deutsch (@CNAdeutsch) September 10, 2018
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