London - Samstag, 22. Juni 2019, 10:13 Uhr.
Eine britische Richterin hat Ärzte autorisiert, das Kind einer schwangeren katholischen Frau abzutreiben, die an einer Entwicklungsbeeinträchtigung und Affektstörung leidet – gegen den Willen der Mutter der Frau und der Frau selbst. Die Frau ist in der 22. Schwangerschaftswoche.
"Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass es ein immenser Eingriff ist, wenn der Staat bei einer Frau einen Schwangerschaftsabbruch anordnet, den sie augenscheinlich selbst nicht will", sagte Richterin Nathalie Lieven in ihrer Urteilsbegründung am 21. Juni.
Die Abtreibung ihres Kindes sei "im besten Interesse der Frau", sagte die Richterin des britischen Court of Protection.
Nach englischem Recht ist dieser "Schutzgerichtshof" mit Fällen befasst, bei denen Betroffene als nicht entscheidungsfähig gelten.
Die Frau, die aus juristischen Gründen nicht öffentlich identifiziert werden darf, befindet sich "in ihren Zwanzigern" und steht unter der Obhut einer Stiftung des britischen National Health Service (NHS).
Die Ärzte der Stiftung wollen das Kind der Frau abtreiben und argumentieren, dass die Abtreibung für die Frau aufgrund ihrer verminderten geistigen Leistungsfähigkeit weniger traumatisch wäre als die Geburt, vor allem wenn das Baby dann in Pflegefamilien untergebracht würde.
Die Mutter der Frau machte den Ärzten und dem Gericht klar, dass sie selbst die Betreuung ihres Enkelkindes übernehmen würde.
Es wird angenommen, dass die schwangere Frau die geistige Leistungsfähigkeit eines Kindes im Grundschulalter hat. Sie ist Angaben zufolge katholischen Glaubens, und ihre Mutter ist Nigerianerin.
Unklar ist, inwiefern die Schwangerschaft einvernehmlich geplant wurde. Die Polizei ermittelt derzeit die Umstände der Empfängnis.
Die Mutter der Frau, die Berichten zufolge eine ehemalige Hebamme ist, hat sich unter Berufung auf den katholischen Glauben deutlich gegen die Abtreibung ausgesprochen. Auch ein Sozialarbeiter, der sich um die Frau kümmert, war nicht der Ansicht, dass eine Abtreibung erzwungen werden sollte.
Die Richterin sagte, sie glaube nicht, dass die Frau verstanden habe, was es bedeute, ein Baby zu bekommen.
"Ich denke, sie möchte ein Baby haben, so wie sie eine schöne Puppe haben möchte", sagte Lieven wörtlich.
Richterin Lieven sagte weiter, dass sie nicht glaube, dass die Mutter der Frau, die bereits für ihre Tochter sorgt, in der Lage sein würde, gleichzeitig die Betreuung eines Enkels zu gewährleisten.
Es würde den eigenen Interessen der Frau zuwiderlaufen, wenn das Kind geboren und dann aus dem Haus der Frau entfernt und in Pflege oder Adoption gebracht würde, schloss die Richterin.
"Ich denke, die Frau würde ein größeres Trauma erleiden, wenn ihr ein Baby aus der Obhut genommen würde", sagte Lieven, denn "es wäre zu diesem Zeitpunkt ein echtes Baby."
Die heutige Richterin Lieven hat sich als Anwältin immer wieder für Abtreibung eingesetzt: Im Jahr 2011 vertrat sie vor Gericht einen britischen Abtreibungsanbieter, den British Pregnancy Advisory Service. Dabei setzte sie sich juristisch dafür ein dass britischen Frauen erlaubt sein sollte, ihre Schwangerschaften zu Hause und nicht im Krankenhaus medizinisch abzubrechen.
Fünf Jahre später argumentierte Lieven vor Gericht, dass die nordirischen Abtreibungsgesetze eine Verletzung des britischen Menschenrechtsgesetzes darstellen.
Im Jahr 2017 sagte sie sogar, dass die nordirischen Abtreibungsgesetze mit "Folter" vergleichbar wären und "diskriminierend" seien.
Uneingeschränkte Abtreibung ist im Vereinigten Königreich bis 24 Wochen nach der Schwangerschaft legal. Danach müssen Ärzte bestätigen, dass die Abtreibung im medizinischen Interesse der Mutter liegt.
NHS-Statistiken zeigen, dass Babys, die in der 24. Schwangerschaftswoche geboren werden, im Durchschnitt eine Überlebenschance von 50% haben. Stellenweise ist sie - je nach dem Ort der Behandlung - deutlich höher: Babys, die in einem Krankenhaus des University College London Hospital in London nach 23 Wochen Schwangerschaft geboren wurden, haben eine Überlebenschance von 70%.
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