2. März 2019
Wie denken Sie über Pius XII.? Was halten Sie von ihm? Der große deutsche Schriftsteller Thomas Mann etwa verehrte den Papst sehr. Er bat inständig um eine Privataudienz. Doch die Kammerherren Seiner Heiligkeit hegten Vorbehalte, nicht weil er Protestant war, sondern weil er unter dem Verdacht stand, mit den Kommunisten zu sympathisieren. So wiesen sie ihn zunächst ab. Der Romancier gab nicht auf, erneuerte seinen Wunsch, und der Papst entsprach der Bitte. Am 29. April 1953 begegnete Thomas Mann dem Heiligen Vater. Im Tagebuch notierte zwei Tage später:
"Am Mittwoch, den 29. April Spezial-Audienz bei Pius XII, rührendstes und stärkstes Erlebnis, das seltsam tief in mir fortwirkt. … Die weiße Gestalt des Papstes vor mich tretend. Bewegte Kniebeugung und Dank für die Gnade. Hielt lange meine Hand."
Der skeptische Lutheraner Mann küsste, als er sich verabschiedete, mit großer innerer Bewegung, den Ring des Fischers. Kann uns Thomas Manns Haltung ein Beispiel und Vorbild sein? Wie stehen wir, Sie und ich, heute eigentlich zu Pius XII.?
Am 2. März 1939 – vor achtzig Jahren – wurde Kardinal Eugenio Pacelli zum Papst gewählt. Leidenschaftlich warb er für den Frieden. 40 Enzykliken veröffentlichte er, die noch heute – von "Mystici corporis Christi" über "Divino afflante Spiritu" bis hin zu "Humani generis" – einsichtige Leser verdienen, vielleicht heute mehr denn je.
Am 1. November 1950 verkündete der Papst das Dogma der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel. Er hatte sich zuvor mit den Bischöfen aus aller Welt eingehend beraten. Nur 22 von 1181 Bischöfen hegten Vorbehalte. "In der Autorität unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und auch kraft Unserer eigenen verkündigen, erklären und definieren Wir: Es ist ein von Gott geoffenbartes Dogma, dass die immerwährende Jungfrau Maria, die makellose Gottesgebärerin, als sie den Lauf des irdischen Lebens vollendete, mit Leib und Seele zur himmlischen Glorie aufgenommen wurde."
Jedes Jahr am 15. August feiern gläubige Katholiken dankbar das Hochfest Mariä Himmelfahrt. Persönlich begegnete der Pius XII. interessiert und herzlich vielen Gläubigen bei Audienzen. Er war interessiert, stellte Fragen, hörte zu. Zu dem Stellvertreter Christi auf Erden sahen viele Menschen auf, gerade in den Wirrnissen der Zeit, im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Besonders Kinder und Jugendliche in aller Welt liebten den Papst. Er war ihr großes Vorbild. Kostbare Andachtsbilder, die Pius XII. zeigen, ein wertvolles Geschenk zur Erstkommunion, halten noch heute viele Gläubige in Ehren. Erinnert sei etwa an den Hymnus auf die heilige Eucharistie in der Enzyklika "Mediator Dei":
"Ruft, mit einem Wort, alle Menschen jeden Standes und drängt sie, herbeizukommen, denn dies ist das Brot des Lebens, dessen alle bedürfen. Die Kirche Jesu Christi besitzt nur dieses eine Brot, um damit das Sehnen und Wünschen unserer Herzen zu stillen, sie aufs engste mit Jesus Christus zu verbinden, damit sie schließlich ein Leib werden und damit untereinander, Brüdern gleich, alle jene vereint seien, die an der gleichen Tafel sich einfinden, um im Brechen des einen Brotes das Heilmittel zur Unsterblichkeit zu empfangen."
Niemand anders als Pius XII. wird häufiger in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils zitiert. Sein Nachfolger auf dem Stuhl Petri, Kardinal Angelo Giuseppe Roncalli, hielt am 11. Oktober 1958 im Markusdom in Venedig eine Gedächtnisansprache:
"Immer wieder erfasst Trauer meinen Sinn. Die ganze Welt ist vom Tode des Papstes bewegt und findet sich, wie die Jünger beim letzten Abschied, auf dem Gipfel des Ölbergs versammelt, um gleichsam seiner Himmelfahrt mit den Augen und dem Herzen zu folgen … Sit super nos semper benedictio tua – dein Segen sei allezeit über uns."
Dieser Papst war ein großer Freund der Deutschen und gerade darum Hitlers Feind. Pater Peter Gumpel SJ, Kirchenhistoriker und Relator der Seligsprechungsprozesses, erklärte in einem Interview bereits 2000: "Als Pacelli zum Papst gewählt war, sah die »Berliner Morgenpost«, das Organ der nationalsozialistischen Bewegung, in ihm einen Feind Deutschlands. Seine Abneigung für den Nationalsozialismus war so gut bekannt, dass die Wochenschrift der Kommunistischen Internationalen, »La Correspondance Internationale« schrieb, »dass die Kardinäle, indem sie Pacelli in die Nachfolge beriefen, eine demonstrative Geste setzten.
Denn Pacelli war derjenige, der energischen Widerstand gegen die totalitären, auf die Beseitigung der katholischen Kirche gerichteten Ideen der Faschisten an den Tag legte und der Pius XI. engster Mitarbeiter war. Damit setzten sie einen Vertreter der katholischen Widerstandsbewegung als Haupt der Kirche ein.« Ganz zu schweigen von der gegen die Nationalsozialisten geschriebenen Enzyklika »Mit brennender Sorge«. Es genügt, die Entwürfe zu lesen, nicht nur um zu bekräftigen, dass Pacelli einer der Autoren war, sondern auch (um festzustellen) dass der Originaltext Hinzufügungen in seiner eigenen Handschrift enthält." Wie niemand sonst wirkte Pius XII. an der Rettung der Juden vor den Schergen der Nationalsozialisten in Rom mit. Wiederholt wies die "New York Times" auf seine bedächtig gewählten, aber unmissverständlichen Worte hin:
"Die Stimme von Pius XII. ist eine einsame Stimme im Schweigen und in der Dunkelheit, welche Europa an dieser Weihnacht umfangen hält. Erist so ziemlich der einzige Regierende auf dem europäischen Kontinent, der es überhaupt wagt, seine Stimme zu erheben. […] Indem er eine 'wirklich neue Ordnung' forderte, stellte sich der Papst dem Hitlerismus in die Quere. Er ließ keinen Zweifel daran, dass die Ziele der Nazis mit seiner Auffassung vom Frieden Christi unvereinbar sind."
Die israelische Außenministerin Golda Meir würdigte ihn nach seinem Tod klar und unmissverständlich: "Wir trauern. Wir haben einen Diener des Friedens verloren. Die Stimme des Papstes war während der Nazizeit klar, und sie verteidigte die Opfer." Warum etwa nur wurde dieser ehrwürdige Diener Gottes feindselig und polemisch von John Cornwall bezichtigt, "Hitlers Papst" gewesen zu sein? Wir müssen das nicht verstehen, aber wir dürfen verständnislos den Kopf darüber schütteln.
Der emeritierte Bamberger Erzbischof Dr. Karl Braun, der den Papst zu Studienzeiten in Rom aus nächster Nähe erleben durfte, porträtierte ihn einfühlsam. Er schildert die geistliche Persönlichkeit Pius’ XII. Wenn der Heilige Vater die heilige Messe feierte, schien es, als sei er von einer übernatürlichen Schau ergriffen, auf die Ewigkeit ausgerichtet, von glühender Liebe zu Gott erfüllt. Der Papst – so schreibt Erzbischof Dr. Braun in dem lesens- und empfehlenswerten Buch "Pius XII. – Begegnung in Wort und Bild" – strebte "nach ständiger Verbundenheit" mit dem Herrn,, nach "stets tieferem Einssein mit ihm, um so bei allem ganz in seiner Gegenwart zu leben".
Dies sei auch kein Ausdruck "weltfremder Spiritualität" gewesen, betont der Bamberger Erzbischof. Hinweisen möchte ich auch auf einen von Pius XII. aufgenommenen Gedanken über das Gebet – der später oft seinem Nachfolger zugeschrieben wurde – und über die eigentliche Größe des Menschen. In der Generalaudienz vom 2. Juni 1941 sagte der Papst:
"Das Gebet ist also ein Gut des Menschen; es verdemütigt und erniedrigt nicht, es erhöht vielmehr und macht groß. … In jener Haltung des Betenden offenbart der Mensch seinen höchsten Adel, so dass man treffend behauptet hat, dass »der Mensch nur groß ist, wenn er kniet«."
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Von dieser Demut zeugt auch sein geistliches Testament, das Pius XII. am 15. Mai 1956 verfasste: "Miserere mei, Deus, secundum misericordiam tuam. Diese Worte, die ich im Bewusstsein meiner Unwürdigkeit und Unzulänglichkeit in dem Augenblick aussprach, in dem ich zitternd meine Wahl zum Papst annahm, wiederhole ich mit jetzt noch größerer Berechtigung, da mir die während eines so langen Pontifikats in einer so ernsten Zeit begangenen Unzulänglichkeiten und Irrungen, mein Ungenügen und meine Unwürdigkeit noch bewusster gemacht haben. Ich bitte demütig alle jene um Verzeihung, die ich mit Worten und mit Werken gekränkt, geschädigt, oder bei denen ich Anstoß erregt habe. Ich bitte diejenigen, die dazu befugt sind, nicht dafür zu sorgen und sich nicht darum zu bemühen, meinem Gedächtnis irgendein Denkmal zu errichten. Es genügt, dass meine armen sterblichen Reste einfach an heiliger Stätte bestattet werden, je verborgener, desto lieber."
Wie denken Sie heute über den Diener Gottes Pius XII. – in diesen Tagen, 80 Jahre nach dem Beginn seines Petrusdienstes? Was mich betrifft, so darf ich sagen: Ich bete zu ihm wie zu einem Heiligen.
Dr. Thorsten Paprotny lehrte von 1998 bis 2010 am Philosophischen Seminar und von 2010 bis 2017 am Institut für Theologie und Religionswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover. Er publizierte zahlreiche Bücher im Verlag Herder. Gegenwärtig arbeitet er an einer Studie zum Verhältnis von Systematischer Theologie und Exegese im Werk von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. Er publiziert regelmäßig in den "Mitteilungen des Instituts Papst Benedikt XVI.".
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