Dokumentiert: Die Predigt auf dem Diözesangelände von Soamandrakizay

Papst Franziskus bei der Feier der heiligen Messe am 8. September in Antananarivo
Vatican Media

CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut der Predigt des Papstes am 8. September in der offiziellen Übersetzung.

Im Evangelium haben wir gehört, dass »viele Menschen Jesus begleiteten« (vgl. Lk 14,25). Wie jene Massen, die sich entlang des Weges Jesu versammelten, seid ihr in großer Zahl gekommen, um seine Botschaft aufzunehmen und euch auf den Weg seiner Nachfolge zu begeben. Aber ihr wisst gut, dass die Nachfolge Jesu keine Erholung darstellt! Das Evangelium von Lukas erinnert uns nämlich heute an die Anforderungen für diese Aufgabe.
Es ist wichtig anzumerken, dass diese Vorgaben im Rahmen des Aufstieges Jesu nach Jerusalem gemacht werden: zwischen dem Gleichnis vom Festmahl, bei dem die Einladung an alle ergeht (insbesondere an die abgelehnten Personen, die auf den Straßen und den Plätzen und Wegkreuzungen leben), und den drei so genannten Gleichnissen von der Barmherzigkeit, in denen jeweils ein Fest gefeiert wird, wo das, was verloren war, wiedergefunden wird und derjenige, der tot schien, wieder aufgenommen, gefeiert und mit der Möglichkeit eines Neuanfangs ins Leben zurückgeführt wird. Jeder christliche Verzicht kann nur im Licht der Freude und des Festes der Begegnung mit Jesus Christus verstanden werden.
Die erste Anforderung lädt uns ein, auf unsere familiären Beziehungen zu schauen. Das neue Leben, das der Herr uns ans Herz legt, scheint unbequem und wird für diejenigen zur skandalösen Ungerechtigkeit, die glauben, dass sich der Zugang zum Himmelreich allein auf die Bande des Blutes beschränken oder reduzieren ließe, auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, auf einen Klan oder eine besondere Kultur. Wenn die „Verwandtschaft“ zum entscheidenden und maßgeblichen Schlüssel all dessen wird, was richtig und gut ist, führt dies schließlich dazu, dass einige Verhaltensweisen gerechtfertigt oder sogar „für heilig erklärt“ werden, die zu einer Kultur des Privilegs und des Exklusivismus führen (Günstlingswirtschaft, Klientelismus und somit Korruption). Die vom Meister aufgestellte Forderung bringt uns dazu, den Blick zu erheben, und lehrt uns: Wer auch immer außer Stande ist, den anderen wie einen Bruder zu sehen, sich durch sein Leben und seine Situation anrühren zu lassen, jenseits seiner familiären, kulturellen, sozialen Herkunft, »kann nicht mein Jünger sein« (vgl. Lk 14,26). Seine Liebe und seine Hingabe sind eine unentgeltliche Gabe wegen allen und für alle.
Die zweite Anforderung zeigt uns, wie schwierig es sich erweist, dem Herrn zu folgen, wenn man das Himmelreich mit den eigenen persönlichen Interessen gleichsetzen will oder mit dem Reiz einer Ideologie, die schließlich den Namen Gottes oder die Religion instrumentalisiert, um Akte der Gewalt, der Spaltung und sogar des Mordens, der Verbannung, des Terrorismus und der Ausgrenzung zu rechtfertigen. Die Anforderung des Meisters ermutigt uns, das Evangelium nicht mit traurigen Reduktionsismen zu manipulieren, sondern die Geschichte in Brüderlichkeit und Solidarität, in der unentgeltlichen Achtung der Erde und ihrer Gaben gegen jegliche Form der Ausbeutung zu erbauen; mit dem Wagemut »die Kultur des Dialogs als Weg, die allgemeine Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Verständnis als Methode und Maßstab« zu leben (Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen, Abu Dhabi, 4. Februar 2019); dabei darf man der Versuchung gewisser Doktrinen nicht nachgeben, die unfähig sind, in Erwartung des Gutsherrn den Weizen und das Unkraut gemeinsam wachsen zu sehen (vgl. Mt 13,24-30). 

Und schließlich: Wie schwierig kann es sein, das neue Leben zu teilen, das der Herr uns schenkt, wenn wir beständig dazu getrieben werden, uns selbst zu rechtfertigen, weil wir glauben, dass alles ausschließlich von unseren Kräften kommt und von dem, was wir besitzen; wenn der Wettstreit im Ansammeln von Gütern quälend und niederdrückend wird – wie wir in der ersten Lesung gehört haben - und der Egoismus und der Gebrauch unmoralischer Mittel noch verschärft werden! Die Anforderung des Meisters ist eine Einladung, die dankbare Erinnerung zurückzugewinnen und anzuerkennen, dass unser Leben und unsere Fähigkeiten nicht so sehr ein persönlicher Sieg sind, sondern Ergebnis eines Geschenks (vgl. Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, 55), das zwischen Gott und vielen stillen Händen von Personen gewoben wurde, deren Namen wir erst beim Offenbarwerden des Himmelreiches erfahren werden.
Mit diesen Erfordernissen will der Herr seine Jünger auf das Fest des Anbruchs des Reiches Gottes vorbereiten und sie von jenem zerstörerischen Hindernis befreien, das letztlich eine der schlimmsten Sklavereien ist: für sich selbst zu leben. Es ist die Versuchung, sich in seine eigene kleine Welt zu verschließen, die am Ende wenig Raum für die anderen lässt: Die Armen finden keinen Platz mehr, man hört nicht mehr die Stimme Gottes, man genießt nicht mehr die innige Freude über seine Liebe, es regt sich nicht mehr die Begeisterung, das Gute zu tun. Viele fühlen sich durch dieses Verschließen in sich selbst scheinbar sicher, aber am Ende werden sie zu gereizten, unzufriedenen, leblosen Menschen. Das ist nicht die Wahl eines würdigen und erfüllten Lebens, das ist nicht Gottes Wille für uns, das ist nicht das Leben im Geist, das aus dem Herzen des auferstandenen Christus hervorsprudelt. (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 2).
Auf dem Weg nach Jerusalem lädt uns der Herr mit diesen Anforderungen ein, den Blick zu erheben, unsere Prioritäten richtig zu setzen und vor allem Räume zu schaffen, damit Gott der Mittel- und Angelpunkt unseres Lebens wird.
Schauen wir uns um: Wie viele Männer und Frauen, junge Menschen, Kinder leiden und entbehren alles! Dies gehört nicht zum Plan Gottes. Wie dringend ist diese Einladung Jesu, unserer Verschlossenheit zu sterben, unseren stolzen Individualismen, um zuzulassen, dass der Geist der Brüderlichkeit – der aus der geöffneten Seite Christi hervorströmt, aus der wir als Familie Gottes geboren werden – siegt und jeder sich geliebt fühlen kann, weil er verstanden, angenommen und in seiner Würde geschätzt wird. »Vor der mit Füßen getretenen Menschenwürde steht man oft mit verschränkten Armen da oder lässt sie angesichts der dunklen Macht des Bösen ohnmächtig sinken. Aber ein Christ kann nicht mit gleichgültig verschränkten oder fatalistisch herabhängenden Armen dastehen, nein. Der Gläubige streckt seine Hand aus, wie Jesus es bei ihm tut« (Predigt anlässlich des Welttages der Armen, 18. November 2018).
Das Wort Gottes, das wir gehört haben, lädt uns ein, den Weg wiederaufzunehmen, diesen Qualitätssprung zu wagen und diese Weisheit der persönlichen Loslösung als Grundlage für die Gerechtigkeit und das Leben eines jeden von uns anzunehmen: Denn gemeinsam können wir all diesen Götzendienst bekämpfen, der unsere Aufmerksamkeit auf die trügerischen Sicherheiten der Macht, der Karriere, des Geldes und der Suche nach menschlichen Ehren konzentrieren will.
Die Anforderungen, die Jesus an uns stellt, sind dann nicht mehr schwer, wenn wir beginnen, die Freude des neuen Lebens zu verkosten, das er selbst anbietet: die Freude, die aus dem Wissen darum entspringt, dass er der Erste ist, der uns auf den Straßenkreuzungen aufsucht, auch wenn wir uns wie jenes Schaf oder jener verlorene Sohn verirrt haben. Möge dieser demütige Realismus uns anzutreiben, uns großen Herausforderungen zu stellen und möge er euch den Wunsch eingeben, euer schönes Land zu einem Ort zu machen, an dem das Evangelium zur Lebenswirklichkeit wird und das Leben zur größeren Ehre Gottes gelebt wird.
Entscheiden wir uns und machen wir uns die Pläne des Herrn zu eigen.

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